Charles Lindbergh:Der Amerikaner und die Hutmacherin

29 Jahre nach seinem Tod wird das Geheimnis enthüllt: Der berühmte Flieger führte ein Doppelleben. Von 1957 bis 1974 hatte der Held heimlich eine zweite Familie in München - jetzt sehen seine deutschen Kinder die Zeit gekommen, davon zu reden. Eine Reportage von Gerd Kröncke

Jetzt muss es heraus, es soll endlich gesagt werden. Zu lange, so viele Jahre, hatte Astrid Bouteuil, geborene Hesshaimer, die Geschichte für sich behalten. Nun soll die Welt sie wissen, weil es doch die Liebesgeschichte ihrer Eltern ist, und Astrid will auch, dass ihre Kinder sich zu ihrem Großvater bekennen können. Sie selbst und ihre beiden Brüder hatten den Vater verheimlichen müssen. In ihren Geburtsurkunden steht "Vater unbekannt", weil die Mutter ihn hatte schützen wollen. Nun ist die Mutter schon zwei Jahre tot, und Astrid ist überzeugt, sie handelt in ihrem Sinne, wenn sie die heimliche Liebe der Eltern nicht für alle Zeiten in den Tiefen der Vergessenheit versinken lässt.

Dyrk, der vor ihr geboren wurde, und David, der nach ihr kam, sind einverstanden, das soll reichen. Ihr gemeinsamer Vater war Charles Lindbergh. Der große Charles Augustus Lindbergh, der Flieger, der Nationalheld von der anderen Seite des Ozeans, über den er einmal geflogen war als junger Mann, von New York nach Paris in 33 Stunden im Mai 1927. Jetzt ist es heraus, was keiner gewusst hat.

Als Kind hatte sie ihn gekannt, da hatte er einen anderen Namen. Er war oft lange weg und blieb nie lange da und war trotzdem kein flüchtiger Gast. Für Astrid war er der Fixstern ihrer bayerischen Kindheit. In der kleinen mütterlichen Wohnung in München-Schwabing oder später in dem bescheidenen, aber geräumigen Haus am Ammersee waren sie eine Familie wie andere auch, nur immer auf Abruf. Für Astrid und ihre Brüder war er damals schon von Geheimnis umgeben, doch hätte die Erkenntnis, dass ihr Vater berühmt war, keines der Kinder überrascht. Sie liebten diesen Mann, der ihre Sprache nicht konnte und sie doch verstand, der alles wusste, aber die Kinder mussten sich früh auf einen Pakt mit der Mutter einlassen, einen Pakt zu ihren Lasten und nicht frei von Bedrohung. Sie würden den Vater nicht wiedersehen, wenn sie über ihn redeten, an diese Warnung der Mutter erinnert sich Astrid noch gut. Anderer Kinder Väter waren Autoverkäufer oder bei der Bahn; sie hatten einen und waren doch vaterlos.

Aber sie haben ihn geliebt. Dyrk Hesshaimer, der Älteste, er lebt am Ammersee, sagt: "Es war eine sehr innige Beziehung mit sehr viel Wärme." David Hesshaimer, er lebt bei München, sagt: "Er hatte eine herzliche Ausstrahlung, aber er war nicht der Vater, der einen in die Arme nimmt." Und Astrid sagt: "Er hat uns des abends Kindergeschichten erzählt." Die haben sie kaum verstanden, weil er nur Englisch sprach. Gleichwohl haben sie es genossen.

Rückblende in die Fünfzigerjahre. Im drückenden Klima jener Zeit war es nicht leicht für zwei allein stehende Frauen, sich zu behaupten. Brigitte Hesshaimer, Astrids Mutter, hatte ihre Gesellenprüfung als Hutmacherin abgelegt, ihre Schwester hatte künstlerische Ambitionen, sie zeichnete. Die beiden lebten zusammen in einer winzigen Wohnung in Schwabing, Agnesstraße 44, vierter Stock, kein Fahrstuhl. Sie waren nach dem Krieg aus Rumänien gekommen, Brigitte war nach den Mängeln und Entbehrungen jener Zeit an Knochentuberkulose erkrankt, hatte viele Monate in Krankenhäusern verbracht, behielt zeitlebens einen Gehfehler.

Eines Tages, Anfang 1957, war dieser blonde Amerikaner aufgetaucht, ein Vierteljahrhundert älter als sie. Sie hatte ihn bei einer Freundin kennen gelernt, die sein Buch übersetzen sollte. Er war ein drahtiger Typ, mit seinen 55 Jahren immer noch sportlich, er konnte die Treppen hoch laufen. Er hat Brigitte auf jungenhafte, fast schüchterne Weise den Hof gemacht. Sie wusste wohl, wer er war, aber berühmt zu sein, war für sie kein besonderer Wert. Er mag es genossen haben, dass sie ihn nahm,wie er war. Sie stellte keine unbequemen Fragen und Forderungen schon gar nicht. Daheim in Connecticut gab es eine anspruchsvolle Frau, die zu dieser Zeit ihrerseits eine lang anhaltende Liebesaffäre mit ihrem Arzt pflegte, von der Lindbergh auch nichts ahnte. Und trotzdem wartete Anne Morrow Lindbergh unglücklich auf ihren Mann.

Brigitte Hesshaimer und Charles Lindbergh sind in jenen Tagen manchmal durch München flaniert. Der Mann, der als kühl und rational geschildert wird, war durchaus nicht unromantisch. Brigitte, die - wie gesagt - hinkte und nicht lange gehen konnte, erzählte ihrer Tochter Astrid später, wie die Love Story angefangen hat. Als der alternde Flieger und die junge Putzmacherin den Odeonsplatz passierten, vorbei an den Löwen vor der Feldherrenhalle, blieb der stille Amerikaner stehen und sagte: "Wieso brüllen die Löwen nicht?" Nach einer Pause fügte er hinzu, jemand habe ihm erzählt, wenn man verliebt sei, hörte man sie brüllen - "and I felt in love with you". Sie haben sich gleich verstanden, der Berühmte und die Frau aus dem Volke. Für Brigitte Hesshaimer war es die Liebe ihres Lebens, sie würde keinen anderen Mann mehr ansehen.

Astrid wusste, dass der Mann, der ihr Vater war und den sie nicht ihren Vater nennen durfte, einen anderen Namen hatte. Er musste so etwas wie ein Autor sein, oft hatte er am Schreibtisch gesessen, dann durfte man ihn nicht stören. Das Pseudonym, das er sich gegeben hatte, Careu Kent, war Tarnung, das ahnte sie früh. Sie hatte ihn nie Vater genannt, immer Careu. Als er schon gestorben war, begann sie nach einem zu suchen, der Englisch sprach, Schriftsteller war, 1974 gestorben. In einer alten Schachtel fand sie ein paar Negative, ließ sie entwickeln und entdeckte ihren Vater. Sie war 21 oder 22 zu der Zeit, "und nun wollte ich einen Namen dazu haben", sagt sie, "den richtigen Namen. In jener Zeit fehlte er mir sehr."

Sie erinnerte sich, wie sie einmal einen Lindbergh-Artikel in einem TimeLife-Magazin gesehen hatte, aber die Mutter hatte ihr das Heft fast weggerissen. Sehr viel später fand sie schließlich die Briefe auf dem Speicher im Haus der Mutter am Ammersee. Da hat ein schwarzer Müllsack gelegen, den sie nicht beachtet hätte, hätte er nicht eine Schleife gehabt, denn die Mutter hatte die Gewohnheit, ihr wichtige Dinge mit rotem Band zu verschnüren. Astrid lebte zu dieser Zeit schon in Frankreich, war mit ihrem Mann für ein paar Tage zu Besuch in Deutschland.

Es war ein ganzes Bündel überwiegend handschriftlicher Briefe, hundert und ein Dutzend aus mehr als fünfzehn Jahren. Sie waren auf Englisch und alle mit einem C unterschrieben, wie Careu oder eben Charles. Sie nahm sie mit. Erst nach einer Weile hatte die Mutter es bemerkt, wollte sie zurückhaben. Aber Astrid behielt die Briefe, weil die Mutter sie vernichtet hätte. "Du weißt nicht, was du damit auslöst, du weißt nicht, was du tust", beschwor die Mutter sie. Brigitte hatte versprochen, das Geheimnis zu ihren Lebzeiten zu wahren.

Es war schnell eine intensive Beziehung geworden, obwohl der Charles Lindbergh in seinen Briefen von Liebe nie sprach. Der erste Brief stammt aus dem Jahre 1957. "Man stelle sich München vor ohne eine Hesshaimer." Er ist enttäuscht, als er niemanden antrifft, München ohne Brigitte oder ihre Schwester, das sei wie eine schöne Frau ohne Hut. Diese Erfahrung wolle er nie wieder machen, schreibt er und erwähnt noch Mietz und Mautz, die Katzen. Damals trugen Damen selbstverständlich Hüte, und er hatte sich in Brigitte, die er später "Bitusch" nannte, verliebt. Der Mann, den jeder kannte, blieb in München unerkannt. Er war noch immer weltberühmt, aber allein in der fremden Stadt an der Seite einer jungen Frau war er nur ein Fremder. Sie war apart, aber keine Schönheit, niemand blieb stehen, dem Paar nachzuschauen.

So hatte sie angefangen, die Verbindung des Berühmten mit der Putzmacherin. Der Mann schreibt oft nach Deutschland. "Ich sehe dich dort sitzen in der Agnesstraße, draußen vor den großen Fenstern fällt Schnee." Er sehe auch ihre Schwester vor sich "mit ihrer schrecklichen Brille". Die Schwester zeichnet. "Sag ihr, sie soll sich Gläser besorgen, die sie so hübsch aussehen lassen, wie sie ist - das ist ein Befehl."

Im Jahr darauf wurde Dyrk geboren, Brigitte Hesshaimers erstes Kind. Sie war 33, Charles Lindbergh war 56. "Ist er nicht ein wunderbares Baby", schreibt er, als sie ihm die ersten Fotos schickt. "Und natürlich hast du das größte Verdienst daran. Obwohl, ein bisschen kann ich auch für mich in Anspruch nehmen. Allein hättest du das nicht hingekriegt."

Zuhause in Connecticut hatte Lindbergh mit seiner Frau Anne Morrow fünf Kinder. Es war eine komplizierte Ehe. Anne Morrow war ihm zumindest künstlerisch überlegen, und es kränkte sie, als der große Lindbergh für seine Autobiographie, der sie erst Schliff gegeben hatte, den Pulitzer-Preis bekam. (Sie selbst brachte es zu spätem Weltruhm mit ihrem Buch "The Shells" - "Muscheln in meiner Hand" -, das ein feministischer Bestseller wurde.) Dabei hatten sie die schlimmste Prüfung gemeinsam durchgestanden.

Nach seinem Flug über den Ozean war Lindbergh der bis dahin größte Medienstar des 20. Jahrhunderts, aber der Ruhm war ihm zum Fluch geworden. 1932 war sein erstes Kind, Charles Augustus jun., entführt und ermordet worden. Ein unglücklicher deutscher illegaler Einwanderer, der noch in einer nachgelassenen Erklärung seine Unschuld beteuerte, war nach einem Indizienprozess hingerichtet worden. Dass die Lindberghs danach mehr Kinder großzogen als eine amerikanische Durchschnittsfamilie, mag Trotz gegen das Schicksal gewesen sein.

Nun, Anfang der Sechzigerjahre, hatte er noch eine Familie. Er besucht sie, wann immer es geht, wann immer er in Europa zu tun hat. Der Nüchterne pflegt väterliche Sentimentalitäten, wenn er an seinen bis dahin jüngsten Sohn denkt. "Ich fühle mich zu dir zurückversetzt", schrieb er seiner Bittusch, "wenn ich mir vorstelle, wie du ihn fütterst und wäschst, bevor du ihn zu Bett bringst". Dyrk ist ihm der Liebste geblieben, in gewisser Weise muss er ihn als eine Art Stammhalter angesehen haben. Er gibt Brigitte einmal den etwas obskuren Rat, ihn nicht zu viel Wein trinken zu lassen und auf keinen Fall Whisky oder Gin. Seine pädagogischen Ratschläge sind nicht immer praktisch. "Du musst ihm von Anfang an Englisch beibringen, nicht nur Deutsch. Französisch und Italienisch haben noch etwas Zeit."

