Brandschutz:"Die beste Feuerwehr der Welt ist da machtlos"

Frankfurts Feuerwehr-Chef Reinhard Ries

Reinhard Ries ist Direktor des Brand- und Katastrophenschutzes, des Rettungs- und Notarztdienstes sowie der Flugrettung in Frankfurt am Main mit 1000 hauptamtlichen und 1500 ehrenamtlichen Einsatzkräften.

(Foto: Maximilian Perseke/dpa)

Ein Feuer wie das in London ist laut Reinhard Ries, Direktor der Branddirektion Frankfurt am Main, in Deutschland kaum möglich. Dabei lachten bislang alle über die Deutschen und ihre strengen wie kostspieligen Regeln.

Interview von Felicitas Kock

Nach dem verheerenden Feuer in London berichten Überlebende, es habe sich binnen Minuten über das ganze Gebäude ausgebreitet. Sind Hochhäuser also besonders gefährdet? Und welche Rolle spielen in solchen Fällen Vorschriften für die Gebäudesicherheit? Reinhard Ries ist Direktor der Branddirektion Frankfurt am Main. Im Interview spricht er über Schutzmaßnahmen und Gefahren.

SZ: Wie kann sich so ein riesiges Feuer überhaupt so schnell entwickeln?

Reinhard Ries: Wir können von hier aus nur Vermutungen anstellen. Aber wir haben den Grundriss des Gebäudes gesehen und die Bilder analysiert. Daraus lässt sich ziemlich eindeutig erkennen, dass sich das Feuer über die Fassade ausgebreitet hat. Der Brand ist nach bisherigen Informationen in einem der unteren Stockwerke ausgebrochen, wo Gewerberäume liegen und nachts keine Menschen sind - dann fällt das erst mal niemandem auf. Sobald das Feuer die Fassade erreichte, breitete es sich blitzschnell aus.

Die Feuerwehr war in London wenige Minuten nach dem ersten Notruf am Brandort. Es wirkte aber, als hätten die Einsatzkräfte nur wenig ausrichten können.

Die beste Feuerwehr der Welt ist gegen so einen Brand machtlos. In Frankfurt hat im Jahr 2012 ein mehrstöckiges Gebäude gebrannt. Da stand die Fassade innerhalb von fünf Minuten in Vollbrand, es herrschen Temperaturen von 700 bis 800 Grad Celsius. Die Bilder aus London erzählen eine ähnliche Geschichte. Da kann man als Feuerwehr nicht mehr viel ausrichten, sondern muss versuchen, im Bereich des Möglichen Menschen zu retten.

Es heißt, die Einsatzkräfte hätten nur bis zum 13. Stock evakuiert. Versucht man denn nicht erst, ganz nach oben zu kommen?

Ich denke, den Kollegen in London war klar, dass sie keine Sekunde zu verlieren haben und dass sie schnell die Leute nach draußen bringen müssen, die sie rausholen können. Wahrscheinlich sind ihnen auf der engen Treppe so viele Menschen entgegengelaufen, dass sie gar nicht weiter gekommen sind.

Der Normalfall wäre aber anders?

Bei einem normalen Wohnungsbrand in einem Hochhaus ist das anders. Da fahren die Einsatzkräfte mit dem Feuerwehraufzug bis unter die Etage, in der es brennt. Dann gehen sie über das Treppenhaus das letzte Stockwerk nach oben und evakuieren zunächst in der Brandetage. Dann die Etagen darüber, weil das Feuer sich natürlich nach oben ausbreitet, und nicht nach unten.

So war das auch bei dem Brand in einem Karlsruher Hochhaus am Dienstag.

Genau, schrecklicherweise sind auch hier zwei Menschen ums Leben gekommen und mehrere haben Rauchgasvergiftungen erlitten. Aber wäre die Fassade beschaffen gewesen wie in London, hätte alles viel schimmer ausgesehen.

Was unterscheidet die beiden Fassaden?

In Deutschland gelten für Hochhäuser - also Häuser, deren oberster Fußboden höher liegt als 22 Meter - besondere Regeln. Die Fassaden dürfen nicht aus brennbarem Material bestehen. Das ist teuer, aber diese Vorgabe gibt es hierzulande schon seit den Achtzigerjahren, und wir Feuerwehrchefs kämpfen sehr dafür, dass sie weiter bestehen bleibt.

Wie sieht es damit im Ausland aus?

Die meisten anderen Länder haben sich davon lange verabschiedet. Die haben immer über uns gelacht und über unsere strengen, kostspieligen Regeln. Ich glaube, jetzt lachen sie nicht mehr. Im Rest Europas, in Asien, in Russland, überall auf der Welt entstehen immer neue Wolkenkratzer, deren Außenwände lichterloh in Flammen aufgehen, sobald sie einmal Feuer gefangen haben. Sie erinnern sich vielleicht an den Hochhausbrand in Dubai an Silvester? Auch hier war die Fassade schuld.

Was macht so eine Fassade besonders anfällig für Feuer?

Wir wissen mittlerweile, dass auf der Außenwand des Londoner Hochhauses eine brennbare Wärmedämmung angebracht war. Darauf waren Metallpaneele befestigt, wahrscheinlich mit Dübeln und Schrauben, sodass dazwischen ein Abstand blieb, in dem Luft zirkulieren konnte. So was wirkt, sobald es sich entzündet, wie ein Kaminofen.

In Deutschland kann das also nicht passieren?

Bei Hochhäusern wohl kaum, sofern die seit den Achtzigern geltenden Vorschriften eingehalten wurden. Das liegt nicht nur an den Fassaden. Hierzulande sind bei Hochhäusern auch feuersichere Treppenhäuser Vorschrift, ab einer bestimmten Höhe sogar ein zweites Treppenhaus sowie ein Feuerwehraufzug mit eigener Belüftung und eigenem Notstrom. Ab 60 Metern ist in jedem Raum eine Sprinkleranlage Pflicht. Und die Gebäude müssen regelmäßig besichtigt werden. All so was gibt es in anderen Ländern nicht.

Welche Regeln gelten denn für niedrigere Gebäude?

Wir Feuerwehren finden das nicht gut, aber: Bei Häusern, die nicht die Hochhausgrenze erreichen, wird auch in Deutschland fleißig brennbares Fassadenmaterial verbaut. Eine starke Wärmedämmung wird politisch sehr unterstützt, deswegen haben das jetzt alle. Es gibt natürlich auch Dämmmaterial, das nicht brennt, aber das ist teurer und das will sich kaum einer leisten. Die Haltung führt dann auch hierzulande zu Bränden, bei denen wir regelmäßig an die Belastungsgrenze geraten.

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