Bestatter in Moskau:Ab in die Kiste

Weil sich in Moskau die Zahl der Beerdigungsinstitute in kurzer Zeit vervierfacht hat, nimmt der Kampf um Kunden groteske Züge an.

Frank Nienhuysen, Moskau

War es das Herz, Totschlag im Suff, oder ein zu schneller Land-Rover? Russlands Bestattungsbranche ist seit langem ziemlich ausgelastet, auch in der Wirtschaftskrise sterben Menschen. In Moskau sind es jeden Monat 10.000.

Bestatter in Moskau: In Russland bietet das Bestattungswesen konjunkturelle Stabilität. Zumindest wenn die Konkurrenz nicht derart gewaltig ist wie derzeit in Moskau.

In Russland bietet das Bestattungswesen konjunkturelle Stabilität. Zumindest wenn die Konkurrenz nicht derart gewaltig ist wie derzeit in Moskau.

(Foto: Foto: AFP)

So viel konjunkturelle Stabilität hat offenbar Begehrlichkeiten geweckt, denn in den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Beerdigungsinstitute allein in der russischen Hauptstadt von 40 auf mehr als 160 gestiegen. Mit unappetitlichen Nebenwirkungen, die nun den Zorn von Moskaus Oberbürgermeister Jurij Luschkow geweckt haben. Es ist der Schwarzhandel mit dem Tod.

Eine Reihe von Bestattungsfirmen hat sich mit Medizinern und Polizeibeamten vernetzt und bezahlt ihnen bis zu 8000 Rubel (280 Euro), um möglichst noch vor der Konkurrenz von einem neuen Todesfall zu erfahren. "Jeder, der solche Informationen verkauft, hat quasi seine eigene Firma", sagte Luschkow.

"Kaum ist ein Mensch gestorben, rennen schon acht bis zehn Bestattungsagenten zu den Verwandten und bieten ihre Dienste an", erzählt Wladimir Malyschkow, Leiter der Moskauer Verbraucherdienst-Abteilung. "Kürzlich hatten wir da so einen Fall - Gott weiß, mit wem die Leute da einen Vertrag geschlossen hatten. Mit dem Leichnam kamen sie am Friedhof an, wurden aber nicht reingelassen."

Der Chef der Moskauer Stadtduma, Wladimir Platonow, sprach zwar nur von bis zu fünf Firmen, die sich sofort nach einer Todesnachricht auf den Weg machten, das Ergebnis aber ist dasselbe. Die trauernden Familien, geschockt und überrumpelt, bezahlen zwischen 60 und 200Prozent mehr als branchenüblich.

Nun will Moskau das sinistre Treiben beenden. Die Stadtregierung plant die Einführung von Lizenzen, wie es auch in anderen Ländern üblich ist, und eine strafrechtliche Verfolgung des Informationenhandels.

Die Friedhöfe sind voll

Auch über eine einheitliche Telefonnummer ähnlich der für Polizei und Notdienst denkt Moskau nach. Über diesen Anschluss soll ein "verantwortungsvoller Bestattungsdienst garantiert werden". Doch selbst wenn Moskau den ethischen Kampf gegen die dubiosen Bestatter gewänne, bliebe immer noch die Frage: Wohin überhaupt mit dem Leichnam?

Die Moskauer Friedhöfe sind chronisch ausgelastet. Nur der Perepetschinskij-Friedhof hat noch freie Plätze, der aber liegt 40 Kilometer außerhalb der Stadt, und selbst dort wird die Einäscherung empfohlen, um Platz zu sparen.

Moskau hatte deshalb eigentlich 2010 für den Neubau sowie den Umbau bestehender Friedhöfe mehr als fünf Millionen Euro ausgeben wollen. Nach einem Bericht der Zeitung Kommersant ist diese Summe wegen der Krise allerdings schon wieder um 15 bis 20 Prozent gekürzt worden und einige der Projekte seien in Frage gestellt. Womöglich aber könnte auch ein verschärfter Kampf gegen die Kriminalität die Lage etwas entspannen. Denn jedes Jahr werden in Moskau tausend Menschen ermordet.

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