Bill Clinton und sein Fitnesstrainer:Das Ende der Schmerzgrenze

Der Deutsche Ralf Hennig trat mit dem Satz an: "Mr. President, ich bin hier, um ihr Leben zu ändern". Und gewann das Vertrauen des ehemaligen US-Präsidenten

Von Marc Hujer

Chappaqua, 18. Juni - Es ist schon spät, die Sonne hat sich hinter den Schutzzaun geneigt, und endlich öffnet sich die wichtigste Tür des Tages.

Ralf Hennig und Bill Clinton

Ralf Hennig und Bill Clinton

(Foto: Foto: Hujer)

Oscar Flores, der Haushälter, drückt die Klinke herunter, und da liegt er nun, in seinem privaten Fitnessstudio, zwischen Hanteln, Laufbändern und Muskelmaschinen, mit seinen Turnschuhen Größe 47, einer fleckigen Bermudahose und einem alten T-Shirt. Bill Clinton, der 42. Präsident der Vereinigten Staaten.

An der Wand hängen Cartoons aus acht Jahren Präsidentschaft, ein Bild mit Basketball-Legende Magic Johnson und die Boxhandschuhe, die Silvester Stallone im Kinofilm "Rocky" getragen hat. Clinton hat gerade seinen linken Arm von sich gestreckt, die Beine auf die Seite gedreht, und obwohl sein Gesicht schon jetzt rot wie eine Warnlampe ist, ächzt er: "Mehr, mehr, mehr."

Ralf Hennig, der Fitnesstrainer aus Hofheim am Taunus, legt sich ein Stück tiefer über die verrenkte Hüfte des ehemaligen Präsidenten und holt einen weiteren Zentimeter heraus.

Man kann Clintons Kopf durch das bauschige Silberhaar glühen sehen und in der Spiegelwand sein verzerrtes Gesicht. "Dieser Mann ist 57", triumphiert Hennig, während Bill Clinton unter ihm die Schmerzgrenze erreicht. "Aber sein Körper ist der eines Dreißigjährigen."

Villa mit Wachturm

Hier in der "Scheune", einem zweistöckigen, dunkelroten Gartenhaus, in dem Clinton sein Fitnessstudio und sein Schreibzimmer hat einrichten lassen, hat der ehemalige Präsident der USA seine Memoiren "My Life" geschrieben.

Hier hat er einen Zwei-Meter-Stapel Notizpapier zusammengetragen, eine Sammlung aus seinem Leben und seiner Präsidentschaft, während sie draußen die Rechte versteigerten.

Für ein paar Monate sind hier in der Scheune die Fäden zusammengelaufen, an denen sich das neue Leben des Ex-Präsidenten orientierte: Ralf Hennig, Bill Clinton, das Buch.

Immer wieder hat Bill Clinton hier auf Hennig gewartet, wenn er nach der Arbeit ein wenig Sport machen wollte, wenn er jemanden brauchte, der ihm die Hanteln reichte, der ihm den Heimtrainer und die Muskelmaschine einstellte, der ihn auf die Aschenbahn der Greeley High School zum Joggen begleitete und seine Kalorien zählte.

In der kommenden Woche nun soll "My Life" in die Buchläden kommen, ein 956 Seiten starkes Werk, für das Clinton einen Rekordvorschuss von zwölf Millionen Dollar bekommen hat. "Ich brauche sein Buch nicht zu lesen", sagt Hennig, "da steht für mich nichts Neues drin."

Die Zeitungen sind jetzt schon voll von Clinton. Die New Yorker Boulevardpresse hat ihn diesen Donnerstag auf die Titelseiten gehoben, mehr als vier Tage bevor das Buch offiziell in Amerika erscheint.

Familientherapie

Schon jetzt stürzen sie sich auf jeden Halbsatz zur Monica-Lewinsky- Affäre, auf Clintons Geständnis, dass er grundlos alle angelogen habe, dass er seine Frau und seine Tochter Chelsea darüber zu verlieren drohte.

Man weiß schon jetzt, dass er über die monatelange Therapie erzählen wird, der er sich zusammen mit seiner Familie unterzogen hat. Und man erfährt, dass er nichts über seinen früheren Vizepräsidenten Al Gore sagen wird, weil er keinen Ärger will.

Buchhandlungen in New York und Washington kündigten bereits längere Öffnungszeiten am Montagabend an, um nach Mitternacht die ersten Exemplare verkaufen zu können.

