Badeunfälle:Plötzliche Tiefen, lähmende Angst

illus badeseen

Die Zahl der Badeunfälle in Deutschland steigt.

(Foto: SZ-Grafik: Sarah Unterhitzenberger)
  • Die Zahl der Badeunfälle in Deutschland ist deutlich gestiegen - 2015 sind so viele Menschen ertrunken wie seit neun Jahren nicht.
  • Besonders gefährlich sind nicht die Strände am Meer, sondern der heimische Baggersee.
  • Die DLRG warnt vor unbewachten Badestellen und vor einem Mangel an Schwimmunterricht.

Von Thomas Hahn

Am Ende muss Achim Wiese noch was klarstellen. Eine halbe Stunde lang hat der Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) über die Gefahren an Badegewässern geredet. Er hat vom Ertrinken erzählt, von Tragödien aus Leichtsinn und argloser Unkenntnis, die sich mitten am Tag im Freizeitidyll ereignen können. Wie eine Einladung zu Sommerfreuden am See klang das nicht gerade. Und Wiese ist selbst aufgefallen, dass er manchem die Lust aufs Wochenende am Wasser genommen haben könnte. Aber das war nicht seine Absicht. "Die DLRG", sagt Wiese, "möchte nicht die Spaßbremse sein."

Es gibt auch keinen Grund, die Freude am Bad in der Natur zu zügeln. Nach Radfahren ist das Baden der zweitliebste Zeitvertreib der Deutschen. 25 Millionen Menschen werfen sich hierzulande laut DLRG jedes Jahr ins kühle Nass. Ertrunken sind dabei im vergangenen Jahr 488, das sagt die Ertrinkungsstatistik der DLRG, die das Phänomen sehr detailreich aufschlüsselt. Die meisten Ertrunkenen gab es demnach in Bayern (112), die wenigsten im Saarland und in Thüringen (je 7). Es ertranken deutlich mehr Männer (375) als Frauen (97). Von null bis über 90 war praktisch jede Altersgruppe betroffen. Und in der Rangliste der gefährlichsten Gewässer liegt der See mit 204 Toten vor dem Fluss (169) - das Meer (14) ist abgeschlagen. Unterm Strich kann man sagen, dass sehr wenige Menschen beim Baden sterben.

Baggerseen sind tückisch

Wahr ist allerdings auch, dass 2015 so viele Menschen beim Baden ertrunken sind wie seit neun Jahren nicht und die Zahl der Fälle im Vergleich zu 2014 um 24 Prozent angestiegen ist. Auch in diesem Sommer hat es wieder viele schlimme Meldungen gegeben. Allein im Norden reiht sich eine traurige Geschichte an die nächste. Im Juni ertranken zwei Flüchtlinge am Allermöher See bei Hamburg. Vergangenes Wochenende konnten Helfer einen Flüchtling aus der Elfenbeinküste nur noch tot aus dem Bremer Werdersee ziehen. Am Kükenbrack-Teich im Inselpark Wilhelmsburg, Hamburg, ertrank ein Mann vor den Augen seiner Familie, als er einen Ball holen wollte, der einem seiner Kinder ins Wasser gefallen war.

Vor allem durch die Flüchtlinge hat das Thema Badeunfall eine neue Qualität bekommen, weil viele von ihnen in ihrer Heimat nie schwimmen gelernt haben, aber neuen Freunden zum Baden folgen. Wie sollte man auch eine Gefahr vermuten in einem Kiesteich wie dem Allermöher See, der so unschuldig zwischen seinen grünen Ufern liegt? Aber gerade Baggerseen sind tückisch, weil sie nach wenigen Metern abfallen und das Wasser plötzlich sehr kühl wird. Der Schritt vom seichten Uferbereich in die kalte, bodenlose Tiefe kann gerade Nichtschwimmer böse überraschen. Sie geraten in Panik oder erleiden einen Kälteschock und können sich nicht mehr über Wasser halten.

Die Kraft des Wassers

Die Geschichte der Badeunfälle ist vor allem eine Geschichte vom Unterschätzen der Risiken in einem Element, für das der Mensch eigentlich nicht gemacht ist. Gewässer haben Kräfte. Man kann sie sehen, wenn das Meer Wellen wirft und krachend gegen die Küste schlägt. Aber oft liegen sie in unscheinbaren Strömungen und Strudeln, in einer Brandung, in der Urlauber einen besonderen Spaß vermuten. Oder eben in einer ungeahnten Tiefe, in der sich auf einmal eine Pflanze um die Beine legt und bei ungeübten Schwimmern lähmende Angstzustände auslösen kann. Auch Sonnenanbeter, die sich überhitzt ins kalte Wasser stürzen, sind gefährdet.

Außerdem sollte man beim Baden nüchtern sein: Die Obduktion nach dem Badeunfall im Heidesee von Halle/Saale, bei dem ein 36-Jähriger und ein Sechsjähriger starben, hat ergeben, dass der Mann angetrunken war. Eltern dürfen ihre Kinder nicht überschätzen, auch wenn sie gerade die Prüfung zum Seepferdchen bestanden haben. "Die Kinder können sich über Wasser halten", sagt Wiese, "sie können noch nicht schwimmen." Man sollte sie noch nicht allein in den See lassen.

Freundlich mahnen, mehr können die Wasserwächter nicht tun. Denn jeder Badende ist für seine Sicherheit selbst verantwortlich. "Gefährlich ist jede Badestelle, die nicht bewacht ist", sagt Achim Wiese und erklärt damit auch, warum am Meer mit seinen Strandwachen relativ wenige Menschen ertrinken. Die DLRG wünscht sich deshalb, dass die Kommunen genauere Gefahrenanalysen ihrer Gewässer vornehmen und nicht nur Badeverbotsschilder aufstellen, an die sich dann viele nicht halten.

Spaßrutschen statt Schwimmunterricht

Tatsächlich ist Aufklärung eines der wirksamsten Mittel im Kampf gegen Badeunfälle. Die DLRG hat eine Broschüre zum richtigen Verhalten am Wasser in verschiedenen Sprachen herausgebracht und an Flüchtlingsunterkünfte verteilt. Auch die Kommunen lässt das Thema nicht kalt. Nach den Unfällen am Allermöher See hat das Bezirksamt Bergedorf Schilder anbringen lassen, die auf die Abbruchkante im Wasser hinweisen. Und es will einen Neun-Punkte-Plan umsetzen. Der sieht unter anderem vor, "das Angebot an Schwimmunterricht für alle Geflüchteten auszuweiten".

Solche Anstöße findet der DLRG-Sprecher Wiese gut. Allerdings ging der Trend bisher eher hin zu weniger Schwimmunterricht. Bäder schließen, weil sie zu teuer sind, und wo neue entstehen, legen die Betreiber mehr Wert auf Spaßrutschen als auf ein Becken, in dem man vernünftig Schwimmunterricht erteilen kann. "Liebe Kommunen", sagt Achim Wiese deshalb, "bemüht euch um den Bäder-Erhalt, damit die Leute die Möglichkeit haben, schwimmen zu lernen." Schwimmunterricht ist die Voraussetzung fürs Baden ohne Spaßbremsen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: