Berlin:Kein Haus ist dein Haus

Hausbesetzungen in Berlin

Mit dem Slogan #besetzen haben in Berlin Aktivisten mindestens acht Häuser besetzt - und die Polizei hat sie wieder geräumt.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

In einer konzertierten Aktion besetzen Aktivisten Gebäude in mehreren Bezirken der Hauptstadt, um gegen Wohnungsnot und Gentrifizierung zu protestieren. Unterstützung kommt von unerwarteter Seite.

Von Verena Mayer

Außen am Haus hängen Transparente, auf denen "Wohnen ist Menschenrecht", "Alles allen" oder "Die Häuser denen, die sie brauchen" steht. Drinnen dann 56 Leute, die dort gar nicht wohnen, sie haben das Haus besetzt, auf der Straße versammeln sich Dutzende Unterstützer zu einer spontanen Demonstration. Später werden dann Beamte kommen und das Haus räumen, zeitweise ist eine Hundertschaft der Polizei im Einsatz, weil die Eigentümer Räumungsklage beantragt haben. Es wird ein paar leichte Verletzungen und eine heftige Diskussion darüber geben, ob das nun eine Form von Protest ist oder bereits Extremismus.

Frühjahr 2018. Berlin ist wieder das, was es früher schon einmal war: die Stadt, die mit Hausbesetzungen im großen Stil von sich reden macht. Die Aktivisten, die am Pfingstwochenende unter dem Slogan "#besetzen" losgezogen sind, drangen gleich in neun Häuser der Hauptstadt ein oder taten zumindest so, als ob und brachten Plakate an den Fassaden an. Bei der Polizei war von acht betroffenen Häusern die Rede, in den meisten Fällen habe es sich um "Scheinbesetzungen" gehandelt, sagte ein Sprecher.

In ein Haus in Berlin-Neukölln schleppten die Aktivisten Tische und Stühle, um in 40 Wohnungen "offenen, unkommerziellen Kiezraum" und "selbstverwalteten Wohnraum" zu schaffen, wie sie das nennen. Sie konnten das, weil das Haus seit mehreren Jahren leer steht. Und das, obwohl es einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft gehört und es in Berlin seit 2014 eigentlich verboten ist, Wohnungen mehr als einige Monate lang leer stehen zu lassen, dies regelt das so genannte Zweckentfremdungsgesetz. Es könne schließlich nicht angehen, dass Zehntausende Menschen in der Hauptstadt wohnungslos seien und ein immer größerer Teil der Einkommen für steigende Mieten aufgewendet werden müsse, sagte ein Sprecher der Aktivistengruppe. Angesichts der vorherrschenden Gentrifizierung sei es "illegitim, dass Häuser leer stehen".

Jedes Jahr ziehen 50 000 Menschen nach Berlin, und schon jetzt fehlen 130 000 Wohnungen

Es ist nicht die erste Aktion dieser Art. Immer wieder wurden in Berlin in den vergangenen Jahren Wohnungen besetzt, die leer standen oder über die Internet-Plattform "Airbnb" an Touristen vermietet werden und damit dem regulären Berliner Wohnungsmarkt entzogen sind. Früher wurden in Berlin Häuser besetzt, um darin zu wohnen, die Hausbesetzer von heute protestieren dagegen, dass niemand darin wohnt. Gegen die Besetzer werde derzeit wegen Hausfriedensbruchs ermittelt, heißt es bei der Berliner Polizei.

Die Reaktionen auf die Besetzung sind gespalten. Zuspruch bekommen die Aktivisten ausgerechnet aus der Politik. So findet es der Kreuzberger Kommunalpolitiker Florian Schmidt (Grüne), "gut, dass nun Zeichen gesetzt wurden". Kritiker wiederum werfen dem rot-rot-grünen Berliner Senat vor, die Situation, gegen die nun protestiert wird, selbst verursacht zu haben. Fest steht, dass in Berlin wie in vielen Großstädten der Wohnraum knapp ist. Berechnungen zufolge fehlen in der Hauptstadt mindestens 130 000 Wohnungen, um den Zuzug aufzufangen, jedes Jahr ziehen 50 000 Menschen nach Berlin. Die Mietpreise haben sich seit dem Jahr 2005 von knapp fünf Euro für den Quadratmeter mehr als verdoppelt, und das in einer Stadt, in der die Einkommen nach wie vor niedrig sind und jedes dritte Kind von Hartz IV lebt. Die Zeit der Hausbesetzungen dürfte in Berlin also noch lange nicht zu Ende sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: