Bundeswehrskandal in Coesfeld:Denn zum Gehorchen sind sie da

Stromstöße, Geiselnahmen und ein paar Schrammen - vor Gericht wird jetzt beurteilt, was erlaubt ist, wenn man Menschen zum Kämpfen ausbildet

Hans Holzhaider

Münster, im März - Zeuge Patrick E., 24, ein Schlosser von Beruf, hat eine sehr lakonische Art, die Geschehnisse zu schildern, um die es hier geht: "Wir wurden überwältigt, kriegten einen Sack über den Kopf, dann wurden Fragen gestellt. Dann wurde ein bisschen mit Sand geschmissen, dann war das mit dem Wasser, und nach zwanzig Minuten war wieder Ruhe."

Bundeswehrskandal, Landgericht Münster; dpa
(Foto: Foto: dpa)

Insgesamt müsse er sagen, dass es Schlimmeres gab während seiner militärischen Grundausbildung beim Instandsetzungsbataillon 7 der Bundeswehr in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld. "Wenn man einen ganzen Tag im Feld bei 32 Grad nichts zu trinken bekommt, zum Beispiel. Oder wenn einer sich auf dem Marsch den Mittelfußknochen bricht und damit weitermarschieren muss." Verglichen mit sowas fand der Rekrut E. diese Sache, um die hier so viel Aufhebens gemacht wird, "nicht so gravierend".

Ein bisschen "verarscht" sei er sich vorgekommen, sagt er, weil die vermummten Ausbilder, die seine Gruppe nach einem anstrengenden Nachtmarsch überfielen, einfach weitermachten, obwohl sie beschossen wurden. Eigentlich hätten die umfallen müssen, findet Patrick E., "aber die wollten unbedingt gewinnen".

Highlight mit Handfesseln

Chris E., 22, ist im zivilen Leben Betonbauer, das sind Leute, die lassen sich nicht so einfach was gefallen, wenn ihnen einer dumm kommt. Ihm sind noch ziemlich viele Einzelheiten im Gedächtnis, wenn er nach jener Nacht im Juni 2004 befragt wird. "Als ich auf dem Boden lag, hat mir einer den Stiefel zwischen die Beine gestellt und nach vorne gedrückt. Wenn ich nicht gefesselt gewesen wäre, hätte ich dem eine reingehauen. Er sagte: ,You're a german motherfucker'. Mir ging das auf den Keks, deshalb sagte ich: ,Selber motherfucker.'" Das kam bei dem anderen offensichtlich nicht gut an.

"Einer hat mich auf den Rücken gezogen, Wasser in die Nase gepumpt, und mir dann Mund und Nase zugehalten, sodass ich keine Luft kriegte. Das war schon ein ekliges Gefühl." An dieser Stelle lässt der Vorsitzende Richter Thomas Mattonet ein Foto an die Wand projizieren. Man sieht in Großaufnahme den Kopf eines Soldaten in Tarnuniform, eine Hand, die ihm die Nase zuhält, und den Schlauch einer Kübelspritze, die ihm vor den weit geöffneten Mund gehalten wird. "Haben Sie denn mal dran gedacht, sich zu beschweren", fragt der Richter den Zeugen. "Nee", antwortet Chris E., "eigentlich nicht. Wenn man in der Grundausbildung ist, denkt man, dass das normal ist." Am Ende des Quartals, fügt er an, "haben sie uns noch allen die Hand gegeben und gesagt, man soll das nicht rumposaunen".

Einer hat das dann doch getan. Seit fast einem Jahr müssen sich die Angeklagten vor dem Landgericht Münster für die in Coesfeld praktizierten Ausbildungsmethoden verantworten. Christian B., 22, heute Beamtenanwärter bei der Stadt Bonn, kam nach seiner Grundausbildung in Coesfeld zum Heerestruppenkommando in Koblenz. Dort erzählten ihm zwei Kameraden eine Geschichte, die er kaum glauben konnte: Im dritten Ausbildungsquartal 2004 sei wieder eine simulierte Geiselnahme veranstaltet worden, dabei seien einzelne Rekruten sogar mit Stromstößen traktiert worden. "Das fand ich nun gar nicht mehr komisch", sagt Christian B., er erzählte die Sache in einer Kaffeepause der Wehrdisziplinaranwältin. Noch am gleichen Tag wurde er zu einer dienstlichen Vernehmung befohlen. So kam der größte Bundeswehrskandal seit Nagold ins Rollen - damals, 1963, war ein Rekrut in einer Fallschirmjäger-Ausbildungskompanie während eines Hitzemarsches zusammengebrochen und kurz darauf gestorben.

Skandal - bei diesem Wort verzieht Rechtsanwalt Siegmund Benecken aus Marl etwas geschmerzt das Gesicht. Ist Skandal das richtige Wort für das, was da im Sommer 2004 in Coesfeld geschehen ist? In Coesfeld ist niemand gestorben, niemand wurde verletzt, wenn man von ein paar roten Striemen absieht, weil in einigen Fällen die als Handfesseln benutzten Kabelbinder zu straff angezogen waren. Liegestütze, Baumstämme stemmen, gefesselt auf der Ladefläche eines Kleinlasters liegen, mit verbundenen Augen im Sand knien - ist das unzumutbar für einen gesunden 20-Jährigen, der Soldat werden soll? Die Stromstöße, erzeugt durch die Induktorkurbel eines Feldtelefons, waren so schwach, dass sie allenfalls als stärkeres Kribbeln wahrgenommen wurden - der Vorsitzende Richter hat es im Selbstversuch erprobt. Kann man da wirklich von Körperverletzung sprechen?

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Denn zum Gehorchen sind sie da

Bis die Beine versagten

Und trifft es nicht tatsächlich zu, dass die Mehrzahl der Rekruten diese Ausbildung "richtig geil" fand, und dass sich die Ausbilder, die jetzt hier auf der Anklagebank sitzen, durch diese Zustimmung in ihrer Meinung bestärkt sahen, so ein"forderndes" und "einsatzorientiertes" Geländespiel sei ein richtiges "Highlight" der Grundausbildung? Mag schon sein, sagt Rechtsanwalt Benecken, dass eine fingierte Geiselnahme damals nicht in den Ausbildungsrichtlinien der Bundeswehr vorkam.

Aber hätte man das nicht alles auf disziplinarischem Wege erledigen können? Muss man da wirklich einen Strafprozess führen, der sich mehr als zwölf Monate hinzieht, mit mehr als 200 Zeugen, einem immensen Zeitaufwand für die Angeklagten und für drei Dutzend Anwälte? Ein Prozess, an dessen Ende jeder der jungen Männer, die alle erst am Anfang ihres Berufslebens stehen, mit 50000 Euro Schulden allein für Anwalts- und Gerichtskosten dastehen wird - falls er nicht freigesprochen wird?

Siegmund Bennecken verteidigt den Hauptfeldwebel Martin D., 33 Jahre alt, seit 1993 in der Bundeswehr, seit 1998 Berufssoldat. Martin D. war Zugführer in der 7. Kompanie in Coesfeld. Er ist wohl das, was man als einen Soldaten mit Leib und Seele bezeichnet. Er ist Träger des Ehrenkreuzes und der Ehrenmedaille der Bundeswehr, deren Uniform er, wie er sagt, immer mit Stolz getragen habe. Von Juli 2003 bis Januar 2004 tat er Dienst beim deutschen ISAF-Kontingent in Afghanistan.

"Wir wollten den Rekruten etwas bieten"

Die 7. Kompanie in Coesfeld, der er seit seinem Eintritt in die Bundeswehr angehörte, sei vom Kommandeur immer als die "Vorzeigekompanie des Bataillons" bezeichnet worden; die Portepee-Unteroffiziere seiner Kompanie habe man das "Seven-Allstar-Team" genannt, sagt Martin D.. Das habe ihn "mit einigem Stolz erfüllt. Ich kann sagen, dass ich für die Bundeswehr gelebt habe".

Während seiner Ausbildung für den Afghanistaneinsatz nahm Hauptfeldwebel D. auch an einer Übung in der Infanterieschule Hammelburg teil, bei der das Verhalten bei einer Geiselnahme trainiert werden sollte. Da wurde man aus einem Omnibus heraus gefangen genommen, musste mit verbundenen Augen "Hund und Ente" spielen - der Hund musste bellen, die Ente quaken, und wer vom anderen berührt wurde, musste Liegestütze machen. Oder man musste "Busfahren" - in Sitzposition, aber ohne Stuhl, verharren, bis die Beine versagten.

