Besuch im Gefängnis Tegel:"Wer rauskommt hat Wut im Bauch"

Das größte Gefängnis Deutschlands in Berlin-Tegel ist seit Jahren überfüllt. Das gefällt weder der Justizsenatorin noch der Opposition, doch beide haben wenig Konzepte. Die Gefangenen dagegen wüssten, was zu tun ist.

Im größten deutschen Männergefängnis wird an diesem Tag Polit-Theater gespielt. Sonst proben im "Kultursaal" hinter vergitterten Milchglasfenstern und auf abgewetztem Linoleumboden Schwerverbrecher für ihre Aufführungen. Doch Anfang April hat die Leitung der Justizvollzugsanstalt (JVA) dem Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses einen provisorischen Sitzungssaal hergerichtet.

In der Mitte sitzt Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), die für dieses Gefängnis verantwortlich ist - ein chronisch überfülltes, baulich veraltetes Gefängnis, wie ihr die Opposition aus Grünen, CDU und FDP vorwirft. Aber auch die Berliner Regierungsparteien SPD und Linke haben diesen Ortstermin mitbeantragt, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es im Gefängnis Tegel aussieht. Spätestens seit in der überfüllten JVA Siegburg Gefangene einen Mithäftling zu Tode folterten, ist die Situation der Gefängnisse ein heikles Thema.

Alles ist "schwierig"

Tegel ist das größte deutsche Männergefängnis. Wie Anstaltsleiter Ralph-Günter Adam erklärt, sitzen hier vor allem Wiederholungstäter hinter Gittern - oder Täter, die gleich beim ersten Mal "erhebliche Straftaten" verbrochen haben. Die Aufgabe des Justizvollzugs in Tegel sei daher "keine leichte", betont er. Auch die SPD-Justizsenatorin betont die "schwierige Aufgabe", die "schwierige Situation", den "schwierigen Strafvollzug."

"Schwierig" ist es für von der Aue mit den Berliner Gefängnissen schon länger. 2006 starben in Berliner Gefängnissen 16 Häftlinge. Nachdem sich im November 2006 im Untersuchungsgefängnis Moabit ein 37-jähriger Häftling erhängte, beschloss von der Aue per Dienstanweisung, dass Selbsttötungen in Berliner Gefängnissen in Zukunft nicht mehr publik gemacht werden sollten. Die Opposition warf ihr Versagen und Verschleierungstaktik vor.

In Tegel will von der Aue an diesem Tag zeigen, dass man trotz der "schwierigen Situation" alles "gut im Griff" habe und überall auf dem "richtigen Weg" sei. Anstaltsleiter Ralph-Günter Adam nennt die aktuellen Zahlen. 1571 Haftplätze sind vorgesehen, 1613 Männer sind gegenwärtig eingesperrt. "Wir sind noch immer überbelegt", sagt er mit rotem Kopf und zusammengezogenen Brauen. Aber eben nicht mehr "gravierend", wie etwa 2006.

Auch über Baumaßnahmen berichtet er, von einer neuen Heizungsanlage und einer Rufanlage für die Teilanstalt 1, damit die Gefangenen im Notfall Hilfe holen könnten. Dirk Behrend von den Grünen findet das alles unzureichend. "Als hier etwas vorwärts ging, das war in den siebziger Jahren!" ruft er. Für Tegel brauche es nicht eine "neue Klingelanlage hier und eine neue Heizung da", sondern ein Konzept, wie die uralte Bausubstanz des 1898 gebauten Gefängnisses saniert und die Überbelegung abgebaut werden könne. Und das fehle der Justizsenatorin.

Sven Rissmann (CDU) betont, man habe bei der Besichtigung des Gefängnisses gesehen, woran es fehle: am Personal. Aber der SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier verweist auf die prekäre Finanzlage Berlins und rechnet vor, dass schon vor dem Antritt des rot-roten Senats im Jahr 20001 das Personal reduziert wurde. "Das war die große Koalition, unter Mitwirkung der Union!"

