China:Begraben unter Geröll

In Südwestchina rutscht ein Berg ab und begräbt das Dorf Xinmo unter sich. Die Zahl der Todesopfer könnte auf über Hundert steigen. Die Region ist gefürchtet: Vor neun Jahren kamen bei einem Erdbeben hier 87 000 Menschen ums Leben.

Von Christoph Giesen, Peking

Es war früh am Samstagmorgen und das Baby, 38 Tage alt, schrie. Xiao Yanchun stand auf und wickelte ihren neugeborenen Sohn. Als sie sich danach wieder ins Bett legen wollte, hörten sie und ihr Mann "einen lauten Knall draußen, und das Licht ging aus", so erzählte es der Vater Qiao Dashuai später dem chinesischen Staatsfernsehen. "Das Haus wackelte, im Wohnzimmer waren Felsbrocken. Mein Frau und ich sind darüber geklettert, haben uns das Baby geschnappt und sind raus." Sie kamen davon. Mutter, Vater und Kind, das sind bisher die einzigen Überlebenden dieses gewaltigen Erdrutsches, der am Samstagmorgen das Dorf Xinmo im Kreis Mao in der südwestchinesischen Provinz Sichuan unter Geröllmassen begraben hat. In der hügeligen Gegend leben vor allem Angehörige der Minderheiten der Tibeter und der Qiang.

Die 62 teils zweigeschossigen Häuser sind komplett unter einer Felsenwüste verschwunden. Nicht einmal Trümmer sind noch zu sehen. Etwa acht Millionen Kubikmeter Schlamm und Gestein haben alles begraben. Das hier ein Dorf war, kann man nicht einmal mehr ahnen. Auch der Fluss im Tal wurde über zwei Kilometer zugeschüttet, ebenso eine Straße auf 1,6 Kilometern Länge.

"Wir waren bedeckt mit Erde", erzählte Xiao Yanchun im Kreiskrankenhaus. Ihr Sohn habe sogar Erde geschluckt, der Magen musste ausgepumpt werden. "Das Baby hat uns gerettet", sagte der Vater. Begraben unter den Erdmassen sind jedoch die zweijährige Tochter, die Großmutter und viele andere Menschen aus Xinmo.

Wie auf Fernsehbildern zu sehen war, suchten Bergungskräfte und Spürhunde nach Verschütteten. An der Suche beteiligten sich laut amtlicher Nachrichtenagentur Xinhua etwa 3000 Menschen, darunter viele Soldaten und Polizisten. Sie versuchten mit Bulldozern, Seilen, aber auch mit bloßen Händen, die Felsbrocken wegzuräumen. Teilweise sollen die Vermissten bis zu 20 Meter unter dem Geröll liegen.

Bis Sonntagabend konnten nach Angaben der Behörden zehn Leichen geborgen werden, 93 Menschen wurden noch vermisst. Über die genaue Zahl herrschte anfangs Verwirrung. Zunächst war die Rede von 118 Vermissten. Dann aber stellte sich im Verlauf des Wochenendes heraus, dass sich 15 Bewohner, nicht wie angenommen, während des Unglücks im Dorf aufgehalten hatten. Unklar war auch, ob eventuell Touristen verschüttet wurden. Knapp 150 Urlauber hatten sich in dem Gebiet aufgehalten. Laut Kreisverwaltung sind sie alle am Leben.

Die Chancen, jetzt noch Überlebende zu finden ist sehr gering. Die Helfer konnten neun Stunden nach dem Erdrutsch noch eine Frau per Handy erreichen, die in ihrem Schlafzimmer verschüttet war. Als sie eine Stunde später ausgegraben wurde, war sie tot. "Leben zu retten, hat absoluten Vorrang", sagte der Parteichef der Provinz, Wang Minghui, auf einer Pressekonferenz. Die Sicherheit der Retter müsse aber gewahrt werden. Am Samstagnachmittag gab es noch einen weiteren, kleineren Bergrutsch, der jedoch ohne größere Folgen blieb.

Wie konnte es zu diesem verheerenden Unglück kommen? Seit Wochen gehen in China heftige Regenfälle nieder, die wie jedes Jahr im Sommer schwere Überschwemmungen auslösen und häufig Erdrutsche nach sich ziehen.

Die Lawine in Xinmo soll in etwa 3500 Metern Höhe abgegangen sein. "Die Ursache des Erdrutsches ist kompliziert", erklärt Tian Yanshan, ein Experte des Landministeriums im Staatsfernsehen. "Schwere Regenfälle und eine instabile Struktur des Berges könnten dazu beigetragen haben." Seit dem Erdbeben 2008 in der Provinz seien die Berge in der Gegend nicht mehr so stabil wie früher. Mit einer Stärke von 7,9 auf der Richterskala hatte sich die Erde bewegt. 87 000 Menschen kamen ums Leben. Das Epizentrum von damals liegt nur 60 Kilometer vom Dorf Xinmo entfernt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: