Bericht zur Brandkatastrophe in London:Expertin dokumentiert schwere Mängel beim Bau des Grenfell Towers

FILE PHOTO: Flames and smoke billow as firefighters deal with a serious fire in the Grenfell Tower apartment block at Latimer Road in West London

72 Menschen kamen beim Brand des Grenfell Towers im Juni 2017 ums Leben.

(Foto: REUTERS)
  • Die öffentliche Aufarbeitung der Brandkatastrophe im Londoner Grenfell Tower im Juni vergangenen Jahres geht in die entscheidende Phase.
  • Eine Brandschutzingenieurin listet nicht nur Baumängel auf, sondern kritisiert auch die Krisenkommunikation mit den Bewohnern des Hochhauses in scharfen Worten.
  • Geklärt werden muss unter anderem die Frage, ob bei der Renovierung des Grenfell Towers in sicherheitsrelevanten Bereichen gespart wurde.

Knapp ein Jahr nach dem Großbrand im Grenfell Tower in London, bei dem 72 Menschen starben, dokumentiert ein Expertenbericht schwere Mängel beim Bau des Wohnturms. Die Fassadenverkleidung des 24-stöckigen Gebäudes sei keinen Brandschutztests unterzogen worden und habe nicht den Richtlinien für Gebäudesicherheit entsprochen, heißt es im Bericht der Brandschutzingenieurin Barbara Lane. Deshalb sei auch die Ansage an die Bewohner des Gebäudes, nach Ausbruch des Feuers in ihren Wohnungen zu bleiben, fatal gewesen.

Diese Anweisung habe sich bereits nach einer halben Stunde als falsch herausgestellt, dennoch sei sie für knapp zwei Stunden aufrechterhalten worden. Die Fassadenverkleidung war demnach für die Ausbreitung des Feuers beziehungsweise für den Ausbruch "zahlreicher interner Brände" sowie für die starke Rauchentwicklung verantwortlich. Die Wärmedämmung war zwei Jahre vor dem Brand bei der Renovierung des Hochhauses angebracht worden.

"Ich komme zu dem Schluss, dass das ganze System die Ausbreitung des Feuers nicht angemessen verhindern konnte", schreibt Lane. "Es gab zahlreiche katastrophale Wege, die das Feuer nahm, ausgelöst durch die Art der Konstruktion." Es wäre deshalb zwingend gewesen, den Grenfell Tower früh vollständig zu evakuieren.

Wie konnte ein brennender Kühlschrank ein Hochhaus in eine Flammenhölle verwandeln?

Der verheerende Brand war in der Nacht des 14. Juni 2017 ausgebrochen. Mit dem jetzt vorgestellten Bericht geht die öffentliche Untersuchung zu den Ursachen der Brandkatastrophe in die entscheidende Phase. In einer voraussichtlich 18 Monate dauernden Beweisaufnahme soll die Frage beantwortet werden, wie ein in Brand geratener Kühlschrank das Hochhaus im Londoner Westen in eine Flammenhölle verwandeln konnte. Die Überlebenden und Hinterbliebenen seien mit einem "andauernden Gefühl der Ungerechtigkeit, des Betrugs und der Ausgrenzung" alleingelassen worden, sagte der Chefberater der Untersuchungskommission, Robert Millett.

Richter Martin Moore-Bick versicherte Hinterbliebenen und Überlebenden vor Beginn der Beweisaufnahme, sein Team und er seien entschlossen, "Ihnen die Antworten zu geben, die Sie suchen". Ein Zusammenschluss der Betroffenen, Grenfell United, sagte, mit der Beweisaufnahme beginne "ein langer Weg zur Gerechtigkeit". Behörden hätten vor dem Feuer Sicherheitswarnungen von Mietern des Sozialbaus ignoriert. "Was es für uns noch schlimmer macht, ist, dass diese Toten absolut vermeidbar gewesen wären."

Premierministerin Theresa May hatte die Untersuchung am Tag nach dem verheerenden Feuer angekündigt. Sie versprach, es werde alles getan, um herauszufinden, was im Grenfell Tower passiert sei und wie so etwas in Zukunft verhindert werden könne. Unter anderem sollen Probleme beim sozialen Wohnungsbau identifiziert werden - konkret geht es um den Verdacht, dass bei der Renovierung des Grenfell Towers in sicherheitsrelevanten Bereichen gespart wurde. Im Raum steht der Vorwurf der gemeinschaftlichen fahrlässigen Tötung. Eine Anklage deswegen hat es bisher aber noch nicht gegeben.

Die öffentliche Untersuchung zum Grenfell Tower ist eine der größten, die es jemals in Großbritannien gegeben hat. Dutzende Anwälte repräsentieren mehr als 500 unmittelbar Beteiligte, darunter Mieter des Sozialbaus. Gehört werden sollen unter anderem Polizisten, Feuerwehrmänner, Brandschutzexperten und Überlebende.

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