Berlin:Wie ein Schild an einem DRK-Zelt in Berlin für internationales Aufsehen sorgt

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AfD-Politiker empören sich über eine vermeintliche "Schutzzone" für Frauen bei der Silvesterparty am Brandenburger Tor. Doch was ist eigentlich passiert? Rekonstruktion eines Skandals, den es nie gab.

Von Viktoria Bolmer und Oliver Klasen

Es kommt nicht oft vor, dass der ehrwürdige britische Guardian, immerhin eine Zeitung von Weltruf, über die Arbeit von ein paar Dutzend deutschen Sanitätshelfern berichtet. Diese werden in der Neujahrsnacht am Brandenburger Tor in Berlin im Einsatz sein, um dort die große Silvesterparty zu betreuen. Menschen behandeln, die mit dem Fuß umgeknickt sind, zu viel Alkohol erwischt haben oder sich mit einem Feuerwerkskörper verletzt haben, solche Sachen.

Doch in diesem Jahr gibt es offenbar noch eine zusätzliche Aufgabe: Der Guardian schreibt jedenfalls von einer "safety zone", einer Schutzzone also, die vom Roten Kreuz betrieben würde und in der Frauen, die belästigt worden sind oder sich bedroht fühlen, Hilfe suchen könnten.

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Eine Schutzzone für Frauen? Das klingt so, als seien diese Frauen außerhalb dieser Zone nicht sicher, einer Horde von enthemmten, übergriffigen Männern hilflos ausgesetzt. Als könnten diese Frauen nur friedlich Silvester feiern, wenn sie separiert würden von ebendiesen Männern.

Ist es also schon soweit, dass das nötig ist? Reagiert Berlin hier auf die Erfahrungen aus Köln, wo in der Neujahrsnacht 2015/2016 eine große Gruppe von Migranten vornehmlich aus nordafrikanischen Ländern Hunderte Frauen angegriffen, angegrapscht und in einigen Fällen auch vergewaltigt hatte, ohne dass die Polizei das verhindern konnte?

Anja Marx, die Pressesprecherin des Veranstalters, der die Silvesterparty in Berlin ausrichtet, ist genervt, als man sie auf das Thema anspricht. "Diese Schutzzone gibt es nicht. Ich wundere mich, dass es überhaupt so genannt wird. Ich habe diesen Begriff nie benutzt", sagt Marx. Es gebe auf dem Gelände vor dem Brandenburger Tor ein Zelt des DRK, so wie jedes Jahr. Zu den diesjährigen Feiern werde "eben eine Dienstleistung mehr angeboten, die Betreuung von Menschen, die belästigt worden sind". Zwei DRK-Kräfte sind speziell dafür abgestellt.

Diese Dienstleistung, so Marx, werde "auf dringlichen Wunsch der Polizei" angeboten. Nachfrage also dort. "Ja, es stimmt", sagt Valeska Jakubowski, Sprecherin beim Berliner Polizeipräsidenten. "Wir haben das dem Veranstalter empfohlen, nachdem die Kollegen hier in Berlin sich mit den Münchner Kollegen unterhalten haben, die mit diesen Security Points gute Erfahrungen auf dem Oktoberfest gemacht haben", sagt Jakubowski.

Berlin lernt also von München, jener Stadt, die jedes Jahr das größte Volksfest der Welt ausrichtet, mit etwa sechs Millionen Besuchern. Für ihr Sicherheitskonzept auf dem Oktoberfest hat die Münchener Polizei in den vergangenen Jahren viel Lob bekommen. Zwar kann sie nicht alle Übergriffe verhindern, aber angesichts der riesigen Menschenmassen, die zudem zu großen Teilen alkoholisiert sind, ist es fast bemerkenswert, dass nicht noch mehr passiert. Den "Security Point" gibt es auf der Wiesn bereits seit 2003 - und er ist keine abgetrennte Zone, sondern eine Anlaufstelle für Frauen, die dort von geschultem Personal betreut werden.

