Bergsteigen:Neustart am Everest

Ein Japaner will auf den höchsten Gipfel, als Erster nach dem Beben. Ein heikles Konjunkturprogramm für das gebeutelte Land.

Von Arne Perras, Singapur

Wenn der Bergsteiger Nobukazu Kuriki die Hände hebt, sieht man, was ihn der Berg schon gekostet hat. Der Japaner hat neun Finger verloren, alle erfroren, nur die untersten Glieder sind übrig. Allein der rechte Daumen ist noch ganz. Kuriki wäre beim letzten Versuch, den Mount Everest zu besteigen, beinahe gestorben. Das war 2012. Zweimal ist der Japaner von Tibet aus gestartet, zweimal von Nepal. Stets musste er aufgeben. Doch nun ist er wieder da und bereitet sich auf einen fünften Versuch vor. "Ohne Limit" lautet das Motto seiner Website. So einer kommt der nepalesischen Tourismusbehörde offenbar gerade recht. Der arme Staat im Himalaja will die Everest-Maschine wieder anwerfen, das lukrative Geschäft mit dem höchsten Gipfel der Welt. Und das Wagnis hat jetzt ein Gesicht: Nobukazu Kuriki.

Bei dem Erdbeben am 25. April starben im Land fast 9000 Menschen, auch am Fuß des Everest gab es Tote, als eine Lawine ins Basislager donnerte. Die Katastrophe hat das Expeditionsgeschäft schwer getroffen. Nun aber soll alles wieder von Neuem beginnen. Vier Monate nach den Erdstößen ist der 8848 Meter hohe Gipfel für Bergsteiger wieder freigegeben. Und Mitte September will der 33-jährige Japaner der Erste sein, der nach dem Erdbeben den Gipfel des Everest erklimmt.

The Mount Everest south base camp is seen a day after a huge earthquake-caused avalanche

Das Basislager am Mount Everest wurde von einem Erdbeben im April zerstört, viele Bergsteiger starben. Nun ist der Gipfel wieder freigegeben.

(Foto: 6summitschallenge.com/Reuters)

Nepals Behörden behandelten den Mann in den vergangenen Tagen so, als habe er es schon geschafft. Erst überreichten sie ihm feierlich seine Aufstiegsgenehmigung, dann zelebrierten sie in Kathmandu eine Pressekonferenz für Kuriki, um aller Welt zu signalisieren: Hier ist einer, der es jetzt schon wieder wagt. Tourismusminister Kripasur Sherpa zeigte sich glücklich, die erste Genehmigung für die Herbstsaison auszugeben, nachdem das Beben dem Tourismus so viel Verluste zugefügt habe. Er glaubt, dass Kuriki andere ermutigen wird. Der Japaner sagt das auch. "Der Hauptgrund meines Aufstiegs liegt darin, die Botschaft zu verbreiten, dass Nepal nach dem Beben für Bergsteiger und Trekker sicher ist." Kuriki spricht manchmal schon so, als sei er beauftragt, ein Konjunkturprogramm für Nepal anzuschieben. Aber was heißt "sicher"?

Alles wird davon abhängen, ob der Versuch tatsächlich gelingt. Um dem Japaner den Weg zu ebnen, sind nun die sogenannten Eisdoktoren am Everest aufgebrochen. Diese nepalesischen Bergspezialisten suchen nach den besten Routen durch den gefährlichen Khumbu-Eisbruch. Dort bringen sie Seile an, ohne die eine Durchquerung der tückischen Passage kaum möglich ist. Die Sherpas sind in einem Dilemma, denn ohne das Berggeschäft haben sie kein Einkommen, um ihre Familien zu ernähren. Der Lohn eines Eisdoktors beträgt nach jüngsten Berichten 4500 Dollar pro Saison - wenig Geld, gemessen an Löhnen in westlichen Ländern. Nepal aber zählt zu den ärmsten Ländern Asiens, sodass viele mit einem Jahresverdienst von vierhundert Dollar auskommen müssen.

File photo of Japanese climber Nobukazu Kuriki speaking during an interview in Kathmandu

Neun Finger hat Nobukazu Kuriki am Mount Everest verloren, nie erreichte er den Gipfel. Sein fünfter Aufstieg soll das Expeditionsgeschäft ankurbeln.

(Foto: Navesh Chitrakar/Reuters)

Der Aufstieg im Herbst, den Kuriki nun wagen will, gilt wegen der extremen Temperaturen und starken Winde als besonders schwierig. Anfangs sollen ihn noch ein Team und ein Fotograf begleiten, später will er es ganz alleine mit minimaler Ausrüstung und womöglich ohne Sauerstoff bis zum Gipfel schaffen. Das sei die reinste Form des Bergsteigens, sagt er. Vor seinem Aufbruch aus Kathmandu hat er dafür in einem Kloster vor einem goldenen Buddha gebetet.

Experten bleiben skeptisch. Ang Tshering Sherpa vom nepalesischen Trekkingverband nennt das Vorhaben "sehr riskant und gefährlich". Kuriki räumt ein, dass er nervös sei und sich jetzt ganz auf seine Instinkte verlassen müsse. Das ändert nichts daran, dass ihn viele für einen Draufgänger halten. Dass der Staat Nepal ausgerechnet ihn jetzt nutzen will, um für die Sicherheit am Everest zu werben, ist ebenso riskant wie der Solo-Aufstieg, der in zwei Wochen beginnen soll.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: