Berlin:Aus Lenins Nase rieselt Sand

24 Jahre lang war der abmontierte Kopf der Berliner Lenin-Statue im Wald vergraben. Jetzt wurde er ausgebuddelt - sehr zum Unmut der Zauneidechse.

Von Verena Mayer

Er ist wieder da: Lenin, beziehungsweise sein Kopf aus rotem Granit. Da liegt er auf einem Laster in Berlin, seitlich auf die Wange gedreht, mit grünen Schnüren umwickelt. Man erkennt Lenin trotzdem sofort, an seinem Bart, dem grimmigen Blick. Und dafür, dass der knapp zwei Meter hohe Kopf seit 1991 im Wald vergraben war, ist er ziemlich gut erhalten.

Zwei Jahrzehnte unter der Erde

Nur am Bart und am Ohr fehlen kleine Stücke. Ein Bagger hebt das tonnenschwere Teil vom Lastwagen, aus Lenins Nase rieselt Sand. Nach mehr als zwei Jahrzehnten unter der Erde ist er nun dort angekommen, wo er schon seit einiger Zeit hinsollte: zurück im Licht, in eine Ausstellung über verschwundene Berliner Denkmäler.

In der Zitadelle Spandau, dieser alten Festung am seerosenbedeckten Wasser, geht an diesem Donnerstag eines der kuriosesten Kapitel deutsch-deutscher Zeitgeschichte zu Ende. Darin kommen vor: ein Held, wenn auch ein fragwürdiger; eine Reise, Action und viele Wendepunkte.

Good Bye, Lenin!

Es begann 1991 in Ostberlin. Da wurde die Leninstatue aus ukrainischem Granit vom Sockel gestürzt und in 129 Teile zerlegt. Die Bilder von Lenins Kopf, wie er an roten Seilen baumelt und abtransportiert wird, gingen damals um die Welt: Lenins Kopf als Symbol einer Zeit, die so schnell wie möglich entsorgt werden soll. Der Kopf hatte dann 2003 noch einen großen Auftritt, im Film "Good Bye, Lenin!". Da schwebt er in einer Szene an einem Fenster vorbei, genau genommen eine Attrappe, denn mit der Entsorgung des echten Lenin war es den Berlinern ziemlich ernst.

Die 19 Meter hohe Statue des russischen Bildhauers Nikolaj Tomski wurde, in ihre Einzelteile zerlegt, im Wald vergraben, auf Geheiß der zuständigen Bezirkspolitiker. Bis sie irgendwann drei Meter tief unter Schutt und Trümmern im Köpenicker Forst feststeckte, verborgen unter dem Mantel der Geschichte gewissermaßen.

Filigraner als erwartet

Auftritt Andrea Theissen, Kulturamtsleiterin des Bezirks Spandau. Sie war es, die Lenins Kopf 2010 bergen lassen wollte für eine Ausstellung mit dem Titel "Enthüllt. Berliner Denkmäler". Viele fanden das sinnvoll, Geld gab es auch, unter anderem von der EU und aus Berliner Lottomitteln. Theissen steht an diesem Nachmittag vor dem Museum und guckt zu, wie Lenins Kopf einmal mehr freischwebend an Seilen baumelt.

Berlin: Die Statue war 19 Meter hoch und wurde 1972 in Friedrichshain, Berlin, aufgestellt, kurz vor dem 100. Geburtstag Lenins.

Die Statue war 19 Meter hoch und wurde 1972 in Friedrichshain, Berlin, aufgestellt, kurz vor dem 100. Geburtstag Lenins.

(Foto: David Gannon/AFP)

Der Kopf sei filigraner, als sie erwartet habe, sagt sie. Kunst, mit der man sorgfältig umgehen müsse, auch wenn sie inzwischen unliebsam geworden sei. Sie wolle die Brüche der Geschichte sichtbar machen, sagt Theissen, die alten Statuen aus der Preußen-Zeit, die im Krieg im Tiergarten verschollen waren, stehen schon verpackt am Rand und warten auf ihre Enthüllung. Doch die Hauptstadtpresse, die etwas kopflos über den Hof läuft, ist nur wegen Lenin gekommen. Fotografen und Journalisten aus aller Welt, eine Kamera-Drohne surrt über dem Granitkopf auf und ab, Lenins Wiederkehr wird in Berlin sehnlich erwartet.

Kein großer Mann

"Herzlich willkommen, Lenin"", sagte der Spandauer Bezirksstadtrat für Kultur, Gerhard Hanke (CDU), der Lenin "imposant" findet. "Kein großer Mann, aber eine große Figur." Bis der Kopf im Wald ausgegraben werden konnte, gingen vier chaotische Jahre ins Land. Erst fand man den Kopf nicht, weil die Berliner im Eifer der Wende die Stelle nicht dokumentiert hatten. Dann gab es ein endloses Hin und Her zwischen den Behörden, ob man den Kopf überhaupt bergen kann und soll.

Und dann war da noch, wie in jeder Geschichte, ein retardierendes Moment, hier: die Zauneidechse. Ein niedliches, nicht besonders großes Reptil, streng geschützt. Sie war rund um die Lenin-Statue heimisch geworden und musste erst gezielt vergrämt werden, so heißt das in der Fachsprache, wenn eine Tierart umgesiedelt werden soll.

Zauneidechsen müssen weichen

Ein Konzept wurde erstellt, Zäune wurden aufgebaut, um die Tiere behutsam einfangen und umsetzen zu können, alles unter strengen Auflagen des Naturschutzes, mit dem Ziel, den Granitkopf endlich aus der Erde zu bringen. Denn: Den Sozialismus in seinem Lauf hält auch eine Echse nicht auf. Wie vergrämt die Zauneidechsen davon am Ende waren, wurde nicht bekannt. Es sollen aber nicht besonders viele gewesen sein.

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