Genauso soll es nun in Berlin sein. Die Unfallhilfsstelle des DRK ist ebenfalls keine abgetrennte Zone. Die Mitarbeiter werden ein Schild aufhängen, auf dem "Women's Safety Area" steht, so dass es auch internationale Gäste verstehen und im Inneren des Zeltes wird es einen kleinen Bereich geben, wo sich DRK-Kräfte mit möglichen Opfern sexueller Gewalt zurückziehen können.

That's it, könnte man auf Englisch sagen. Aber seit der Begriff "Schutzzone" vor zwei Tagen in einem Artikel der Berliner Boulevardzeitung BZ auftauchte, ist die Aufregung groß. Und weil es immer genug Leute gibt, die von Aufregung profitieren, lässt sie auch nicht nach. Die Gelegenheit ist einfach zu günstig, etwa für Politikerinnen wie Alice Weidel, AfD-Fraktionschefin im Bundestag. Sie stellt auf Twitter etwa die rhetorische Frage: "Als Frau den Jahreswechsel feiern?" und antwortet dann praktischerweise selbst: "Silvester verbringst Du im Anti-Grabschzelt". Ihr Fraktionskollege Martin Hess beklagt sich über "unwürdige Zustände" und fordert: "Jeder Flüchtling, der sich sexueller Belästigung schuldigt macht, ist unverzüglich und unumkehrbar in seine Heimat abzuschieben".

"Es muss ja nicht immer ein Straftatbestand dahinter stecken"

Auch Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, meldet sich zu Wort. Wendt ist wegen seiner populistischen Äußerungen umstritten, zudem hatte er Ärger, weil er als freigestellter Gewerkschaftschef trotzdem ein Gehalt als Polizist bezog, obwohl er den Job nicht ausübte. In den vergangenen Monaten ist es ruhig um ihn geworden, aber in dieser Woche erschien in der Zeit ein langer Artikel über ihn, in dem angedeutet wurde, dass Wendt wieder mehr in der Öffentlichkeit präsent sein will, aber darum bemüht ist, seinen Ton zu mäßigen und nicht mehr jedes rechte Vorurteil mit einem Statement zu bedienen. Jetzt sagte Wendt der Neuen Osnabrücker Zeitung, was in Berlin geschehe, sende "eine verheerende Botschaft" und sei das "Ende von Gleichberechtigung, Freizügigkeit und Selbstbestimmtheit". "Damit sagt man, dass es Zonen der Sicherheit und Zonen der Unsicherheit gibt", so der Polizeigewerkschafter. Immerhin, öffentlichkeitswirksam war diese Äußerung, Wendt hat es damit sogar aus der Neuen Osnabrücker Zeitung bis in die Washington Post geschafft.

Von Valeska Jakubowski, der Berliner Polizeisprecherin, erfährt man noch, dass in der "Women's Safety Area" keine Polizisten stationiert seien. Sie würden nur bei Bedarf hinzugezogen. Es sei "geschultes Personal vor Ort", mit dem die Frauen sprechen könnten. "Es muss ja nicht immer ein Straftatbestand dahinter stecken", sagt Jakubowski.

Womöglich hat sie auch da die Erfahrungen aus München im Blick. 254 Mal suchten Frauen während des Oktoberfestes in diesem Jahr dort Hilfe. In fünf Fällen kamen die Frauen, weil sie angaben, sexuelle Gewalt erlebt zu haben. In sieben Fällen waren es andere Formen der Gewalt, dazu gehörte übrigens auch Gewalt durch den eigenen Partner. Mehr als 53 Prozent der Frauen waren dem Personal des Security Points jedoch aus einem anderen Grund dankbar: Sie hatten im Gedränge ihre Freunde, ihren Partner oder ihr Mobiltelefon verloren.

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Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war eine Pressemeldung des DRK über den Einsatz am Brandenburger Tor verlinkt, die sich allerdings auf den Einsatz an Silvester 2016/2017 bezog. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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