Berlin:Feuer neben Obdachlosem gelegt: "Wir wollten ihm einen Streich spielen"

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Seit Mai müssen sich die sieben jungen Männer vor dem Berliner Landgericht für die Straftat verantworten. (Foto: dpa)
  • Seit Mai müssen sich sieben Jugendliche in Berlin wegen versuchten Mordes verantworten.
  • Sie sollen an Heiligabend Feuer neben einem schlafenden Obdachlosen gelegt haben.
  • Nun steht das Urteil im Prozess an.

Von Verena Mayer, Berlin

Sie heißen Nour, Mohammad, Khaled, Ayman, Mohamad, Bashar und Eyad, sie sind zwischen 16 und 21, und sie kamen aus Syrien und Libyen, um in Berlin ein neues Leben zu beginnen. Doch stattdessen zogen sie an Heiligabend los und legten an einem Berliner U-Bahnhof Feuer neben einem schlafenden Obdachlosen. Dem Mann passierte nur deshalb nichts, weil andere Fahrgäste die Flammen sahen und sofort löschten. Seit Anfang Mai müssen sich die Jugendlichen nun wegen versuchten Mordes vor dem Berliner Landgericht verantworten, für Dienstag wird das Urteil erwartet.

Die sieben sitzen in Jeans und T-Shirts in zwei Reihen und wirken wie Schüler, die vom Unterricht überfordert sind. Die meisten verstehen kaum Deutsch. Mit gerunzelter Stirn gucken sie auf die Dolmetscherin, als könne sie ihnen sagen, warum sie hier sind.

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Das Warum geht aus den Bildern einer Überwachungskamera hervor. Man sieht darauf, wie die Jugendlichen auf der Lehne einer grünen Holzbank sitzen, in die Luft gucken, mit ihren Handys spielen. Auf der anderen Seite der Bank liegt ein Mann unter einer Decke. Nour springt auf dem Bahnsteig herum, gestikuliert, irgendwann geht er auf die andere Seite, zündet mit einem Feuerzeug ein Papier an und steckt es neben den Kopf des Schlafenden. Die anderen rufen sich etwas zu und ziehen wie auf Kommando ihre Kapuzen über den Kopf. Als der Rucksack des Mannes in Flammen aufgeht, springen sie in die U-Bahn, lachen und feixen. Zurück bleibt der Obdachlose, der verstört vor seinen verbrannten Habseligkeiten sitzt.

Man weiß nicht viel über ihn, vor Gericht sagt er nicht aus. Nur, dass er aus Polen ist und in Berlin als Wanderarbeiter sein Glück gesucht hat. "Den Herren steht es frei, sich zu äußern", sagt die Richterin und guckt in die Runde. Die Jugendlichen wollen nichts sagen, aber ihre Verteidiger haben Erklärungen vorbereitet.

Sie zogen planlos umher, landeten schließlich am U-Bahnhof

Nour ist der Älteste und Kleinste der Angeklagten und trägt dieselben roten Sneakers wie an Weihnachten. "Was ich gemacht habe, ist mir heute unbegreiflich", verliest sein Verteidiger für ihn, Nour selbst sieht aus, als würde er gleich zu weinen beginnen. Er stammt aus Damaskus, wo er in einem Flüchtlingslager für Palästinenser aufwuchs. In Berlin hat er den Halt verloren. Er trieb sich auf dem Alexanderplatz herum, nahm Drogen. In der Tatnacht hatte er eine Flasche Wodka-Cola getrunken und Ecstasy genommen, als er sich in einer Gruppe Jugendlicher wiederfand, die er laut Erklärung kaum oder gar nicht kannte.

Die sieben zogen planlos umher, Nour schnupfte auf einer Toilette Heroin. Die sieben landeten schließlich am U-Bahnhof Schönleinstraße. Weil die Bahn nicht kam, hätten sie sich mit dem Obdachlosen beschäftigt. "Wir wollten ihm einen Streich spielen." Die Idee mit dem "Feuerchen", wie er sagt, kam von Nour: Im Flüchtlingslager in Syrien hätten sie sich die Zeit damit vertrieben, Schlafenden brennende Kügelchen zwischen die Zehen zu stecken. Er schäme sich für das, was er getan hat, lässt Nour mitteilen. "Mir ist bekannt, welches verheerende Bild meine Tat auf andere Flüchtlinge wirft." Tatsächlich erfährt man im Prozess viel über den Alltag unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge.

