Berufsbild Polizist:"Ich weiß jederzeit, wie wichtig es ist, dass ich da bin"

Polizisten in Hamburg

Polizisten auf dem Valentinskamp in Hamburg.

(Foto: dpa)

Chronisch unterbesetzt, geringes Gehalt, enorme Überstunden und in erster Reihe stehen, wenn es kracht - warum wollen trotzdem viele junge Leute Polizist werden?

Protokolle von Leonie Gubela, Max Sprick und Vivien Timmler

Der G-20-Gipfel in Hamburg war für die Polizei kein gutes Wochenende. Mehr als 200 Beamte wurden bei den gewalttätigen Ausschreitungen verletzt. Und die Einsatzkräfte stehen wegen des eskalierten Demonstrationen schwer in der Kritik. Gegen mehr als 30 Beamte wird sogar wegen Körperverletzung im Amt ermittelt, weil sie Pfefferspray und Wasserwerfer auch gegen friedliche Demonstranten eingesetzt haben.

Polizisten stehen ständig unter Beobachtung - und ihre Einsätze können gefährlich, manchmal sogar lebensbedrohlich sein. Die Zahl der Übergriffe auf Polizisten steigt seit Jahren. Hinzu kommt die Arbeitsbelastung. 22 Millionen Überstunden haben deutsche Polizisten nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei im vergangenen Jahr angesammelt und das bei einer im Vergleich zu anderen Branchen im öffentlichen Dienst, eher mageren Gehältern. Manche Beamte, etwa in Berlin, üben sogar Nebenjobs aus, um ihr geringes Einkommen aufzubessern.

CDU und CSU versprechen in ihrem Wahlprogramm mindestens 15 000 zusätzliche Polizisten. Bewerber gibt es, noch immer ist der Polizeidienst einer der beliebtesten Ausbildungsberufe. Aber warum wird man heute Polizist? Wir haben fünf junge Menschen gefragt, warum sie diesen Weg eingeschlagen haben.

"Wenn der Befehl zum Anhalten kommt, musst du Steine und Flaschen irgendwie mit dem Körper abfangen"

"Momentan bin ich als Bundespolizist am Flughafen eingesetzt, aber das ist mir etwas zu steril. Wir laufen Streife, kontrollieren Papiere und achten darauf, dass während der Sicherheitskontrolle niemand durchbricht. Der Hauptbahnhof wäre spannender. Dort gibt es beispielsweise regelmäßig Randalierer oder Sprayer. Hört sich komisch an, aber mit denen in Berührung zu kommen, finde ich interessant - gerade, weil ich selbst noch jung bin.

Als Teil einer Hundertschaft bei Demos im Einsatz zu sein, ist wiederum nicht meine Welt. Ich hab das einmal machen müssen und fand es extrem beklemmend. Weil wir eine neue Rüstung bekommen haben, sind Schilder nur optional. Man bewegt sich in einer Kette mit anderen Kollegen und wenn der Befehl zum Anhalten kommt, bleibst du stehen und musst Steine und Flaschen irgendwie mit dem Körper abfangen.

In der Kette ist es unmöglich, auszuweichen oder wegzurennen. Erschreckend ist, dass den Leuten, die dich bewerfen, anscheinend völlig egal ist, dass sie dir wehtun, weil sie nur stumpf ihre Sache vertreten. Das ist blinder Hass, der einem da entgegenschlägt. Dieses "Wir gegen die Polizei" kann ich zwar ein stückweit nachvollziehen, aber denen ist nicht klar, wie es sich anfühlt, wenn Steine auf deinen Helm knallen. Dazu kommt, dass die Schutzausrüstung verschleiert, dass da ein Mensch druntersteckt.

Was ich an dem Job mag, ist das Kommunikative, ich bin nicht auf den Mund gefallen. Ich setze mich aber auch gerne hin und schreibe stundenlang Berichte. Ich habe auf jeden Fall ständig etwas zu tun."

Raphael K., 23, Bundespolizist

"Nein, das mache ich nicht" zu sagen, traut sich niemand

Als Schülerin war ich sehr schüchtern. Meine Polizeiausbildung war quasi eine Schocktherapie. Plötzlich stand ich vor fremden Leuten, die Mist gebaut hatten, und musste denen eine Ansage machen. Nach einem Jahr auf der Wache wurde ich in die Hundertschaft eingezogen. Freiwillig hätte ich mich nie beworben, aber es gibt eine Frauenquote und ich wurde reingelost. Allein von der Vorstellung, mittendrin zu stehen in den Menschenmassen, wurde ich panisch. Aber man bekommt Routine.