Den Grünen wirft der Sozialdemokrat vor, sie hätten auch kein Konzept, wie die Probleme in den Berliner Gefängnissen behoben werden könnten. Nach anfänglichen Attacken wird die Opposition zunehmend ruhiger - die Worte von der "schwierigen Lage" kommen nun auch aus ihren Reihen.

Schwierig ist die Lage für allem für die Gefangenen, aber die kommen in der Senatsausschuss-Sitzung nicht zu Wort. Aber am Telefon können die Redakteure der Gefängniszeitung Lichtblick Auskunft über ihre Lage geben. "Der Personalmangel ist nicht das große Problem", meint einer der Redakteure, der aus Angst vor Repressionen durch die Gefängnisleitung seinen Namen nicht nennen will. "Wenn irgendwo eine Schlägerei ist, sind die Wärter ohnehin nicht gleich da." Seiner Meinung nach ist das Problem die Überbelegung und nicht der Personalmangel. "Ich sehe nicht, dass da viel besser geworden ist."

"Wer rauskommt hat Wut im Bauch"

Anstaltsleiter Adam betont, dass Häftlinge nur auf freiwilliger Basis mit mehreren auf der Zelle säßen. "Diese Freiwilligkeit ist ziemlich unfreiwillig", dementiert der Gefangene vom Lichtblick die Aussage des Anstaltsleiters. "Nur wenn man unterschreibt, dass man mit anderen Häftlingen auf die Zelle geht, hat man Chancen auf Haftlockerung oder darauf, früher aus dem Knast zu kommen." Diese Chancen seien aber ohnehin "minimal", sagt der Strafgefangene. Denn in Berlin käme kaum jemand vorzeitig aus dem Gefängnis. Das kritisieren auch die Grünen. Denn die Überbelegung liegt nicht an steigender Kriminalität, sondern daran, dass die Häftlinge immer länger sitzen.

"Die versuchen uns so lange hier zu behalten, wie es geht", sagt der Lichtblick-Redakteur. Weil es immer einen Medienaufschrei gäbe, "wenn einer mal vom Ausgang nicht wiederkommt", hätten die Verantwortlichen Angst davor, die Häftlinge früher zu entlassen, obwohl der Gesetzgeber das vorsieht. "Die Missbrauchsrate bei Haftlockerungen ist aber extrem gering", sagt der Gefangene. Das sagt auch der Anstaltsleiter: "Bei dreitausend Ausgängen hat es nur einen Fall gegeben, wo einer nicht rechtzeitig zurückkam, weil er einen Alkoholrückfall hatte."

Im Gefängnishof zwischen Sicherheitsschleusen und Stacheldraht sitzt ein Graureiher in einem künstlich angelegten Teich. "Beschäftigungstherapie-Gruppe" steht auf einem mannshohen rot angestrichenen Holzschild neben dem winzigen Teich in der Betonwüste, im Hintergrund die grauen Gebäudekomplexe mit den vergitterten Fenstern.

"So etwas Resozialisierung zu nennen, ist doch absolute Verarschung", meint der Lichtblick-Redakteur. Seiner Meinung nach sollten die Häftlinge im Knast ordentliche Arbeit bekommen. Aber nur 60 Prozent haben im Gefängnis Arbeit. Und die sei oft nicht fördernd. "Wer hier in den Werkstätten arbeiten lernt, kommt mit den Leistungsanforderungen draußen nicht zurecht."

Ob er als Gefangener eine Lösung der Probleme vorschlagen könne? "Der Staat soll sich endlich an seine Gesetze halten", sagt er. Die Gesetze sehen den offenen Vollzug als Regelvollzug vor. "Aber in der Realität ist der geschlossene Vollzug die Regel." Im offenen Vollzug könnten die Gefangenen den Bezug zur Außenwelt wahren. Im geschlossenen Vollzug verlieren sie Arbeit, Wohnung und Familie. Wer dann wieder rauskomme, "hat einfach Wut im Bauch."

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