Berlin:Zucht und Unordnung

33 Disziplinarverfahren wurden an der Berliner Polizeiakademie eingeleitet. Eine Klasse soll "frech wie Sau" gewesen sein.

Von Jens Schneider, Berlin

Anis Amri stand im Sommer 2016 unter Polizeibeobachtung. Aber wenn er an einem Samstag oder Sonntag unterwegs war, verzichtete die Polizei auf die Observation des Mannes, der Monate später den Anschlag auf den Breitscheidplatz verübte. Am Freitag berichtete der Sonderermittler Bruno Jost im Untersuchungsausschuss über Pannen im Umgang mit Amri, der als Drogendealer früh aufgefallen war und doch unbehelligt blieb. Zuweilen wusste laut Jost bei der Polizei die rechte Hand nicht, was die linke tat.

Das passt ans Ende einer Woche, in der kein Tag ohne Offenbarungen zur Berliner Polizei verging. Donnerstag wurde gemeldet, dass Angehörige eines arabischen Clans auf einem Polizeigelände in Kreuzberg Zivilfahrzeuge abgefilmt haben sollen. Berlins Polizei ist chronisch überlastetet, seit Jahren unterbesetzt. Es gibt viele offen Stellen, Hunderte Beamte sind dauerhaft krank geschrieben. Die Hauptstadt brauche 3000 neue Polizisten, sagt die Gewerkschaft der Polizei; 1400 Einstellungen hat der Senat versprochen. Doch dafür braucht man erst neue junge Beamte. Also wurde die Kapazität der Polizeiakademie auf 1200 verdreifacht. Und nun wurden anonyme Beschwerden über angebliche Missstände an der Akademie bekannt, eine Klasse sei durch Respektlosigkeit aufgefallen, "frech wie Sau". Polizeipräsident Klaus Kandt wies die Vorwürfe zurück, zugleich wurde eingeräumt, dass an der Schule 33 Disziplinarverfahren eingeleitet wurden, etwa wegen Beleidigung oder Körperverletzung.

Für die Lage machen Kritiker eine Reform an der Schule verantwortlich. Die müsse gestoppt werden, fordert Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei. Es gebe an der Akademie keine Klassenleiter mehr, die als Ansprechpartner präsent sein und bei Disziplinproblemen eingreifen könnten. In vier Wochen erwartet Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) von der Polizeiführung einen Bericht über die Lage an der Akademie. Oppositionspolitikern wie dem Christdemokraten Burkard Dregger reicht es aber nicht, wenn die Polizei sich selbst untersucht: Er fordert einen unabhängigen Sonderermittler.

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