So eine Übung, dachte sich Hauptfeldwebel D. nach seiner Rückkehr aus Afghanistan, wäre auch eine gute Sache für die Rekruten in der Grundausbildung. In der "Anweisung für die Truppenausbildung" (AnTrA) war das nicht vorgesehen, aber auch nicht ausdrücklich verboten. Es gab aber ein Schreiben des Heeresführungskommandos der Bundeswehr vom Februar 2004, wonach die Ausbildung "Geiselnahme/Geiselhaft" ausschließlich im Rahmen der einsatzbezogenen Zusatzausbildung im Gefechtsübungszentrum des Heeres durchgeführt werden dürfe. Andererseits aber wusste Martin D., dass es im Bundesverteidigungsministerium schon seit längerer Zeit Überlegungen gab, in Anbetracht der Auslandseinsätze der Bundeswehr auch eine - allerdings nur theoretische - Unterrichtseinheit über das Verhalten bei Geiselnahmen in die AnTrA aufzunehmen, wie es dann im Oktober 2004 auch tatsächlich geschah.

Martin D. fühlte sich also durchaus auf der Höhe der Zeit, als er zusammen mit Hauptfeldwebel Michel H., dem Zugführer des 2. Zuges, eine Geiselnahmeübung für die Rekruten plante. "Wir wollten den Rekruten was bieten", sagt er. Die beiden Hauptfeldwebel gingen mit ihrem Plan zum Kompaniechef, Hauptmann S., um sich die Sache absegnen zu lassen. Hauptmann S., auch er ist angeklagt, sagt, er habe das genehmigt, aber nur unter der Bedingung, dass nichts Rechtswidriges geschehe. Dass die Sache als solche rechtswidrig war, hätte er in seiner Dienststellung wissen müssen. Über die Details habe er sich keine Gedanken gemacht, sagt er, das habe er vertrauensvoll seinen beiden Zugführern überlassen - "absolut verlässlichen" Soldaten, die "hohes Ansehen bei allen Vorgesetzten" genossen.

Also setzten Martin D. und Michel H. eine Dienstbesprechung für alle Ausbilder der 7. Kompanie an und verteilten die Aufgaben: Wer das "Überfallkommando" bilden sollte, welches Fahrzeug man brauchte, um die gefesselten Rekruten abzutransportieren, wer die Verhörstation leiten sollte. Diese Aufgabe übernahm Stabsunteroffizier (StUffz) Matthias H., der schon einen Einsatz in Bosnien und die entsprechende Ausbildung in Hammelburg hinter sich hatte. Er ging mit großem Elan an die Sache heran: In einer Sandgrube im Wald markierte er mit Stacheldraht das "Gefangenenlager", oberhalb davon richtete er einen MG-Posten ein, der für die martialische Geräuschkulisse sorgen sollte, er nahm auch eine Kübelspritze mit, Fassungsvermögen 15 Liter. Das war seine eigene Idee, das hatte ihm niemand befohlen.

Dann lief alles wie am Schnürchen. Gruppenweise wurden die gefesselten Rekruten angeliefert, sie mussten sich hinknien ("in den weichen, gemütlichen Sand", sagt StUffz H.), wurden dann "einzeln herausgezogen" und brüllend auf Englisch nach Namen, Dienstgrad und dem Namen der Vorgesetzten befragt. Um der Sache Nachdruck zu verleihen, mussten sie Liegestütze machen oder Baumstämme auf den Armen tragen. Wenn sich einer hartnäckig weigerte, Auskunft zu geben, ratterte das Maschinengewehr, und er bekam ins Ohr geflüstert, er sei jetzt tot. Dann, berichtet H. sei sein Vorgesetzter, der Hauptfeldwebel D. in der Sandgrube erschienen und habe einen "Querulanten" angekündigt, der "ordentlich rangenommen" werden sollte.

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Denn zum Gehorchen sind sie da

Allzeit bereit

"Tja", sagt H., "und dann kam die besagte Kübelspritze zum Einsatz." "Hat der denn den Mund aufgemacht", fragt der Vorsitzende Richter. "Erst nicht", antwortet H., "aber durch den Wasserdruck dann schon." Der Hauptfeldwebel habe zugeschaut und keinerlei Kritik geäußert. Deshalb, sagt H., habe er auch nichts dabei gefunden, anderen Kameraden die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen. "Auch , wenn die auf dem Rücken lagen?", fragt der Richter. "Ja", bestätigt der Angeklagte. "Das Adrenalin war sehr hoch, da geht einem so was schon mal durch." Richter Mattonet wiegt den Kopf. Er war selber mal bei der Bundeswehr, vor langer Zeit. "So kleine Sauereien gab's da schon immer", sagt er. "Aber wenn einer auf dem Rücken liegt, und jemand hält ihm die Nase zu und pumpt ihm Wasser in den Mund, dann ist man schon an einem Punkt, wo man denkt, das könnte Folter sein."

Auch wenn man diesem Fazit folgen wollte, hat die Sache strafrechtlich ihre Haken und Ösen. Es muss jedem einzelnen der Angeklagten sein ganz persönlicher Tatbeitrag nachgewiesen werden, wenn er verurteilt werden soll. Und da gibt es erhebliche Unterschiede. Da ist der Kompaniechef, der die Aktion genehmigt hat, ohne sich eine Vorstellung zu machen, was da im Einzelnen passieren würde. Da sind die Zugführer, die den Ablauf geplant und die entsprechenden Befehle gegeben haben, die aber bestreiten, irgendwelche "Exzesse" angeordnet oder davon Kenntnis bekommen zu haben.

Da sind StUffz H. oder Feldwebel J., die ihren Phantasien von angemessener Behandlung der Rekruten freien Lauf ließen, sei es mit der Kübelspritze in der Sandgrube im Wald oder später, im Keller der Coesfelder Kaserne, mit dem Feldtelefon. Und dann gibt es noch einige, die haben nur mitgeholfen, die Rekruten zu überwältigen, zu entwaffnen und zu fesseln, wobei sie davon ausgingen, dass die Aktion vom Kompaniechef abgesegnet worden sei, was sie ja auch war.

Dass bei keinem von ihnen auch nur ein Funken Unrechtsbewusstsein vorhanden war, lässt sich schon daran ablesen, dass die Akteure sich selbst und ihre "Opfer" ausufernd fotografiert haben. Am Ende der Grundausbildung konnten die Rekruten eine CD mit den schönsten Actionfotos als Andenken erwerben.

Die Opfer ausufernd fotografiert

Die 8. Strafkammer am Landgericht Münster hat frühzeitig zu erkennen gegeben, dass sie bei weitem nicht alles, was die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zur Last legt, für strafwürdiges Unrecht hält. Gegen neun der ursprünglich 18 Angeklagten wollte die Kammer die Anklage gar nicht erst zulassen, gegen die anderen neun nur in sehr beschränktem Umfang. Das Oberlandesgericht in Hamm war anderer Meinung, also musste gegen alle verhandelt werden. Im August 2007 hat die Strafkammer schon vier Urteile verkündet, unter anderem gegen den Stabsunteroffizier H., der so virtuos mit der Kübelspritze umzugehen wusste. Er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung, Misshandlung und entwürdigender Behandlung von Untergebenen zu 18 Monaten Bewährungsstrafe verurteilt.

Der 30-jährige StUffz Marco F. bekam 2400 Euro Geldstrafe - er hatte beim Überfall auf die Rekruten seinen Fuß auf einen am Boden liegenden Soldaten gestellt, die Faust in Siegespose hochgereckt und sich so fotografieren lassen. Das, fanden die Richter, sei eine entwürdigende Behandlung im Sinn des Wehrstrafgesetzes. Ein Oberfeldwebel und ein Stabsunteroffizier wurden freigesprochen. Der bloße Überfall auf die Rekruten, das Fesseln, das Verbinden der Augen und das Verladen auf einen Pritschenwagen stelle im Rahmen der militärischen Ausbildung keine Misshandlung dar, urteilten die Richter.

Nach diesen Freisprüchen schöpften die verbliebenen Angeklagten Hoffnung. Die Zugführer Martin D., und Michel H., die Elitesoldaten aus dem Seven-Allstar-Team, beeilten sich zu versichern, es sei ihnen einzig und allein auf den Überfall angekommen, alles andere sei nebensächliches Beiwerk gewesen. Den Rekruten sollte lediglich vor Augen geführt werden, was für Folgen es hat, wenn man im Gelände nicht allzeit kampfbereit ist. Von den sogenannten Exzessen, also dem Einsatz der Kübelspritze und des Feldtelefons, hätten sie überhaupt nichts mitbekommen, sonst hätten sie es selbstverständlich sofort unterbunden.

Ob das Gericht das glaubt, ist zweifelhaft. Staatsanwalt Michael Frericks jedenfalls glaubt es nicht. Er hat je zwei Jahre Haft für die beiden Hauptfeldwebel gefordert, eineinhalb Jahre für den ehemaligen Kompaniechef, je zwei Jahre für die beiden Oberfeldwebel Z. und J., die das Feldtelefon zweckentfremdet hatten. "Eine demokratische Armee kann es nicht dulden, wenn ihre Rekruten mutwilligen Leuteschindereien ausgesetzt sind", sagte Staatsanwalt Frericks.

Am 12. März sollen die Urteile verkündet werden.

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