Wenn er für längere Zeit auf Reisen ist, mahnt er dringend, keine Briefe nach Connecticut zu schicken, weil das Postfach nicht geleert wird. Er trennt seine Leben mit akkurater Umsicht. Er ist vorsichtig. Aus den Briefen ergibt sich kein Hinweis auf seine Person. Er könnte Handelsvertreter sein, allerdings einer, der Gewichtiges in aller Welt zu vertreten hat. Als er sein neuestes Buch in deutscher Übersetzung schickt, mahnt er: "Schließe es sorgfältig weg, damit Leute es nicht herum liegen sehen. Aber du weißt schon, was du zu tun hast." Einmal, in einem Brief, den er während des Flugs von New York nach Seattle schreibt (er schreibt auf Flughäfen und Bahnhöfen, im Zug oder im Flugzeug) deutet sich sein Status als Geheimnisträger an. "Es tut mir leid, ich kann dir nichts genaueres sagen - militärisch."

In der Vorkriegszeit war Charles Lindbergh kurz in Deutschland gewesen, hatte Hermann Göring getroffen und sich beeindruckt gezeigt von der deutschen Luftwaffe. Deshalb war ihm eine verkappte Affinität zu den Nazis angehängt worden, er selbst hatte die Reise als Kundschaftermission für sein eigenes Land verstanden. Während des Weltkriegs wurde er als Defätist beschimpft, weil er sich gegen den US-Kriegseintritt ausgesprochen hatte. Er flog zwar noch Einsätze gegen Japan, aber voll rehabilitiert wurde er erst von Dwight D. Eisenhower, der ihn zum Brigadegeneral beförderte.

Es war also vermutlich der General, dessen Expertise in Seattle bei Boeing gefragt war. Manchmal überkamen Brigitte Zweifel, ob der Mann sich überhaupt für ihr kleines Leben interessierte. Sie mit ihren Hüten und er auf dem Weg nach Seattle. "Bitusch", versucht er sie zu beruhigen, "mich interessiert es wirklich sehr, was du treibst in deinem Hut-Business." Der Mann, der General war und später Direktor bei PanAm, vergisst die Hüte nicht. "Fast nichts ist wichtiger als das."

Die Briefe aus der Welt ließen die Hutmacherin nur ahnen, wie diese Welt für den Mann ihres Lebens aussah. Seine Briefe sind meist karg, beschränken sich oft auf die Aufzählung von Stationen. Er sei für ein paar Tage - "Mailand, Genua, Florenz, wahrscheinlich Rom" - in Italien, teilt er zum Beispiel mit. "Irgendwann musst Du mit mir nach Pisa kommen, es ist eine der schönsten, ungewöhnlichsten Städte, die ich kenne." Und tatsächlich sind Lindbergh und die Frau seiner späten Jahre einige Male in Italien gewesen. "Brigitte, es war sehr einsam, zum Auto zurückzugehen, nachdem der Zug aus dem Bahnhof von Brindisi gefahren war." Er hoffe, Dyrk habe, als sie heimkam, seine Mutter noch erkannt. Aber da ist er schon wieder unterwegs durch Griechenland, auf dem Weg nach Istanbul. Meist meldet er sich aus Übersee. "Es war eine schrecklich kurze Nachricht, die ich aus Ankara geschickt habe." - "Breche morgen auf nach Java via Singapur... " - "Ich bin 80 Kilometer ins Innere von Vietnam gefahren. Am Tage ist das ganz sicher, aber nachts gibt es etliche Banditenüberfälle."

"Wenn er da war", sagt Dyrk, "dann hat er sich sehr um uns gekümmert. Andere Väter saßen vor ihrem Bier, wir haben Ausflüge gemacht." Er war jemand, der keinen Sinn hatte für Extravaganzen, alles musste einfach sein, er war spartanisch. Er hat seine Manuskripte mit Bleistift korrigiert und benutzte sie bis auf den Stummel, den er mit seinem Federmesser anspitzte. Nichts durfte weggeworfen werden, was noch zu gebrauchen war. Er reiste in einem alten Käfer, der mit allem, Notrationen und Übernachtungszeug, ausgestattet war. Nur nicht auf andere angewiesen sein. Während eines Gewitters saß man lange im Käfer im Wald und er bereitete eine Mahlzeit mit dem, was er im Auto hatte. Dyrk war schon zu Lebzeiten klar, dass es mit dem Vater etwas Ungewöhnliches auf sich haben musste. Er, der Älteste, wusste, dass der Vater wichtige Männer traf, dass er einmal bei Richard Nixon, dem Präsidenten, gewesen war.