Meistens arbeite ich jetzt bei Großveranstaltungen wie Demonstrationen oder Fußballspielen. Auch bei Razzien sind wir dabei. Hinzu kommt alles, was spontan anfällt. Rockerkrieg, Bombendrohungen, im Wald nach Vermissten suchen.

Der G-20-Gipfel ist ein typischer Hundertschafts-Einsatz. Anfangs haben viele aus meiner Einheit noch gesagt, sie würden gerne dabei sein. Doch ein paar Tage vorher, als klar wurde, wie krass die Autonomen in Hamburg drauf sind, kamen die Zweifel. Ein paar Mädels bei uns in der Kabine sagten, dass sie Angst haben. Die hätten sich gerne noch frei genommen. Aber es war zu spät. Spontan gibt es nur Urlaub, wenn die eigene Frau ein Kind zur Welt bringt oder man auf eine wichtige Beerdigung muss. "Nein, das mache ich nicht" zu sagen, traut sich bei uns niemand.

Ich selbst habe schon ein Jahr im Voraus Urlaub eingetragen, auch wenn ich da das genaue Datum des Gipfels nicht kannte. Zum Glück, sonst hätte ich auch hingemusst. Zwar gab es auch in Hamburg friedliche Formen des Protests, die ich sehr gerne geschützt und ermöglicht hätte. Aber das, was sich die Autonomen geleistet haben, macht mich fassungslos. Ich war schon in ähnlichen Situationen. Man wird von der "ersten Reihe" der Demonstranten nicht als Mensch betrachtet, sondern als Gegenstand, der den Staat repräsentiert. Sie werfen Straßenschilder auf dich oder Böller. Ob Mann oder Frau macht keinen Unterschied.

Trotz allem mache ich meinen Beruf sehr gerne. Schon oft waren Menschen einfach dankbar, dass ich da war. Das stärkt mich und ich vergesse in solchen Momenten, dass es Leute gibt, die mich wegen meines Berufes hassen. Aber ich sage ehrlich: Ich freue mich extrem, wenn meine Zeit in der Hundertschaft nach zwei Jahren vorbei ist.

Katharina L., 26, Hundertschaftsbeamtin aus Nordrhein-Westfalen

Ständiger Nervenkitzel

"Man drückt keine Meinung aus, in dem man einen Mittelklassewagen ansteckt"

In ein paar Monaten bin ich fertig mit dem Polizeihochschul-Studium - und ich weiß, dass danach 14-Stunden-Arbeitstage auf mich zukommen. Zwar wird jede Überstunde aufgeschrieben und irgendwann entlohnt, aber selbst wenn nicht: Meine Arbeit macht mir Spaß. Es ist unheimlich befriedigend, einen Fall abzuschließen oder Ermittlungen in eine neue Richtung zu führen. Man weiß morgens nie, wie der Tag abläuft, man hat ständig Nervenkitzel.

Klar, es geht an die Substanz, wenn man zu einer Bahnleiche gerufen wird oder Angehörigen die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen überbringen muss. Ich träume nicht selten davon, aber es schlägt mir nicht so auf die Psyche, dass man sich Gedanken um mich machen muss.

Sicher, die Polizei hat in Hamburg nicht alles richtig gemacht. Aber man drückt keine politische Meinung aus, in dem man einen Mittelklassewagen ansteckt, Scheiben einwirft oder einen Polizisten verletzt.

Für das Gehalt, das Polizisten verdienen, würde ich mir keine Flasche über den Kopf ziehen lassen oder sogar mein Leben riskieren. Andererseits haben wir als Beamte ein sicheres Gehalt, unabhängig von der wirtschaftlichen Lage.

Was mich an meinem Job fasziniert, ist die Teamarbeit. Ich bin noch nie von einem Einsatz zurückgekommen, ohne dass mich ein Kollege gefragt hat, wie es mir geht und ob ich reden möchte. Man weiß immer, wenn es hart auf hart kommt, können wir uns aufeinander verlassen.

Marina F., 26, Anwärterin für den gehobenen Dienst

"Ich glaube nicht, dass Entlohnung das größte Problem unseres Berufes ist"

Schon im ersten Jahr meiner Ausbildung musste ich mehrmals meine Waffe ziehen. Wenn man zu einem Einsatz gerufen wird und es heißt: "Vorsicht, Schusswaffengebrauch!", macht man sich auf das Schlimmste gefasst. Man steht unter Adrenalin, ist hoch konzentriert. Solche Einsätze sind heftig. Aber sie sind unser Job.

