BGH-Urteil zu Massen-Gentests:Über falsche Treffer zum richtigen Täter

Eine junge Frau wird brutal vergewaltigt. Um ihren Peiniger zu schnappen, wird ein Massen-Gentest angeordnet. Der führt tatsächlich zum Erfolg - allerdings über Umwege: Vater und Onkel des Täters fallen durch teilweise Übereinstimmungen auf. Nun prüft der Bundesgerichtshof, ob die Ermittler die Anonymität der beiden Männer aufheben durften.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

DNA-ANALYSE

Massen-Gentests werden auch nach dem Urteil in Karlsruhe weiter zum Einsatz kommen - sie gehören mittlerweile zum wichtigsten Instrumentarium der Kriminalistik.

(Foto: DPA/DPAWEB)

Die Erinnerung an das brutale Verbrechen war frisch und der Zulauf gewaltig, als die Polizei zum Massen-Gentest aufrief. 2400 Männer strömten im Oktober 2010 zur Speichelprobe ins Rathaus im emsländischen Dörpen. Drei Monate später meldete die Polizei Erfolg: Ein 16-Jähriger sei der Vergewaltiger, der im Juli eine 27-jährige Frau überfallen und schwer verletzt habe. Ein prominenter Dörpener, Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann (CDU), lobte das "bürgerliche Engagement". Das Landgericht Osnabrück verhängte fünf Jahre Jugendstrafe.

An diesem Donnerstag wird der Fall vom Bundesgerichtshof (BGH) überprüft - weil die Verbrecherjagd mit Wattestäbchen womöglich rechtswidrig war. Denn das Massenscreening führte erst über einen Umweg zu dem jungen Mann, dessen Blut auf dem T-Shirt des Opfers war.

Bei zwei Proben waren genetische Ähnlichkeiten zur wahrscheinlichen Täter-DNA aufgefallen, und tatsächlich: Der Vater und der Onkel des Jungen hatten am Test teilgenommen. Der Rest war Routine. Ein Test beim Verdächtigen - Treffer.

Zwangsuntersuchung der schwarzen Schafe

Zwar ist es anerkannt, dass der Täter durch einen Massentest gleichsam eingekreist werden darf. Bleibt nach lauter negativen Ergebnissen in der nunmehr weißen Herde nur noch ein Grüppchen schwarzer Schafe zurück, dann darf gegen sie irgendwann eine Zwangsuntersuchung angeordnet werden.

Der Dörpener Fall liegt jedoch anders. Dort ist die Polizei nämlich zwei Proben nachgegangen, die zwar keine Treffer waren, aber knapp neben dem Ziel lagen - was sie nach dem Wortlaut der Strafprozessordnung eigentlich nicht darf. Denn beim automatisierten Screening soll die Anonymität einer Probe nur dann gelüftet werden, wenn sie mit der Spur vom Tatort übereinstimmt; der Rest muss schon aus Datenschutzgründen vernichtet werden.

Für Ralf Neuhaus, den Verteidiger des Angeklagten, folgt daraus: Die Beweise gegen seinen Mandanten hätten vor Gericht nicht verwertet werden dürfen.

Dass "Früchte vom verbotenen Baum" für die Justiz tabu sind, ist freilich eher ein angelsächsischer Grundsatz. In Deutschland ist man da nicht so zimperlich. Zwar bleiben erzwungene oder auf fehlender Belehrung über das Schweigerecht entstandene Aussagen den Richtern verschlossen, ebenso die Erkenntnisse eines Polizeispitzels, der den Angeklagten in der Untersuchungshaft ausgehorcht hat.

Aber sonst herrscht Pragmatismus bei der Wahrheitssuche. Längst nicht jeder Fund, der aus einer unkorrekten Polizeirazzia in Tatort-Manier stammt, ist vor Gericht unverwertbar.

Die Massentests werden jedenfalls auch in Zukunft zum Einsatz kommen, egal, wie der BGH urteilt. Dass die Teilnahme daran freiwillig sei, steht zwar im Gesetz - faktisch kann man sich der Speichelprobe aber kaum entziehen. Verfassungsgemäß ist die Methode trotzdem, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1996 entschieden hatte. Nach einem Mord wurden 750 Münchner Porschefahrer zum "freiwilligen" DNA-Test gebeten - einer weigerte sich. Ihn daraufhin zum Test zu zwingen, war erlaubt, befand Karlsruhe.

2003 wurde der Mörder dann verurteilt. Es war übrigens nicht der Porschefahrer. Sondern der Mann der Putzfrau des Opfers.

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