Der Weg zu den Clintons führt vorbei an Golfklubs mit sechsstelligen Mitgliedsgebühren, an Palästen von Wall-Street-Millionären und Villen von Leuten wie Glenn Close, Ralph Lauren und Martha Stewart.

Es ist sauber hier oben in Chappaqua, es ist üppig und grün, ein manikürter Dschungel eine Dreiviertelstunde vom New Yorker Times Square entfernt. Als Hennig die Hügelstraße von Chappaqua hinauffährt, greift er noch einmal zum Handy und drückt die Taste "B". "B" wie Bill.

Er schaut kurz auf sein Telefon, dann sagt er, ohne danach gefragt zu werden: "Natürlich sage ich auch Mr. President zu ihm. Aber wenn ich ihn anfasse, ist er für mich nur der Bill."

Das "Weiße Haus von Chappaqua" nennt man die 1,7 Millionen Dollar teure Villa, die sich die Clintons vor vier Jahren hier gekauft haben. Der Geheimdienst hat um das Haus einen weißen Holzzaun gezogen, in einem kleinen Wachturm sitzen zwei Beamte vom staatlichen Sicherheitsdienst.

Ralf Hennig hat Bill Clinton schon beim letzten Training vorgewarnt, dass er in dieser Woche einen deutschen Reporter mitbringen wolle.

Das Ende der Schmerzgrenze

Aber Clintons Manager haben sofort nein gesagt, sie haben auf die PR-Leute in New York und Washington verwiesen und erklärt, alle Interviews seien bereits vergeben, alle Auftritte geplant, alles müsse schließlich seine Ordnung haben.

Aber Hennig lässt sich nicht beirren, er stellt seinen Kombi vor dem Haus der Clintons ab und sagt: "Warten Sie einfach im Auto. Ich rede mit dem Präsidenten."

Dann steigt er aus, passiert die Kontrolle und verschwindet hinter dem Haus.

Eine gute halbe Stunde vergeht und nichts passiert. Nur einmal fahren zwei Jeeps vor, eine Frau ruft aus dem ersten Jeep nach hinten: "Das ist es, das Clinton-Haus."

Danach ist wieder Stille, außer den Schatten hinter den verdunkelten Fenstern des Kontrollhauses bewegt sich nichts mehr, bis auf einmal der Haushälter Oscar Flores dasteht und sagt: "Kommen Sie bitte mit."

Der Unersättliche

Hennig erzählt später, er habe Clinton nach einer halben Stunde Heimtrainer noch einmal daran erinnert, dass da draußen ein Reporter warte.

Clinton habe weitergestrampelt. Dann, plötzlich, als er mit dem Heimtrainer fertig war, habe er gesagt: "Ja, wo ist er denn nun, dein Kumpel?"

Sie haben Bill Clinton den Unersättlichen genannt, den Präsidenten, der angeblich weder Maß noch Grenzen kennt. Acht Jahre war er Oberhaupt der Vereinigten Staaten, er hat Kriege geführt, in Somalia, in Bosnien und Ruanda, er hat über den Frieden im Nahen Osten verhandelt und der amerikanischen Wirtschaft einen Jahrhundertboom geschenkt.

Als er aus dem Amt ausschied, war er 54, zu jung, um in Rente zu gehen, zu interessiert, um sich nur um den Kampf gegen die Aids-Seuche und die Regionalentwicklung der Wirtschaft von Harlem zu kümmern.

Er hat Reden gehalten und damit in nur zwei Jahren 18 Millionen Dollar verdient. Und er hat Sport gemacht.

Amerika oder Himalaya

Drei- bis viermal in der Woche hat er Ralf Hennig hierher bestellt. Clinton sagt, er sei so fit wie seit zwanzig Jahren nicht mehr, als er noch Gouverneur von Arkansas war und im Fernsehen Fitnesssendungen anschaute.

Als Clinton jüngst von der Zeitschrift Vanity Fair gefragt wurde, warum er sieben Kilo abgenommen habe, sagte er, "wegen der South-Beach-Diät und wegen Ralf".

Hennig gilt als einer der erfolgreichsten Trainer der New Yorker Schickeria, seine Kundenliste ist eine Endlosschleife der Superlative. Ein Tag mit ihm führt nicht nur in die Clinton-Villa, in der er auch Senatorin Hillary Clinton und Tochter Chelsea trainiert, wenn sie mal zu Hause ist.

Er trainiert auch den 71-jährigen Sanford Weill, Chef der weltgrößten Bankgruppe Citicorp, und Nelson Peltz, Chef der Fastfood-Kette Arby's, der so viel Geld hat, dass er auf seinem Anwesen ein eigenes Einfamilienhaus für seine Hunde und eine Eishockeyhalle für seine Söhne errichten ließ.