Dyrk erinnert sich, dass die Mutter immer vorher sagte, dass er kommen würde. David, der Kleinste, erinnert sich, dass die Mutter dann durchs Haus ging und Ordnung machte und dass er aus ihrem Schlafzimmer heraus musste. Dann wusste er Bescheid. Für Astrid kam er immer überraschend und ging plötzlich, nach Regeln, die sie nicht durchschaute. Sie hat diesen Mann, den großen Blonden, verehrt. Wenn er da war, dann war ihre kleine Welt märchenhaft schön. Er erzählte wunderbar. Obwohl sie doch kein Englisch konnte, erlebte sie Abenteuer aus Urwald und Savanne.

Dyrk weiß noch, wie er von dem Elefanten in Kenia erzählte, der sich auf ein Auto gesetzt hatte. Astrid erinnert sich an Lindbergh als einen fröhlichen Mann, der mit den Ohren wackeln konnte, erst mit einem, dann mit dem anderen. Und dann lachte er schallend. Seine Schuhe waren so groß, sie ließ ihre Puppen darin schlafen. Für die Kinder war er ein Zauberer. Er konnte mit seinem großen Taschentuch Münzen verschwinden und wieder auftauchen lassen. Es waren Münzen aus vielen Ländern. Mit seinen großen Händen machte er Schattenspiele. Er konnte wunderbare Omeletts kochen. Er war älter als anderer Kinder Väter, aber für sie war er etwas Besonders.

Die Papiere des Charles Lindbergh sind in Universitätsbibliotheken archiviert, aber die Briefe der Modistin Brigitte Hesshaimer? Er hat sie wahrscheinlich der Nachwelt vorenthalten. Sein amerikanischer Biograph A. Scott Berg, der für seine Arbeit über Lindbergh gleichfalls mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, erwähnt sie nicht. Astrid hat ihm geschrieben, um ihn auf ihre Existenz aufmerksam zu machen, blieb aber ohne Antwort.

Berg schildert, dass Lindbergh geradezu besessen gewesen sei von allem, was mit Vererbung und Fortpflanzung zusammenhängt. Er ermutigte seine Kinder - und Berg meint die Kinder, die die Welt kennt - zu einem gesunden Geschlechtsleben, was für sie auch bedeuten sollte, sich über das genetische Erbe im Klaren zu sein. Von natürlicher Auslese sprach er, ermahnte aber seine Söhne, sich nicht mit Schwangerschaften von Frauen ködern zu lassen. "Wenn ich wählen könnte", zitiert Berg einen Brief an Lindberghs Tochter Reeve, "was ich von dem, was ich im Leben gelernt habe, meinen Kindern bleibend vermittle, dann dies: wie wichtig die Erbgesundheitslehre ist".

Auch seiner Familie erschien Lindbergh als kühl und rational. Richtig ist sicher, dass er Risiken nur einging, wenn er sie hinreichend kalkulieren konnte. Brigitte Hesshaimer, seiner "Bitusch", muss er abgrundtief vertraut haben. Es wäre relativ leicht möglich gewesen, sich nach Dyrks Geburt zurückzuziehen und die Mutter ausreichend zu alimentieren. Stattdessen hat Lindbergh die Verbindung noch intensiviert. Dyrk hat in Erinnerung, dass die beiden zurückhaltend liebevoll miteinander verkehrt haben. Als Kind hat man ein Gespür dafür, was echt ist. Aus der Liebe zu der Hutmacherin ist so etwas wie eine Ehe geworden, nur dass Lindbergh wie ein Seemann oder ein Forschungsreisender lange weg war. Unruhe klingt nur an, wenn er sicherstellen muss, dass keine Briefe in falsche Hände geraten. "Vergiss nicht! P.O.Box 1147" unterstreicht er ein ums andere Mal, als sich sein Postfach wieder geändert hat.

