Bob Dylan:Hey, Mr. Unterwäsche-Man

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Der 62-Jährige macht Werbung für Damenwäsche. "Er hat es auf keinen Fall aus kommerziellen Gründen getan", sagt der Hersteller. Nein, bestimmt nicht, beruhigt ein Fan den andern: "Die haben ihm eine Orgie mit den ganzen Models versprochen." Von Willi Winkler

Von Willi Winkler

Auf den Websites und bei den Fans herrscht das blanke Entsetzen. Ist es möglich? Kann das sein? Ist das, wird kaum mehr ironisch gefragt, "ist das der Beginn der Apokalypse?" Genau das ist es. Wie zumindest jeder bayerische Abiturient weiß, heißt Apokalypse auf Deutsch nichts anderes als Offenbarung.

Wer in dieser noch immer kalten Jahreszeit die Webseite des Unterwäsche-Herstellers "Victoria's Secret" aufruft, erfährt dort eine ganz neue und auch noch herzwärmende Offenbarung. Natürlich findet die modebewusste Dame die wie immer ansprechenden Dessous dieses Frühjahrs, Wunder-, Stütz-, Polster- und Schlankmacher-BHs in allen Farben und Preiskategorien inklusive Ratenzahlungsplan für die überforderte Kreditkarte.

Zwischen all den bunten Modellen aber irrt ein nicht mehr ganz junger Herr umher, der, mit Cowboy-Hut, Bleistift-Schnurrbart und Eyeliner nicht unbedingt der letzte Schrei, für die begehrte Unterwäsche wirbt. Es ist zwar nicht die Apokalypse, aber doch - Bob Dylan.

Dreh in Venedig

Der 62-jährige Liedermacher ist bereits in diversen Musikvideos und (meist heftig missglückten) Filmen aufgetreten, er hat seinen Ruhm auch bereitwillig zur größeren Ehre der Firmen Apple und Volkswagen eingesetzt, aber in einem Werbeclip für Damenunterwäsche war er in seiner mehr als 40-jährigen Laufbahn noch nicht zu sehen. Das 30-Sekunden-Video, das nun im amerikanischen Fernsehen läuft, wirbt mit märchenhaft blauen Venedigbildern für die "New Angels Collection". Gedreht wurde der Clip im Januar im Palazzo Pisani Moretta.

Der Palast am Canal Grande wurde Ende des 15.Jahrhunderts im Stil des "gotico fiorito" für die Pisanis erbaut und im 17.Jahrhundert nach der damaligen Barock-Mode umgestaltet. Bei der Innenausstattung wirkten Künstler wie Giambattista Tiepolo, Jacopo Guarana, Gaspare Diziani und, passenderweise: Giuseppe Angeli mit.

Der Zar, der österreichische Kaiser und Josephine Bonaparte waren hier gern zu Gast. Später verfiel der Palast, wurde aber in den letzten Jahrzehnten restauriert und zählt heute zu den schönsten im Umkreis der Rialtobrücke. Derzeit befindet sich der Palazzo im Besitz der Familie Sammartini.

Musik läuft im Hintergrund

Lange weiße Vorhänge wehen, neblig ist die Aussicht durch die gotischen Fenster hinaus auf den Kanal, auf den Campanile. Dazu ist eine neue Version von "Love Sick" zu hören, einem Song auf Dylans gefeierter LP "Time Out Of Mind" (1997). Darsteller Dylan wirft seinen Cowboy-Hut zu Boden, singt vom Band, dass er der Liebe überdrüssig sei und lechzt doch den Models nach, die vorne schneeweiße Büstenhalter tragen und hinten nicht weniger weiße, riesenhafte Engelsschwingen. Schrumm, macht die Gitarre, und der liebeswaidwunde Palast-Besucher letzt seinen Kummer nach Art älterer Männer an römischen Stilettos.

Haarverhangene Blicke streicheln ihn, schmolllippig lockt ein BH-verzierter Engel, aber ach, Schrumm, Sängers Blick geht wieder hinaus in die Ferne, auf den Kanal, Venedig.

Die süße Dummheit dieser edlen Anmache ist kaum zu überbieten. Merkwürdigerweise aber passt Dylans elektrisch verstärkte akustische Gitarre so gut zu der nachmittäglichen Dessous-Party, dass ein aufgebrachter Fan den Titel eines der bekanntesten Dylan-Songs gleich zu "Hey, Mr. Lingerie Man" (nach dem englischen, bzw. französischen Ausdruck für Unterwäsche) verbesserte.

Wein und BH's liegen nahe beieinander

Offenbar ist Dylan derzeit weniger am Nachruhm als am entspannten Hier und Jetzt interessiert und geriet so in die Werbebranche. Erst vor wenigen Tagen konnte der italienische Winzer Antonio Terni stolz melden, dass Dylan eine der neuen Abfüllungen mit seinem Platten-Titel "Planet Waves" veredeln wolle. Warum also nicht auch Spitzen-BHs?

Ed Razek, der Kreativdirektor des Wäscheunternehmens, hatte nach einer passenden Melodie gesucht und zwischen Luciano Pavarotti und Tom Waits alles ausprobiert, "aber nichts funktioniert besser als Dylan". Warum? "Der Song beschreibt genau, worum es in einer Beziehung geht." Aha. Es kann sich vielleicht nicht jeder Liebeskummer in prunkvollen venezianischen Palästen leisten, doch sollte man im Ernstfall immer die richtige Unterwäsche dabei haben.

Noch ist die Empörung groß über Bob Dylan, der sich nach der Elektrifizierung seiner frühen Folkmusik in den Sechzigern und dem Propagandafeldzug für Jesus in den späten Siebzigern ein weiteres Mal verkauft haben soll. "Er hat es auf keinen Fall aus kommerziellen Gründen getan", versichert man bei Victoria's Secret. Nein, bestimmt nicht, beruhigt ein Fan den andern. "Die haben ihm eine Orgie mit den ganzen Models versprochen."

© SZ vom 6.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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