Von Bashar etwa, einem Jungen mit dunklen Locken und schwarzen Knopfaugen. Er sieht jünger aus als 16, auf dem Tisch hat er Asthma-Spray liegen, das er immer wieder inhaliert. Er ist behütet in Damaskus aufgewachsen, der Vater war Schuldirektor, die Mutter kümmerte sich um die sieben Kinder. Bashar war ein guter Schüler, ging nicht auf Partys, das erste Mal ein Mädchen geküsst hat er in Deutschland. Er trank keinen Alkohol und hatte nicht vor, etwas Verbotenes zu tun, sagt der Vertreter der Jugendgerichtshilfe, der Bashar betreute. "Es gab alle Indikatoren für ein glückliches Leben." Doch dann begann der Krieg.

Bashars Vater wurde verhaftet, die Familie weiß bis heute nicht, was mit ihm passiert ist, sie bekam nur seinen Personalausweis zurück. Bashar wurde von einem Bombensplitter getroffen, er sollte zum Militärdienst eingezogen werden. 2015 kratzte die Mutter alle Ersparnisse zusammen und schickte ihn und seinen Bruder auf die Flucht. Die Überfahrt mit einem Schlauchboot überlebte Bashar nur knapp, der Weg über die Balkanroute: "ein einziger Albtraum". Seither, sagte er zur psychiatrischen Sachverständigen, die eine Depression feststellte, gebe es für ihn "kein Herz mehr und kein Lachen".

Als er nach Berlin kam, fand er eine Stadt vor, die überfordert war mit den Flüchtlingen. Der damals 14-Jährige wurde von einer Stelle zu anderen geschoben, landete in einer Massenunterkunft und in Hostels, das erste Gespräch mit den Behörden hatte er nach sechs Monaten. Die Anmeldung zur Schule klappte nicht, er landete auf der Straße. "Für die betreuenden Instanzen ist das kein Ruhmesblatt", sagt der Vertreter der Jugendgerichtshilfe.

In Deutschland kannten sie niemanden

Auch bei den anderen Jugendlichen wird klar, dass sie sich ohne Krieg und Flucht wohl anders entwickelt hätten. Mohammad wuchs als Sohn eines Händlers in Syrien auf, ein guter Schüler. Khaled machte in Damaskus eine Ausbildung als Tischler, Ayman arbeitete in Libyen als Automechaniker, ehe sein Bruder entführt wurde und er über Italien nach Deutschland flüchtete. Von Deutschland erhofften sich alle ein besseres Leben, eine Ausbildung, eine Zukunft. "Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um im Gefängnis zu sitzen", sagt Mohammad. "Selbst ein Verrückter macht so etwas nicht."

In Berlin kannten sie niemanden, die einzigen Bezugspersonen waren andere jugendliche Flüchtlinge. In der Gruppe habe man sich stark gefühlt, sagt die psychiatrische Sachverständige, "sich hochgetriggert", wer sich mehr traue. Der Staatsanwalt fordert mehrjährige Haftstrafen wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes oder Beihilfe dazu. Die Jugendlichen hätten heimtückisch gehandelt; Nour, weil er den Tod des Schlafenden billigend in Kauf genommen habe. Die anderen, weil sie wussten, was Nour vorhatte, oder nichts dagegen unternahmen.

Die Richterin hält auch eine Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung für möglich und hat bis auf Nour alle Jugendlichen aus der Untersuchungshaft entlassen; Eyad wurde bereits wegen unterlassener Hilfeleistung zu Jugendarrest verurteilt. Sie werden das Urteil in Freiheit hören, Heimatlose, die sich einen anderen Heimatlosen gesucht haben, um ihren Frust und ihre Langeweile loszuwerden.

© SZ vom 13.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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