Berlin:Das Spiel ist aus

Auf diesem Tennisplatz mitten in Berlin spielten einst Erich Kästner, Vladimir Nabokov und Willy Brandt. Heute gehört er einer britischen Investmentfirma - und liegt seit Jahren brach. War der Verkauf ein Fehler?

Von Verena Mayer

Es gibt in der Hauptstadt sicher wichtigere und politisch umstrittenere Orte als die Tennisplätze am Kurfürstendamm. Einen unfertigen Flughafen zum Beispiel oder die Unisex-Toiletten, die der rot-rot-grüne Senat demnächst in Behörden einbauen lassen möchte. Andererseits gibt es auch wenige Orte, die so typisch für Berlin sind: Man biegt vom Großstadttrubel des Kurfürstendamms ab, läuft in den Hof einer Wohnhausanlage - und hat plötzlich Tennisplätze vor sich. Mit allem, was dazu gehört: roter Boden, grüne Netze, ein Klubhaus. Tennis mitten in der Großstadt.

Und erst die Leute, die hier schon gespielt haben. Erich Kästner ließ einst Bälle aufploppen, sein Schriftstellerkollege Vladimir Nabokov jobbte in seinen Berliner Jahren als Trainer. Ein Foto zeigt ihn mit Hemd und langen Hosen, den Schläger lässig in der Hand. Später war der Tennisplatz ein Szenetreff für Theaterleute, Künstler, Journalisten und durchreisende Promis aus München. Zumindest bis 2007. Da hat das Land Berlin die Anlage an eine britische Investmentfirma verkauft, die 40 Luxusapartments bauen will, die Tennisplätze aber leer stehen ließ. Seither ist nichts passiert, aus Nabokovs Tennisplatz wurde eine typische Berliner Brache. Wildromantisch überwachsen zwar, aber auch ein Symbol dafür, was mit so vielen angesagten Orten in Berlin passiert.

Berlin Wilmersdorf WOGA Komplex am Lehniner Platz Zwischen Kurfürstendamm Cicerostraße Paulsborn

Einst Eingang zu einem Ort der Lebensqualität, nun Objekt von Immobilienspekulanten: Das Tor zu den ehemaligen "Tennisplätzen am Ku'damm".

(Foto: Jürgen Ritter/Imago)

Den Platz durfte jeder benutzen. Ohne Mitgliedsbeiträge. Ohne Klubgebühren

Lange hat Berlin gut mit seinen Brachen gelebt. In leer stehende Fabriken oder aufgelassene Flughäfen zogen Künstler und Freiberufler, aus ehemaligen Kasernen, Schwimmbädern oder einem heruntergerockten Reichsbahngelände wurden Klubs, urbane Gärten oder Freizeitanlagen. Wenn man so will, sind die Brachen für die Berliner das, was für andere Menschen Wälder, Berge oder Strände sind: Orte, an denen sich die Lebensqualität bemisst, weil sie für alle da sind. So wie die Tennisplätze am Kurfürstendamm, wo man einfach hingehen und spielen konnte. Ohne Mitgliedsbeiträge oder Klubgebühren, und wenn es regnete, kippte man das Wasser mit Eimern einfach selbst weg.

Der Schriftsteller Peter Schneider hat diese Zeiten noch erlebt. Schneider kam Anfang der 60er-Jahre wie so viele als Student aus Süddeutschland, um in Berlin seine Ruhe zu haben und sein Ding zu machen. Mit 40 begann er schließlich, Tennis zu spielen, einfach, weil ihm der Platz am Ku'damm so gefiel. Er schwärmt noch heute, wie "gesellig" alles damals war. Willy Brandt stand auf dem Platz, und Johannes Mario Simmel soll auf einer der Kneipenbänke einen Roman zu Papier gebracht haben. Und da war noch Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner, der die Anlage einen "neapolitanischen Hinterhof" schimpfte, in dem man nur Wäsche aufhängen könne. Für die Berliner Szene sei das dann der "Adelstitel" gewesen, erzählt Schneider.

Berlin: Autor Vladimir Nabokov (2. v. links) jobbte hier als Tennistrainer.

Autor Vladimir Nabokov (2. v. links) jobbte hier als Tennistrainer.

(Foto: OH)

Orte wie dieser waren auch lange eine der wenigen Ressourcen, die das finanziell angeschlagene Berlin hatte, um sie zu verkaufen und zu Geld zu machen, Brachen gab es ja genug. Doch inzwischen wächst die Stadt jedes Jahr um Zehntausende, und man bräuchte den Platz eigentlich, für Sozialwohnungen, neue Schulen oder öffentliche Parks.

Bei den Tennisplätzen am Ku'damm will der Bezirk jetzt zumindest verhindern, dass Luxusapartments gebaut werden. Dem Investor wurde gesagt, man lehne sein Projekt ab, mit der Begründung, dass die Bebauungstiefe nicht der Berliner Bauordnung entspreche, so der zuständige Stadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Die britische Firma Shore Capital, der die Tennisplätze gehört, sieht das erwartungsgemäß anders. Ein Sprecher sagt, die Apartments seien nicht nur mit dem Bezirk abgestimmt, man habe auf Empfehlungen der Behörden sogar mehrmals nachgebessert. Allein für Gutachten habe man bereits eine Million Euro ausgegeben.

Über rechtliche Schritte will man bei der Investmentgesellschaft derzeit nicht spekulieren, man hoffe weiterhin darauf, "Spielräume auszuloten". Im Bezirk stellt man sich allerdings schon auf eine juristische Auseinandersetzung ein. Er sei "guter Dinge, dass wir die auch gewinnen", sagt Stadtrat Schruoffeneger. Die Frage ist nur, wann.

Wie schwer es für eine Stadt ist, wiederzubekommen, was einmal verscherbelt wurde, kann man derzeit im Bezirk Kreuzberg beobachten. Dort gibt es eine alte Kaserne mit einer großen Freifläche, das so genannte Dragoner-Areal. Eine Brache mit einem Marmorwerk, ein paar Autowerkstätten und einem Bio-Supermarkt darauf, auf der nun 400 dringend benötigte Sozialwohnungen gebaut werden sollen. Doch das Gelände wurde vom Bund, dem es ursprünglich gehörte, für 36 Millionen Euro einem Wiener Investor zugesagt. Jetzt soll das Ganze rückabgewickelt werden, unklar ist allerdings, wie. Der Investor hat schon mal angekündigt, sich nicht zurückzuziehen. "Ende! Spende dein Gelände", hat jemand auf dem Dragoner-Areal auf eine Wand gesprayt.

Das wird in den nächsten Jahren eher nicht geschehen, und auch am Berliner Ku'damm ist die Zukunft der Tennisplätze ungewiss. Denn selbst wenn die Anlage nicht bebaut wird - der Matchball wird wohl weder an die Tennisfans gehen noch an Leute, die hier auf den Spuren Nabokovs unterwegs sind. Im Bezirk heißt es, man könne sich gut eine Kindertagesstätte vorstellen.

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