Berlinale:Auf der Mauer, auf der Lauer

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Politische Botschaften auf Oberteilen, eine eingezäunte Moderatorin und kaum noch Sex auf der Leinwand - auf der Berlinale ist die Filmwelt in diesem Jahr eindeutig auf Krawall gebürstet.

Von Verena Mayer

Das originellste Outfit auf dem roten Teppich hat Claudia Roth. Die Grünen-Politikerin kommt mit einem schwarzen Oberteil, auf dem in riesigen orangenen Buchstaben "Unpresidented" prangt, jenes Wort, das Donald Trump auf Twitter benutzte, als er fand, dass etwas unprecedented sei, beispiellos. Nur, dass er sich dabei verschrieb und seither dieser Ausdruck in der Welt ist, als Chiffre für eine beispiellose Zeit.

Damit ist auch die Tonlage der diesjährigen Berlinale ganz gut beschrieben. Die beginnt Donnerstagabend, wie immer auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Wie immer ist es klirrend kalt, was Berliner und Touristen aber nicht davon abhält, in Massen an den Absperrungen zu erscheinen. Bevor sie jedoch ihre Handys in die Höhe recken und Selfies mit Promis wie Herbert Grönemeyer, Senta Berger, Jérôme Boateng, Christiane Paul oder Toni Garrn machen dürfen, müssen sie sich erst mal abtasten und die Taschen kontrollieren lassen, zur Sicherheit. Auch das ist beispiellos, gehört seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz aber zum Alltag in Berlin.

Drinnen bei der Gala fragt Moderatorin Anke Engelke dann die internationalen Gäste, ob sie eigentlich wegen des Festivals in der Stadt seien: "Oder hat euch jemand abgehalten, in eure Heimat zu fahren?" Europa versus Amerika, das sind jetzt auch in der Welt des Glamours die neuen Frontlinien. Der Wettbewerb der Berlinale liest sich schon mal wie eine filmische "Make Europe Great Again"-Kampagne. Produktionen aus Deutschland, Ungarn, Polen, Finnland oder Portugal stehen auf dem Programm, der Eröffnungsfilm "Django" stammt aus Frankreich und handelt vom Gitarristen Django Reinhardt, dem Begründer des europäischen Jazz. Und sehr oft geht es um Grenzen. Anke Engelke fasst an das silberne, gitterartige Gebilde, das sich in Brusthöhe auf ihrem cremeweißen Kleid befindet und sagt: "Ich bin eingezäunt, und das passt doch gerade ganz gut."

In "Hitlers Bunker" gibt es gleich sieben verschiedene Eintopfsorten

Auch wurde in Berlin wahrscheinlich seit Ende 1989 nicht mehr so viel über Mauern geredet. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller nützt seinen Auftritt im Scheinwerferlicht, um daran zu erinnern, was eine Mauer in einer Stadt anrichten kann. Und da ist noch der "Star-Wars"-Darsteller Diego Luna, der Schönling der Berlinale-Jury. Er stammt aus Mexiko und sagt, er wolle in Berlin vor allem recherchieren, wie man eine Mauer wieder einreißt.

Die Filmwelt ist in diesem Jahr also eindeutig auf Krawall gebürstet. So wie schon bei der Verleihung der Golden Globes vor einem Monat, als die Schauspielerin Meryl Streep ihren Auftritt nützte, um ihre Stimme gegen Trump zu erheben, dessen Art sie beispiellos findet. In Berlin wiederum ergreift US-Schauspielerin und Jury-Mitglied Maggie Gyllenhaal das Wort und sagt, sie sei hier, um der Welt zu zeigen, dass es in Amerika genügend Leute gebe, die bereit zum Widerstand seien.

Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller hingegen muss demnächst in die USA reisen. Der Film "Toni Erdmann", in dem sie eine Hauptrolle hat, ist als deutscher Beitrag für den Auslands-Oscar nominiert. Sie fahre mit gemischten Gefühlen, sagt Sandra Hüller. Und dass man als Schauspielerin "keine Angst haben sollte, Themen anzusprechen". Die Bemerkung des Abends hat da aber schon Anke Engelke gemacht: Der Film "Toni Erdmann" handle von einer "problematischen Vater-Tochter-Beziehung. Das ist es, was man in Amerika mag".

Bei der Party im Keller des Berlinale-Palasts, der wegen seiner klobigen Steinfassaden von den internationalen Gästen gerne als "Hitlers Bunker" bezeichnet wird, gehen die Diskussionen dann bei Craftbeer und sieben verschiedenen Sorten Eintopf weiter. Wie sich Künstler in Zeiten wie diesen verhalten sollen und welche Aufgabe dem Kino dabei zukommt. Politisch soll es sein, finden die einen, eine Möglichkeit, der Realität zu entfliehen, sagen die anderen. Zumindest das wird in den nächsten zehn Tagen möglich sein, wenn auf der Berlinale 400 Filme gezeigt werden.

Die Schauspielerin Sibel Kekilli, ganz in Rot und international bekannt durch die Fernsehserie "Game of Thrones", spricht indessen lieber darüber, wie wichtig es ist, sich für etwas zu engagieren. Sie selbst tue das, seit sie im Film "Die Fremde" 2007 eine junge Türkin gespielt hat, die einem sogenannten Ehrenmord zum Opfer fällt. Zuletzt sei sie für eine NGO in Bulgarien gewesen, wo sie sich dafür einsetzte, dass Töchter von Roma-Familien nicht ausgegrenzt werden und eine reguläre Schulbildung erhalten.

Nur der Regisseur Paul Verhoeven, 78, hat andere Probleme. Den Niederländer, dessen Sex-Thriller "Basic Instinct" in den Neunzigerjahren weltweit Aufsehen erregte, stört an Amerika am meisten, dass kaum mehr nicht-jugendfreie Filme gezeigt würden. "Sex und Gewalt" - das seien doch die Dinge, die einen im Kino am meisten interessieren, sagt Verhoeven. Beispiellos gewissermaßen.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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