Belgien nach dem Busunglück:"Wir müssen das jetzt durchstehen"

Eltern, die hoffnungsvoll auf ihre Mobiltelefone starren; Kinder, die für ihre toten Mitschüler Bilder gemalt haben: 22 Kinder und sechs Erwachsene sind beim Unfall eines belgischen Reisebusses in der Schweiz ums Leben gekommen. Der flämische Ort Heverlee hat gleich mehrere Opfer zu beklagen. Hier herrschen Trauer - und Wut über den verhängnisvollen Geiz der flämischen Landesregierung.

Cerstin Gammelin, Heverlee

Micke Van Hecke steht vor der katholischen Grundschule in Heverlee, einem kleinen Vorort der flämischen Provinzhauptstadt Löwen. Es ist Mittagszeit und eigentlich wollte die Chefin des flämischen Schüler-Reise-Verbandes um diese Zeit längst die Klasse 6A dieser Schule empfangen haben. Doch alles ist anders.

Am Morgen hat sie von dem schrecklichen Unfall erfahren, nicht von der Polizei, sondern weil eine Kollegin sie anrief, die in einem anderen Bus saß, unverletzt blieb und jetzt vor Ort ist und hilft, Tote zu identifizieren und Eltern zu betreuen, von denen sich einige noch in der Nacht mit dem Auto auf den Weg zu ihren Kindern gemacht haben. Van Hecke ist eine resolute Dame, mit beinahe 60 Jahren hat sie vieles gesehen - aber dass eine Reise einmal so enden würde, das kann sie nicht fassen.

Dass sie vor Eltern stehen würde, die gebannt auf ihre Mobiltelefone starren, hoffend, eine Textnachricht ihres Kindes zu bekommen, die sie erlöst von der Angst, dass es unter den Toten sein könnte. "Es ist hart, so hart zu sehen", sagt sie ein ums andere mal.

Ein billiger Bus statt des teuren Zuges

Acht Eltern haben zu diesem Zeitpunkt noch immer keine Nachricht. Und sie steht da, die Arme über der Brust verschränkt, starr geradeaus blickend und redet sich Wut und Trauer von der Seele. Die Wut darüber, dass die flämische Landesregierung ihrem Verband die Zuschüsse für Klassenfahrten gekürzt hat. Und dass damit die Tickets für Zugfahrten für einige Eltern unerschwinglich wurden. Weil aber doch alle Kinder mitfahren sollten, habe sie seither statt des Zuges den billigeren Bus gewählt. Sicher, ein zuverlässiges Reisebüro habe die Busse organisiert, aber nun dieser Unfall.

Van Hecke erzählt von der Betreuerin, einer beinahe 70 Jahre alten Dame, die stets unentgeltlich mit den Kindern fuhr. Es sollte ihre letzte Reise sein, "wegen des Alters", sagt Van Hecke. Nun kommt sie nicht mehr zurück. Auch der Lehrer ist tot.

Die anderen Kinder in der Grundschule haben am Morgen Bilder für ihre Mitschüler und für ihren Lehrer gezeichnet, bunte Regenbögen sind da zu sehen, die sich über einen schwarzen Tunnel wölben, alles Gute, haben sie geschrieben und dass sie hoffen, dass es allen bald besser geht. Da wussten sie noch nicht, dass acht Mitschüler und auch "Meester Franck", wie sie ihn liebevoll nennen, nicht zurückkommen.

"Gefühle helfen nicht"

Auch der 17 Jahre alte Laurent Declerck, ein ehemaliger Schüler, steht betroffen vor den Bildern. Vor sechs Jahren, so erzählt er, war mit Meester Franck auf genau so einer Klassenfahrt in den Skiferien. Humorvoll sei der Lehrer gewesen, überall sehr beliebt und berühmt für seine Casino-Abende mit den Schülern. "Natürlich mit Spielgeld", lächelt Laurent.

Der Bürgermeister von Löwen sucht seine Trauer zu verbergen. "Gefühle helfen nicht, wir müssen das jetzt durchstehen", poltert Louis Tobback, ein alter Sozialist, der früher in der belgischen Regierung saß. Aber auch in ihm kocht die Wut. Noch in der Nacht habe er Nachrichten gelesen, da sei nichts zu hören gewesen von dem Unfall, erst um kurz nach 6 Uhr am Morgen habe ihn die Polizei informiert, dann habe er in Brüssel im Außenministerium angerufen, aber keiner wusste Bescheid. Er habe dann selbst den Direktor der Schule informiert, und die Eltern.

Am Mittag hat es die belgische Regierung dann endlich geschafft, ein Flugzeug mit den Eltern in die Schweiz zu schicken. König Albert II kommt persönlich, um sie zu verabschieden.

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