300 Dollar kostet bei Hennig eine Stunde. Er hat eine Villa und gehört jetzt irgendwie auch zu den "besseren Kreisen". Was die Clintons betrifft, wird er an Weihnachten zur Secret-Service-Party eingeladen.

"Der Mensch braucht Struktur", sagt Hennig, wenn man ihn nach den Grundsätzen des Lebens fragt. "Denn wenn die Struktur weg ist, bricht der Trieb wieder durch."

Hennig, Jahrgang 1961, ist deutlich jünger als Clinton, er ist schlank, sehnig und groß und so gut in Form, dass ihn der damalige Chef des Nobelkaufhauses Sak's Fifth Avenue einmal mit offenem Hemd für eine Vatertags-Werbekampagne fotografieren ließ.

Hennig sagt, dass er Clinton in vielen Dingen versteht, denn auch er hatte keine leichte Jugend, auch er wollte ein anderes Leben führen. Sein Vater war Bergarbeiter im Ruhrpott, dann Kammerjäger bei Rent-o-Kill, aber Ralf Hennig wollte Tennisspielen und Skifahren, wie es die Wohlhabenden machten.

"Als ich 14 Jahre alt war, wollte ich nur noch raus", sagt Hennig. "Amerika oder Himalaya." Dann wurde er Koch, weil sein Vater behauptete, er könne dann reisen und habe "immer etwas zu essen auf dem Tisch".

Als Bill Clinton Gouverneur von Arkansas war, tingelte Hennig gerade als Koch durch die Welt. Er nahm Jobs im Hotel Trübsee in der Schweiz an, im Red Sea Palace Hotel in Saudi-Arabien, im Penthouse Club auf den Bermudas und im Cayman Shores auf den Cayman-Inseln.

Nebenbei lernte er Skifahren, Karate, Tennis, Tauchen und Aerobic, Dinge, die er sich als kleiner Junge im Taunus immer erträumt hatte. Als er eine Affäre mit der Fitnessclub-Besitzerin auf den Cayman-Inseln hatte, wurde er vom Ehemann erwischt und flüchtete mit einer Flugbegleiterin nach New York.

Dort kochte er im "The Arch", einem der renommiertesten Restaurants der Gegend, machte ein deutsch-österreichisches Spezialitätenrestaurant auf und später ein "Mini-Spa Luncheon", in dem man Sit-ups machen und fettfrei essen konnte.

Zittern im Hinterhof

Im Tenniscenter von Ivan Lendl begann er nebenbei seine Fitnesstrainer-Karriere.

Dort hat er die Leute kennen gelernt, die ihn viele Jahre später bei Clintons empfehlen sollten. Als der Anruf kam, wusste er sofort, dass dies seine große Chance war, dass er jetzt wahr machen konnte, was er an jenem Tag dachte, als die Clintons das erste Mal nach Chappaqua kamen, um ein neues Haus zu suchen: Den will ich trainieren.

Clintons Haushälter Oscar Flores erinnert sich noch heute, wie dieser fremde junge Mann zitternd im Hinterhof stand. Und Hennig kann sich noch an jedes Wort erinnern, das er damals sagte: "Mr. President, ich bin hier, um ihr Leben zu ändern."

Das Ende der Schmerzgrenze

Es muss Clinton gefallen haben, denn er erwiderte nur amüsiert, na wenn das so sei, müsse er erst einmal seine Frau holen. Hennig sprach auch noch über sein Konzept, über die Maschinen, die nicht alles sind, und über seinen Performanceball, eine Spezialform des Medizinballs, den er selbst entwickelt hat. "Clinton hat ihn von Anfang an gemocht", sagt Oscar Flores.

"Das Interessante an Ralf ist", sagt Bill Clinton, "dass er mit fitten Menschen zusammenarbeitet, mit Kranken und mit alten Männern wie mir."

Hennig sagt, zu seinem Erfolg gehöre, dass er die Leute zu verstehen versuche, "physikalisch und mentalisch". Er muss wissen, wie sie geschlafen haben, ob sie viel reisen und arbeiten müssen, denn nur dann, sagt er, kann man das Trainingsprogramm optimal einstellen.

"Wir müssen alle aufs Klo"

Bei den Clintons hat es mit dem Vertrauen etwas länger gedauert. Der US-Geheimdienst hat ihn angeblich wochenlang überprüfen lassen, und als er dann zum ersten Mal antrat, erklärte ihm Hillary Clinton: "Wir haben dich komplett durchleuchten lassen."