Astrid hat natürlich die Briefe nach Spuren ihrer selbst durchsucht, manchmal wird sie erwähnt. Etwa wenn er aus Accra schreibt, wie wenige weiße Menschen er bei seinem Stadtrundgang getroffen hat. "Ich wünschte, du wärst hier, Dyrk mit großen Augen zwischen uns und Astrid mit einem Baumwolltuch fest auf deinen Rücken gebunden." Oder ein paar Tage später aus Kenia: "Sag Dyrk und Astrid, wenn ich aus meinem Fenster gucke, sehe ich: einen Strauß, zwei Giraffen, eine Herde Zebras." Es hat ihr gut getan beim Lesen so viele Jahre später, wenn sie sich selbst erwähnt fand. Manchmal schimmert eine Teilnahme an den alltägliche Malaisen durch. "Es war schön, von dir zu hören, aber nicht so schön, dass es dir und Astrid nicht gut ging." Zeichen väterlicher Zuneigung: "Give Astrid a hug from me and Dyrk an extra swing."

Als Astrid fünf war, zog die vaterlose Familie nach Geretsried bei München, später in das Haus am Ammersee, das ist die Zeit, da Astrids Erinnerung einsetzt. "I am most anxious", schreibt er aus Connecticut, er sei überaus begierig, zu erfahren, "wie unseren Kindern ihr neues Heim gefällt". Da hat er es beiläufig ein allererstes und einziges Mal hingeschrieben, "our children", danach nie wieder, als sei dieses eine Mal ein Versehen gewesen. Von Dyrk wünscht sich der Vater noch eine Kinderzeichnung und Astrid möge ihm doch eine schöne Nadelarbeit machen. David, der Nachzügler, 1967 geboren, wird selten erwähnt. "Ich denke oft an dich und Dyrk und Astrid und David."

Im Nachhinein war klar, dass sich das Ende mit einem Brief vom November 1972 ankündigte. "Eine Woche und einen Tag meiner Therapie habe ich hinter mir, und alles scheint gut zu gehen." Danach ist immer wieder von Therapien die Rede, von Blutwerten, davon, wie alles besser läuft als erwartet, auch dass er wieder etwas Gewicht zugelegt hat, was doch nur deutlich macht, wie viel er zuvor verloren hatte. Die Krankheit wird nicht ausgesprochen, Charles Lindbergh hat Krebs und schreibt, wie gut die Behandlung anschlägt.

Einmal war er noch am Ammersee. Vielleicht auch, um letzte Dinge zu regeln. Er hatte für die Familie gesorgt, für die Ausbildung der Kinder, die alle drei auf Privatschulen gingen. Für jedes war ein Aktiendepot eingerichtet worden, nicht zu üppig, aber nennenswert, das ihnen zur Volljährigkeit übertragen werden sollte.

Dyrk erinnert sich, wie schwach der Vater war beim letzten Abschied. An seinem Wagen war ein Reifen platt, Dyrk sollte ihn wechseln und ging in die Garage, das Drehkreuz zu holen, aber Lindbergh bestand darauf, er solle es mit dem vorhandenen Schlüssel im VW versuchen. Er wollte ja immer das Naheliegende. Die Radmuttern waren kaum zu lösen, und der einst kräftige, sehnige Mann konnte nicht mehr zupacken. Das ist das letzte Bild vom Vater. "Er war schwach und dünn, gezeichnet von der Krankheit. Aber der Abschied war doch wie immer, jedenfalls nicht anders als sonst", sagt Dyrk. Astrid hingegen meint sich zu erinnern, dass sie gewusst habe, er kommt nicht mehr wieder. Er hatte noch gewinkt, sie lief ins Haus und weinte.

Über ein Jahr erreichen Brigitte Briefe, die stereotyp von Therapien handeln und von der Hoffnung, noch einmal nach Europa zu kommen. Der allerletzte mit mühevoll krakelnd einzeln geschriebenen Lettern kommt aus der Klinik in New York. Er ist vom 16.August 1974. "Ich verliere jeden Tag an Kraft. Die Situation ist äußerst ernst. Es fällt mir schwer zu schreiben. "My love to you and the children, all I can send."

Danach hat Charles Lindbergh sich zum Sterben nach Hawaii fliegen lassen. Brigitte wird seinen Tod aus der Zeitung erfahren. Und Astrid wartete nicht länger auf den großen blonden Mann aus Amerika.

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