Nach Anschlag auf Boston-Marathon:Kampfgebiet Nachbarschaft

Eine Spezialeinheit der Polizei in Boston

Boston im Ausnahmezustand: Spezialeinheiten der Polizei durchkämmen den Vorort Watertown.

(Foto: Reuters)

Islamistische Attentäter aus dem eigenen Land, das war bisher ein Problem der Briten oder Franzosen. Jetzt ist es vielleicht auch ein Problem Amerikas - nachdem zwei eingewanderte tschetschenische Brüder für die Bomben von Boston verantwortlich sein sollen. Gegen terroristische Eigengewächse kann sich ein Land kaum schützen.

Ein Kommentar von Hubert Wetzel

Die meisten Einwohner von Watertown, Massachusetts, dürften keinen Gedanken an den Kaukasus verschwendet haben, als sie am Donnerstagabend ins Bett gingen. Als sie am Freitagmorgen aufwachten, wurden sie darüber informiert, dass zwei aus Tschetschenien stammende Brüder - gesucht als Verdächtige wegen des Bombenanschlags auf den Marathon in Boston - sich mitten in ihrer Gemeinde ein wildes Feuergefecht mit der Polizei geliefert hatten, bei dem einer der jungen Männer getötet wurde. Der andere, so die Warnung, befinde sich auf der Flucht, bewaffnet und gefährlich.

Vielleicht muss man sich in den Zeiten des internationalen Terrors an Derartiges gewöhnen. Die hübschen, ruhigen Sträßchen einer amerikanischen Vorstadt können über Nacht zum Kampfgebiet werden. So wie sich der Zielraum bei einem Marathonlauf von einer auf die andere Sekunde in ein Schlachtfeld verwandeln kann.

Es ist noch ein bisschen früh, um aus dem Wenigen, was man bisher über die Vorgänge in Boston in den vergangenen Tagen weiß, ein ganz großes Terrorkomplott zu stricken. Die amerikanischen Ermittler scheinen sich zwar sicher zu sein, dass die Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew die Splitterbomben beim Marathon gelegt haben. Und sicher ist auch, dass die beiden jungen tschetschenischen Einwanderer weder vor Mord zurückschreckten noch davor, selbst zu sterben.

Persönlicher Dschihad oder Auftragsarbeit?

Fast alles, was darüber hinausgeht, ist jedoch Spekulation. Warum die Männer, der eine 26, der andere 19 Jahre alt, zu Terroristen wurden, liegt im Dunkeln. Als sie vor etlichen Jahren nach Amerika kamen, waren sie wohl zu jung, um Anschlagspläne im Gepäck zu haben. Wurden sie in den vergangenen Jahren von einer internationalen Terrorgruppe rekrutiert? Haben sie auf andere Weise zum radikalen Islam gefunden? Waren die Bomben in Boston eine Auftragsarbeit? Oder ein kriegerischer Akt in einem ganz persönlichen Dschihad, den die Brüder Zarnajew gegen Amerika geführt haben? Oder sind sie am Ende doch nur zwei weitere gelangweilte, frustrierte Ego-Shooter-Halbwüchsige, die beschlossen haben, sich eine Knarre zu kaufen und es der Welt mal so richtig zu zeigen?

Von den Antworten auf diese Fragen wird Amerikas Antwort auf den Terror abhängen. Bisher hat Präsident Barack Obama bemerkenswert gelassen reagiert. Sollten von den Attentätern freilich Spuren auf russisches Territorium führen, wird es heikel. Terrorverdächtige in Jemen, Somalia oder Pakistan lässt Obama durch Drohnen töten. Was ist mit Tschetschenien?

Auch die Aussicht, dass die beiden Einwanderer sich in Amerika radikalisiert haben könnten, ist nicht beruhigend. Gegen solche terroristischen Eigengewächse kann sich ein Land kaum schützen. Amerikas große Stärke war immer, Einwanderer in seine Gesellschaft aufzunehmen und aus ihnen stolze Staatsbürger zu machen. Islamistische Attentäter aus dem eigenen Land, das war bisher ein Problem der Briten oder Franzosen. Seit Freitagmorgen ist es vielleicht auch ein Problem Amerikas.

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