Ich war als Jugendliche Leistungssportlerin und wollte zur Polizei, weil ich dort Sport und Beruf verbinden konnte. Vom Sport kam ich irgendwann ab und habe nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung absolviert, aber mein Interesse an der Polizei habe ich nie verloren. Ich habe mich dann für die Ausbildung zur Schutzpolizistin beworben. Ich hätte auch zur Kripo gehen können, finde aber, dass man als Schutzpolizistin die beste Grundausbildung bekommt.

Nach der Ausbildung werde ich für ein, zwei Jahre zur Bereitschaftspolizei gehen. Da muss man auch die unbeliebten Aufgaben übernehmen, bei Fußballspielen zum Beispiel dazwischen gehen, wenn Hooligans sich prügeln. Meine Familie weiß das und macht sich Sorgen. Aber ich liebe meinen Job.

Ich finde, dass die Polizisten für einen Einsatz wie beim G-20-Gipfel weder ausreichend bezahlt, noch mit Freizeit entlastet werden. Ich glaube aber nicht, dass die Entlohnung das größte Problem unseres Berufes ist. Momentan werden viel zu viele Bewerber eingestellt, die Quantität steigt enorm, die Qualität sinkt. Die Politik will die Einsatzkräfte aufstocken, tut das aber zu schnell. Alle unsere Ausbilder sagen, es sei fast unmöglich, jeden angehenden Polizisten gleich gut auszubilden. Dafür fehlen Kapazitäten.

Wäre ich schon fertig ausgebildet, wäre ich beim G-20-Gipfel auf jeden Fall eingesetzt worden. Die Kollegen, die dort waren, haben tagelang durchgearbeitet, hatten kaum Möglichkeit zu schlafen und waren total unterbesetzt. Ich habe Videos und Fotos von den Ausschreitungen zugeschickt bekommen, die übel anzusehen waren. Dass es viele Verletzte unter Beamten und Demonstranten gab, hätte wahrscheinlich verhindert werden können, wenn mehr Polizisten eingesetzt worden wären, oder der Notstand ausgerufen worden wäre. Da beides ausblieb, denke ich, dass die Taktik der Einsatzkräfte richtig war. Dass Fachfremde ohne Sachkenntnis und ohne vor Ort gewesen zu sein, sich darüber beschweren, finde ich unangebracht. Mich haben die Ereignisse von Hamburg in meiner Berufswahl bestärkt. Ich hätte meinen Kollegen gerne geholfen, statt den Einsatz nur im Fernsehen zu verfolgen.

Antonia K., 22, Auszubildende bei der Bereitschaftspolizei

Alle paar Monate woanders

"Man weiß jederzeit, wie wichtig es ist, dass man dort steht"

Ich habe als kleiner Junge nicht davon geträumt, Polizist zu werden. Das war eher eine rationale Entscheidung nach der Schule. Ich helfe gerne und kann mich mit den Werten identifizieren, die die Polizei vertritt. Außerdem ist es ein sicherer Job, Polizisten werden immer gebraucht.

Bei der Bundespolizei zu sein, ist besonders abwechslungsreich. Man hat theoretisch die Möglichkeit, alle paar Monate woanders eingesetzt zu werden. Gerade bin ich am Flughafen, ich kann auch zum BKA, zur Fliegerstaffel oder zur Küstenwache. Als nächstes würde ich gerne eine Botschaft bewachen. Nicht unbedingt im Irak oder in Afghanistan, aber sonst bin ich da offen. An Botschaften geht es zwar etwas ruhiger zu, ab man bekommt einen guten Einblick in die Kultur und ein besseres Verständnis, wie Dinge in dem anderen Land gehandhabt werden.

Während der G20-Proteste habe ich ständig einen Fernseh-Livestream geschaut. Viele der Kollegen aus meiner Ausbildungszeit waren dabei und ich fand es erschreckend, was da abgegangen ist. Mit dieser Gewalt hat niemand gerechnet

Von schwereren Krawallen bin ich bisher verschont geblieben. Während meiner Ausbildung war ich bei mehreren Pegida-Demos im Einsatz und musste die Rechten von den Gegendemonstranten trennen. Grundrechte zu wahren und die Meinungsfreiheit zu schützen, ist einer unserer Kernaufgaben. Das ist nicht vergleichbar mit dem G-20-Gipfel, aber da herrschte trotzdem eine sehr aufgeheizte Stimmung. Kein schönes Gefühl. Aber ich weiß jederzeit, wie wichtig es ist, dass ich da bin.

Hannes W., 24,Bundespolizist in Bayern

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