Aber inzwischen genießt er auch ihr Vertrauen, er sagt, dass er und der Präsident heute über alles reden können, auch über die "Weibergeschichten".

Aus dem Ruhm und dem Reichtum seiner Kunden macht sich Hennig nicht viel. "Wir müssen alle aufs Klo und wir werden alle das Geld nicht mitnehmen können. Das befriedigt mich."

Aber auch er lebt von der Aura der Clintons. Es ist nun mal keine schlechte Werbung, der persönliche Trainer des Ex-Präsidenten zu sein. In Chappaqua geht Ralf Hennig in die gleichen Läden wie Clinton, in "Lange's Little Deli" etwa, wo es die besten Sandwiches gibt.

Er kennt die kleinen Geschichten, die hier in Ehren gehalten werden. Clintons erster Kaffeehausbesuch, bei dem er 32 Prozent Trinkgeld hinterließ, oder der Tag, an dem er auf dem Weg nach Saudi-Arabien war und in einer Bäckerei einen Himbeermuffin kaufte.

Probleme mit der Disziplin

Alle hier sind verrückt nach Clinton. Die Historische Gesellschaft hat eine Ausstellung über ihn gemacht, mit Fotos, mit seinen Golfschlägern und einer handsignierten Packung M&Ms, Clintons Lieblingssüßigkeit.

Das Fremdenverkehrsamt führt eine Top-Five-Liste der Orte, an denen man Clinton am wahrscheinlichsten antrifft. Und unten in Harlem, wo Clinton sein Büro hat, klagen die Nachbarn, er sei zu selten da. "Als er hier einzog", sagt ein Anwohner, "war es wie bei der Auferstehung Christi."

Oben in seinem grünen Dschungel in Chappaqua trainiert Clinton und weiß sehr genau, was er für eine Wirkung hat. Und er weiß, wie man Menschen für sich gewinnt.

Deshalb beginnt er über Deutschland zu schwärmen, über das Land und die Leute, über die Stunden, die er am Brandenburger Tor verbracht hat, auf Schloss Neuschwanstein und auf der Wartburg.

Er redet über Gerhard Schröder, der mit seinem Programm von der Neuen Mitte "wirtschaftlich das gemacht hat, was ich auch gemacht habe", und über Helmut Kohl, der ihn die längste Zeit seiner Präsidentschaft begleitet hat.

Er hat Kohl oft getroffen, jetzt aber erinnert er sich vor allem an ein ausgiebiges Essen im Washingtoner Vielesser-Restaurant "Filomena". "Ich muss mal wieder nach Deutschland", sagt Clinton.

Für ganze zwei Monate gehört der Ex-Präsident jetzt dem Verlag. "Wir haben über nichts mehr die Kontrolle", sagt Oscar Flores, Haushälter, Manager und Koch der Clintons.

Dann zählt er Termine auf: Washington, Little Rock, New York, wo Clinton das Buch zum ersten Mal signieren wird. Dann der Rest der Welt. "In Deutschland wird er Ende Juli sein", sagt Oscar Flores.

"Dieser Western Style"

In Chappaqua ist inzwischen das Training zu Ende. Bill Clinton stellt sich in den Türrahmen seines Fitnessstudios, aufrecht, als stehe er seinem Trainer zu Ehren Spalier.

Hinter seinem Rücken geht es zu den Toiletten und seinem Schreibzimmer. Zwei Sofas stehen dort, ein Schreibtisch, ein Mammutfernseher und viele "Trophäen, die er aus dem Weißen Haus mitgebracht hat", meint Hennig.

Die letzten vier Wochen habe Clinton hier "wie ein Zombie" gearbeitet und das Training vernachlässigt. Gerade die Amerikaner hätten Probleme mit der Disziplin. "Die wollen immer die magic pill, alles haben, ohne dafür etwas zu tun - das ist dieser Western Style, das hat schon mit den Cowboys angefangen", sagt Ralf Hennig, der Trainer.

Clinton, noch immer im Türrahmen, lehnt sich nach vorne, weil so sein vom Schreiben verspannter Rücken gedehnt wird. Noch einmal errötet sein Kopf, die Beine beginnen vor Anstrengung zu zittern. "Eine bessere Übung gibt es nicht", sagt er. "Die hat Ralf mir gezeigt." Hennig tritt neben ihn, schiebt ihm sanft den Brustkorb nach vorne: "So standen Sie da, als Ronald Reagan beerdigt wurde."

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