Bedrohter Rabbiner in Offenbach:Lasst gut sein, Kinder

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Gut ein Vierteljahr ist es her, dass der Rabbiner Mendel Gurewitz in Offenbach von Jugendlichen belästigt wurde und beschloss, nicht mehr stillzuhalten. Inzwischen hat er sich mit der Stadt versöhnt und besucht Schulen, um gegen den Rassismus vorzugehen. Auch unangenehme Fragen bleiben dabei nicht aus.

Von Jens Schneider, Offenbach

Es ist der Augenblick, als Rabbiner Mendel Gurewitz seine Kipa kurz anhebt und fröhlich zeigt, dass er nicht viele Haare auf dem Kopf hat - da fühlt sich dieser Vormittag in der Offenbacher Leibnizschule endlich nicht mehr künstlich an. Zwar sitzen der Oberbürgermeister Horst Schneider und die Lehrerin dabei, auch Journalisten.

Aber die Sechstklässler scheinen es ein wenig zu vergessen. Sie stellen Frage um Frage, Offenbachs Rabbiner hat Spaß daran. "Fragt bitte alles", ermuntert er. Die Schüler sind elf oder zwölf Jahre alt, etwa die Hälfte muslimischen Glaubens. "Warum haben Sie", will ein Junge wissen, "mehr Haare am Bart als auf dem Kopf?" Er antwortet: "Da musst du Gott fragen", und hebt seine Kipa, damit alle seine Halbglatze sehen. Alle lachen.

Gut ein Vierteljahr ist es her, dass der Rabbiner Mendel Gurewitz in der Stadt von Jugendlichen belästigt wurde und beschloss, nicht mehr still zu halten. An einem verkaufsoffenen Sonntag hatte der 39-jährige orthodoxe Jude - er hat sieben Kinder - Windeln besorgt. Einige junge Burschen beschimpften den Juden.

Gurewitz wurde wütend, er fotografierte sie mit seinem Handy. Nun riefen die Jungen den Sicherheitsdienst des Einkaufszentrums. Er wurde bedrängt, die Bilder zu löschen, fühlte sich bedroht, flüchtete mit Hilfe eines Freundes, der zufällig mit seinem Auto vorbeikam. Gurewitz schrieb darüber und über viele andere Belästigungen einen kurzen Text. Durch Zeitungsberichte fand die Geschichte des Rabbiners aus Offenbach bald weltweit Aufmerksamkeit.

Nun ist er mit Offenbachs Oberbürgermeister zu Gast in der Leibnizschule, einem Gymnasium, jeder zweite Schüler hat Migrationshintergrund. Das ist wenig für Offenbach, wo das Stadtbild von Menschen aus aller Herren Länder geprägt ist. Nach dem Angriff hat der Bürgermeister mit dem Rabbi verabredet, Schulen gemeinsam zu besuchen, dies ist die Premiere.

Und es gibt so viele Fragen. Ein Schüler möchte wissen, warum er die Kipa trägt. Ein Mädchen fragt, ob er als Rabbi eine Art Pfarrer sei. "Ja. Aber der Rabbi ist kein Vermittler zwischen Mensch und Gott, mehr ein Ratgeber", erklärt Gurewitz. Als ein Schüler leise sagt, er habe gehört, dass angeblich die Juden Terroristen seien, schüttelt Gurewitz den Kopf. "Ich bin kein Terrorist. Ich versprech' es dir." Es ist, so eigenartig das auch klingt, ein heiterer Moment der Verständigung.

Der Rabbi trifft jüngere und ältere Schüler. In einem Politik-Kurs der Oberstufe berichten die Mädchen und Jungen von eigenen Erfahrungen. Ein Junge erzählt, auch er sei Jude und sei früher auf einer jüdischen Schule gewesen. "Als wir bei einem Fußballturnier waren, sind wir als Scheiß-Juden beschimpft worden."

Gurewitz lobt den Jungen dafür, dass er sich zum Judentum bekennt. Andere würden sich nicht trauen. Ein Mädchen meldet sich. An ihrem Kopftuch, so beginnt sie, könne jeder erkennen, dass sie Muslimin sei. Auch sie erlebt Belästigungen. "Wenn ich in den Bus steige, höre ich Sachen wie: Tuch runter!" Es gebe aber, sagt das Mädchen, viele positive Gegenbeispiele.

Es geht an diesem Morgen nicht darum, ein Idyll vorzuspielen, eher um die Frage, wie man Rassismus angeht. Die Schüler wollen wissen, wie es für Gurewitz weiterging, und wie man ihm hätte helfen können. Er berichtet, dass er die Burschen, die ihn belästigten, in die Synagoge einlud. Die jungen Muslime wollten sich entschuldigen. "Es war gut", sagt er. "Wir haben uns kennengelernt. Sie hatten keine Ahnung, was Juden sind."

Ja, es sei "ein Schock für sie gewesen zu erfahren, dass Juden und Muslime so viel Ähnlichkeit haben". Nein, er habe jetzt keine Angst mehr in der Stadt. Und die Zivilcourage? Damals standen viele dabei, niemand half. "Wünsche habe ich viele", sagt er, "aber keine Erwartungen. Es soll nicht jeder ein Held sein."

Als er sein Erlebnis bekannt machte, ahnte der Rabbi nicht, wohin das führen würde. Niemand in Offenbach habe ihm Vorwürfe gemacht, sagt er, im Gegenteil. Aus einer schlechten Sache sei Gutes entstanden.

© SZ von 01.10. 2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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