Brandstiftung in Berlin:Ein gebranntes Haus

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Unheimliche Stille und ein Feuerteufel in Freiheit: Fünf Mal binnen Wochen wurde in einem Altbau in Berlin-Moabit Feuer gelegt - eine Frau ist tot, andere Mieter fürchten um ihr Leben.

Renate Meinhof, Berlin

Wenn Dunkel in den Hof sinkt, in die Flure dringt und das Treppenhaus in Besitz nimmt, gerinnt jedes Geräusch zu Angst. Das Knarren im Seitenflügel rechts. Still mal. Was ist das? Die Tür, die ungebremst ins Schloss fällt, ihr Nachhall, vorn, im dritten Stock. Die Schreie der geifernden Katzen im Hof.

Huttenstraße 69, Berlin-Moabit: Wer kann noch wohnen in so einem Haus? (Foto: Screenshot: Google Earth)

Aber die Stille ist noch schlimmer.

In der Huttenstraße 69, Berlin-Moabit, hat es fünfmal gebrannt, fünfmal in acht Wochen. Erst waren es nur Kellerverschläge, dann starb ein Mensch. Irena Wieczkowski aus dem Hinterhaus, Quergebäude, zwei Tage nach dem vierten Anschlag starb sie in ihrer verbrannten Haut. Der Anschlag war in der Nacht zum 17. März, um 1 Uhr 14 ging bei der Feuerwehr der Notruf ein. Zuerst brannten die Wohnungstüren. Hatte jemand sie mit Brennbarem besprüht? (Das sagen Mieter im Vorderhaus und tasten voll Angst mit Händen und Nasen ihre eigenen Türen ab.) Dann griffen die Flammen nach dem gedrechselten Holz der Geländer, schwärzten die Wände und tobten sich aus. So ging das ganze Treppenhaus in glühenden Lohen unter. Frau Wieczkowski hatte dem Pochen des Feuers nachgegeben, die Tür geöffnet. Da brannte auch sie, und mit ihr der Hund.

Die Wohnungsverwaltung bestellt einen Wachmann für das gebrannte Haus, lässt die Schlösser der Eingangstür reparieren, zwei Flügel Schutz. Vor wem?

Nur 48 Stunden nach dem Tod von Frau Wieczkowski Flammen auf dem Treppenabsatz im Seitenflügel, sechster Stock. Die Feuerwehrmänner holen 28 Mieter aus dem Qualm ins Freie. Eine Frau muss ins Krankenhaus. Die Hausverwaltung stellt einen Wachmann vors Vorderhaus, einen zweiten in den Hof. Alle 20 Minuten Patrouille durch alle drei Treppenhäuser. Niemand darf mehr rein, der in der 69 nichts zu suchen hat.

Nur die alte Dame will bleiben

Raus wollen fast alle. Wer kann noch wohnen in so einem Haus? Andrea B. von der Immobilienverwaltung Goal sagt: "Es scheint ja jemand massiv dieses Haus vernichten zu wollen." Sie seien alle sehr betroffen. Jetzt kümmert man sich um Ersatzwohnungen für diejenigen, die um ihr Leben fürchten.

Irmgard Stricker, Vorderhaus, vierter Stock, fürchtet um ihr Leben, ja ... aber raus will sie nicht. Jetzt nicht mehr, nicht mit 85, nicht nach 48 Jahren in diesen Mauern.

"Irmgard, lebst du noch?", hat eine Bekannte sie am Telefon gefragt. Aber rüber, wie sonst, kam sie nicht. Sie wohnt nur zwei Häuser weiter. Frau Stricker hat die Flucht aus Pommern überlebt, den Einmarsch der Russen in Berlin, Bomben und Granaten und Hunger. Sie sagt: "Das ist ein Wahnsinniger, der das hier macht. Der kennt sich aus. Aber für mich ist es jetzt zu spät." Unter Frau Stricker wohnen Hawalis. Nicole aus Friedrichshain und Mohamed aus Palästina mit Hamza und Hisham, den kleinen Söhnen. Mohamed Hawali schläft nachts jetzt auf dem Sofa im Wohnzimmer, dessen Fenster in den Hof geht. Das Fenster hält er offen. Falls "er zuschlägt, der Feuerteufel", riecht Mohamed es gleich und kann Alarm geben.

Nicole Hawali sagt: "Wenn es einer von uns ist, ein Mieter? Der sich rächen will für was weiß ich?" Hawalis wollen raus. 88 Quadratmeter, 643 Euro warm. War schön, sagt Nicole Hawali. Für Hisham hat sie vom Einkaufen ein Spieltelefon mitgebracht, das hat große blinkende Tasten. Wenn Hisham draufdrückt, macht es gewaltig Lärm. Es klingt, als kämen zwei Feuerwehrwagen auf einmal.

Hallig wirkt das Haus, wie tot. Keine Fußmatten mehr vor den Türen, keine Kinderwagen, Fahrräder, nichts, was brennen könnte.

Senada Budic hat mit ihren zwei Kindern im Hinterhaus gewohnt, Frau Wieczkowski gegenüber. Frau Budic tritt auf die Straße, vor sich den Kinderwagen. Darin ein roter Staubsauger, den sie aus ihrer verkohlten Wohnung geholt hat. Auf dem Staubsauger sitzt ihr älterer Sohn. Zwei Fotografen stürzen sich auf die beiden, ein Kamerateam. "Du schöne Frau, du nehmen Sohn auf Arm, ich machen Foto", sagt einer der Deutschen zu Frau Budic.

"Nein, ich will kein Foto", ruft sie ihm zu, dreht sich weg. Geht in den Regen. Sie sagt, sie habe nie eine Versicherung gehabt. Die Wohnung, schräg gegenüber der Huttenstraße 69, die sie jetzt von der Verwaltung bekommen hat, ist leer. Senada Budic steht vor dem Nichts, in jeder Hinsicht. Mit ihrem Sohn auf dem Staubsauger im Wagen geht sie weiter. An der Ecke zur Rostocker Straße schon hat sie der Regen verschluckt.

Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung mit Todesfolge. Alle Mieter wurden befragt. Längst tun Spezialisten ihre Arbeit. Lesen die traurige Sprache der Trümmer. "Man kann im Schutt noch vieles finden", sagt Michael Schultz, der 23 Jahre lang das 3. Berliner Brandkommissariat geleitet hat. "Der Fall Huttenstraße sticht aus allem traurig hervor."

Seitenflügel rechts, der Wachmann macht seine Runde im Treppenhaus, folgt dem Echo der eigenen Schritte. Ganz oben ist alles verkohlt. Er sagt: "Ist schon unheimlich hier, aber man gewöhnt sich auch daran." Im Hof stiebt der Wind eine Plastetüte durch die Luft. Zaust sie, bläht sie. Ein flacher Zaun fängt sie ein. Da rattert sie nun.

Besser als nur Stille.

© SZ vom 28.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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