Berlin:Zum Fürchten

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F. W. Murnau, Regisseur des Stummfilmklassikers "Nosferatu", ist seit 84 Jahren tot - aber offensichtlich noch immer interessant: Unbekannte haben sein Grab aufgebrochen und seinen Kopf gestohlen.

Von Anne Kostrzewa, Berlin

Sie öffneten den Sarg, trennten den Kopf von der einbalsamierten Leiche und entzündeten in der Gruft eine Kerze: In Stahnsdorf bei Berlin ist das Grab des Stummfilm-Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau geschändet worden. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur.

Der Friedhofsleiter Olaf Ihlefeldt hat die Schändung selbst entdeckt, bei seiner Routinetour übers Gelände bemerkte er, dass die Tür hinter Murnaus Grabwand nur angelehnt war. "Da schoss mir das Adrenalin ins Blut", sagt Ihlefeldt. Er sei ins Grabgewölbe hinabgestiegen, in dem neben Murnaus Metallsarg auch die Holzsärge seiner beiden Brüder stehen. Auf einem der Sargdeckel habe er im Schein seiner Taschenlampe Reste einer Kerze gefunden, die noch jemand abzukratzen versucht habe. Dann habe er den Deckel von Murnaus Sarg geöffnet. "Da war alles klar, der Kopf fehlte." Die Polizei ermittelt nun wegen Störung der Totenruhe; ob es auch einen okkulten Hintergrund geben könnte, will die Polizei nicht sagen. Überhaupt sind die Beamten kurz angebunden: Die zuständige Polizeiinspektion hat nach dem Verschwinden des sechsjährigen Elias aus Potsdam genug zu tun. Und nun auch noch das: Ermittlungen auf dem Friedhof.

Der Südwestkirchhof Stahnsdorf liegt unweit des Filmparks Babelsberg, zwischen Berlin und Potsdam. Es ist mit mehr als 200 Hektar Fläche einer der größten deutschen Friedhöfe, waldähnlich erstreckt er sich weitläufig zwischen riesigen Tannen und Rhododendronbüschen. Bei einem Spaziergang läuft man durch die deutsche Geschichte: Prominente wie der Architekt Walter Gropius, der Großindustrielle Werner von Siemens, Impressionist Lovis Corinth und Politiker Otto Graf Lambsdorff haben hier ihre letzte Ruhe gefunden, ebenso Theodor Fontanes gleichnamiger Sohn und der Grafiker Heinrich Zille. Die bekannten Namen locken viele Besucher an, immer wieder kommt es auch zu Diebstählen auf dem Gelände - auch Grabschändungen gab es schon, sagt der Friedhofsleiter: in den Siebzigern wurde auch Murnaus Grab beschädigt.

Friedrich Wilhelm Murnau war ein Kinopionier der Stummfilmära. (Foto: ddp images / United Archives)

Seine Leiche ließen die Täter damals aber unversehrt. Ihlefeldt sagt, der Fall Murnau gehe ihm sehr nahe: "Auch Tote haben eine Würde, und die hat man ihm jetzt genommen." Bei seinen Friedhofsführungen sei er immer gern an Murnaus Grab stehen geblieben, sagt Ihlefeldt. Dort habe er Anekdoten erzählt, schließlich gibt es zu Friedrich Wilhelm Murnau ja viele Anekdoten. Zum Beispiel die, dass Murnaus Familienname Plumpe lautete - in Murnau hatte er sich zu Beginn seiner Karriere nach dem Ort in Oberbayern umbenannt. Er ist dann zu einem der berühmtesten deutschen Filmemacher seiner Zeit aufgestiegen.

Nur ein Jahr, nachdem Murnau, Jahrgang 1888, als junger Soldat aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrte, gab er 1919 in Berlin unter diesem Namen sein Spielfilmdebüt. "Der Knabe in Blau" ist angelehnt an Oscar Wildes "Bildnis des Dorian Gray". Sein Durchbruch aber war "Nosferatu", ein Vampirfilm, der die Zuschauer nicht mehr nur mit erschreckenden Gegenständen das Fürchten lehrte, sondern durch die Art der Darstellung und Kameraführung. Mit "Der letzte Mann" machte sich Murnau dann auch international einen Namen. Bei der ersten Oscar-Zeremonie überhaupt, 1929 war das, gewann er gleich zwei Academy Awards für sein "Sonnenaufgang - Lied von zwei Menschen", ein dritter Oscar ging an seine Hauptdarstellerin Janet Gaynor. Noch heute gilt Friedrich Wilhelm Murnau neben Regisseuren wie Fritz Lang und Ernst Lubitsch als einer der ganz Großen der frühen Filmgeschichte: Er ist der Mann, der "Nosferatu" erschuf.

Mit "Nosferatu" (gespielt von Max Schreck) hatte Murnau 1921 seinen Durchbruch als Filmemacher. (Foto: SZ-Archiv)

Das Hollywood des Tonfilms hätte dem homosexuellen Regisseur sicherlich noch mehr Ruhm bringen können. Doch 1931 starb Murnau mit nur 42 Jahren im kalifornischen Santa Barbara bei einem Autounfall. Ein Jahr später wurde sein Leichnam nach Stahnsdorf überführt, in einem Sarg mit zweiteiligem Deckel, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt.

Olaf Ihlefeldt könnte nun einer der Letzten sein, die den Sarg zu Gesicht bekamen. Denn der Friedhofsverwalter überlegt, die Grabkammer zuzumauern, oder Murnaus Überreste im Boden zu bestatten. Eine noch bessere Überwachung könne sich die Verwaltung nämlich nicht leisten. Einschüchtern kann Ihlefeldt der Überfall übrigens nicht. So sehr ihn die Schändung schmerze, aber es sei halt auch so: "Was hier passiert ist, wäre eine tolle Vorlage für einen Murnau-Film."

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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