Baden-Württemberg:Die Rückkehr des Snipers

Baden-Württemberg: Ellwangen ist idyllisch, in der Innenstadt steht die Basilika St. Vitus, auf dem Marktplatz gibt es rote Sofas. Manchmal wird die Idylle durch Schüsse gestört.

Ellwangen ist idyllisch, in der Innenstadt steht die Basilika St. Vitus, auf dem Marktplatz gibt es rote Sofas. Manchmal wird die Idylle durch Schüsse gestört.

(Foto: oh)

Auf dem Marktplatz von Ellwangen fällt ein Schuss, ein Flüchtling wird verletzt. Fremdenhass? Zufall? Die Bewohner sind beunruhigt: Vor zwei Jahren wurde hier schon mal auf Menschen geschossen.

Von Josef Kelnberger, Ellwangen

Ein halbes Dutzend Enzis verteilen sich seit September auf dem Ellwanger Marktplatz. Enzis, so heißen die kantigen Hartschaum-Möbel aus österreichischer Produktion, die vom Wiener Museumsquartier aus ihren Siegeszug angetreten haben. Sie stehen auf öffentlichen Plätzen in Mailand, Moskau, Barcelona und Madrid, als Symbol menschenfreundlicher Urbanität. Das wäre auch was für unseren schönen neuen Marktplatz, dachte sich die Frau eines Mitarbeiters der Ellwanger Stadtverwaltung bei einem Besuch in Wien, und dessen Chef, Oberbürgermeister Karl Hilsenbek, war sofort Feuer und Flamme. Die paar Tausend Euro spielten keine Rolle, schließlich hat die Sanierung des Platzes sechs Millionen gekostet. Und so bestellte man rote Enzi-Sofas als Farbtupfer für Ellwangens gute Stube.

Am vorvergangenen Samstag nahm ein syrischer Flüchtling auf einem Enzi Platz. Mehr als 3000 Flüchtlinge sind in der Kaserne am Rand der 25 000-Einwohner-Stadt untergebracht, viele halten sich an schönen Tagen auf dem Marktplatz auf. Es gibt dort nicht nur Enzis, sondern auch freies Wlan. Die Ellwanger haben sich an die Gäste gewöhnt, und ihre Anwesenheit tut dem doch recht weitläufigen Platz gut. Auf dem roten Sofa also, zwischen Stiftsherrenhäusern und Basilika St. Vitus, saß nun der 53-jährige Syrer und ahnte nichts Böses. Dann fiel ein Schuss. Der Mann wurde am Kopf getroffen, zum Glück nicht ernsthaft.

"Das ist kriminell", sagt Oberbürgermeister Hilsenbek in seinem Amtszimmer, keine hundert Meter vom Tatort entfernt. So ein Geschoss könne tödlich sein, auch wenn es mit einer Druckluftwaffe abgefeuert wurde. Hilsenbek ist ein freundlicher, bedächtiger Mensch. Es macht ihm zu schaffen, dass die kleine Stadt im Ostalbkreis, am Rande Baden-Württembergs, solche Schlagzeilen macht. Im September die Massenschlägerei unter Flüchtlingen, hundert Polizeibeamte im Einsatz. Und nun der Schuss auf einen Mann, der vor dem Bürgerkrieg geflohen ist.

Karl Hilsenbek holt aus einem Aktenschrank eine Mappe mit Berichten zu dem Fall. Anfang 2013 hat schon einmal ein bis heute unbekannter Luftgewehr-Sniper die Stadt heimgesucht. Mindestens 23 Menschen wurden damals getroffen, ebenfalls auf dem Marktplatz. Alles ging glimpflich ab. "23 Nicht-Flüchtlinge", sagt Hilsenbek. Und diesmal ein Flüchtling: "Ein Zufall", sagt Hilsenbek, "so sehe ich das."

Es gibt keine rechtsradikale Szene in der Stadt - und bislang keine Gewalt gegen Asylbewerber

Als OB will man das wohl so sehen. Die Polizei aber wundert sich über Meldungen, die Tat habe definitiv keinen fremdenfeindlichen Hintergrund. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um denselben Täter handelt - aber selbst wenn, ist nicht gesagt, dass der Täter diesmal nicht doch einen Flüchtling meinte. Ein Polizeisprecher erklärt, man wisse nicht, ob der Schuss mit einer Pistole oder einem Gewehr abgefeuert wurde, im Vorbeigehen oder aus einem Fenster. Er antwortet auch nicht auf die Frage, ob sich der Verdacht auf dieselbe Person wie 2013 richtet. Damals wurde die Wohnung eines Verdächtigen untersucht, ohne Ergebnis. Die Ermittlungen laufen.

An den Tagen nach dem Schuss ist der Marktplatz wieder bevölkert wie zuvor. Man geht zur Tagesordnung über, Einheimische wie Gäste. Bei den Flüchtlingen sei der Vorfall kein Thema, bestätigt auf Anfrage Berthold Weiß, der Leiter der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Weiß ist in seinem Amt als Fraktionsvorsitzender der Grünen im Ellwanger Stadtrat ein politischer Gegenspieler des parteilosen Oberbürgermeisters. Aber beide sind sich einig in ihrer Einschätzung: Ellwangen schlage sich wacker angesichts der historischen Herausforderung. Es gibt auf Facebook rechte Hetze gegen die Flüchtlinge in Ellwangen, aber es gibt keine rechte Szene in der Stadt und keine Gewalt gegen die Asylbewerber - vom Schuss, dessen Urheber niemand kennt, einmal abgesehen.

In Orten wie Ellwangen wird sich entscheiden, wie das Land die Flüchtlingskrise meistert. Eine kleine, wohlhabende Stadt ohne Arbeitslosigkeit, gesegnet mit Varta als größtem Arbeitgeber und einem Anschluss an die Autobahn A7, um den sich dreißig Mittelständler gruppieren. "Es könnte besser sein, aber man muss auch mal zufrieden sein", sagt Hilsenbek, das typische Understatement eines baden-württembergischen Stadtoberhaupts. Dass er sich Ende 2014 bereit erklärte, bis zu tausend Flüchtlinge in der von der Bundeswehr verlassenen Kaserne aufzunehmen, hat den Ruhm der Stadt gemehrt.

Ellwangen und auch Meßstetten am anderen Ende der Schwäbischen Alb galten als beispielhaft, wie freundlich Baden-Württemberg Flüchtlingen begegnet. Doch dann kamen viel mehr als gedacht. 4600 im Sommer. Aufruhr in der Stadt, Ellwangen wurde zum Brennpunkt der Flüchtlingspolitik im Land.

Hilsenbek, ein Berufsbeamter, kann bis heute nicht verstehen, dass das Bundesland einen rechtsgültigen Vertrag bricht. Maximal 1000, so hatte man das doch vereinbart. Und dennoch hat sich die Stimmung in der Stadt wieder gebessert. Es melden sich wieder mehr freiwillige Helfer. In den Tagen nach dem Schuss hat sich ein Hilfsverein namens "Sadaka" gegründet, das arabische Wort für freiwillige Gabe. Woran das liegt? Die Polizei zeigt mehr Präsenz, ein Streetworker beruhigt die Gemüter. Doch der Oberbürgermeister glaubt, es seien vor allem die syrischen Flüchtlinge mit ihren Kindern gewesen, die den Umschwung bewirkten. Die Fernsehbilder, aber auch ihr Auftreten im Ort.

"Die Syrer sind einfach nur dankbar, dass man ihnen hilft", sagt der Oberbürgermeister. Sie haben es nicht verdient, dass man auf sie schießt.

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