Bad-Aibling-Prozess:Zu viel Fantasy

Fortsetzung Prozess Zugunglück Bad Aibling

Der angeklagte Fahrdienstleiter Michael P. (re.) im Gespräch mit seinem Anwalt im Sitzungssaal des Landgerichts Traunstein.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Im Prozess gegen den Fahrdienstleiter von Bad Aibling fordert die Anklage vier Jahre Haft. Als ein Nebenklägeranwalt spricht, fließen bei Michael P. die Tränen.

Von Lisa Schnell, Traunstein

Michael P. ist verantwortlich für den Tod von zwölf Menschen, die durch das Zugunglück von Bad Aibling gestorben sind, für 89 Verletzte. Daran besteht für Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Freitag, dem sechsten Verhandlungstag am Landgericht Traunstein, kein Zweifel.

P. hat die Züge als Fahrdienstleiter auf eine eingleisige Strecke geschickt, sich über die Technik hinweggesetzt, nicht wie vorgeschrieben überprüft, ob die Gleise frei sind. Und er hat gespielt. Noch kurz vor dem Zusammenstoß lief auf seinem Handy "Dungeon Hunter 5", ein Spiel mit Dämonen, Kopfgeldjägern und wüsten Schlachten. Dass er davon abgelenkt war, ist für die Staatsanwaltschaft klar, die Verteidigung merkt aber leise Zweifel an. Die Vorschriften der DB verbieten die private Nutzung von Smartphones im Dienst.

Staatsanwalt Jürgen Branz fordert eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, ein Jahr unter der Maximalstrafe für fahrlässige Tötung, wie sie P. vorgeworfen wird. P. solle außerdem in U-Haft bleiben. Die Verteidigung dagegen plädiert für die Aufhebung des Haftbefehls und will eine Bewährungsstrafe. Falls es doch Haft sein müsse, dann nicht mehr als zweieinhalb Jahre.

Nicht die Technik, sondern allein das "kopflose Agieren des Angeklagten" sei schuld an dem Unfall, sagte Staatsanwalt Branz . Über eineinhalb Stunden spielte P. Er jagte durch eine Mittelalter-Fantasywelt, musste eigentlich immer spielen, damit sein Held nicht stirbt. Mehr als 70 Prozent der Zeit, in der P. die Züge lenkte, spielte er, so lautet ein Gutachten. Seine eigentliche Arbeit regelte er "gedankenlos", "wie nebenbei", so Branz. "Wegen eines Computerspiels" seien zwölf Menschen gestorben, unzählige traumatisiert.

"Das Unglück kann nicht ungeschehen gemacht werden, die Angehörigen müssen damit leben, und auch der Angeklagte muss es." - Anwalt der Nebenkläger

Etwa der Mann, der zusah, wie ein Mensch in seinen Armen starb. Als P. das hört, schließt er die Augen, kann die Tränen kaum zurückhalten. Sie fließen, als ein Nebenklägeranwalt sagt: "Die Damen und Kinder, die ich vertrete, nehmen Ihre Entschuldigung an." P. hatte sich entschuldigt, er hatte gestanden, bei den Ermittlungen mitgewirkt.

Das rechnet ihm auch der Staatsanwalt an. Ebenso, dass der Angeklagte Michael P. bis jetzt keine Vorstrafen hatte und sein ganzes Leben gestraft sein wird mit der Schuld und mit den Schulden, die wegen einiger Schadenersatzforderungen wohl auf ihn warten. Dass P. durch sein Spielen abgelenkt war, dafür spreche "sehr viel, aber es ist nicht vollständig sicher", sagt sein Anwalt Thilo Pfordte. Auch die eintönige Arbeit - "Knöpfe bedienen. Sitzen. Knöpfe bedienen" - oder einfach selektive Wahrnehmung könnten zu Unachtsamkeit führen. Bei seinem Urteil möge das Gericht außerdem an andere Urteile zu Zugunglücken denken. Seit dem Jahr 1975 sei kein Täter zu einer Haftstrafe verurteilt worden, trotz einer Vielzahl von Toten und schlimmem Fehlverhalten. Das letzte Wort hatte P. selbst.

Oft senkte Michael P. die Augen, starrte ins Leere, jetzt blickt er hoch zur Empore, wo einige Angehörige in der ersten Reihe sitzen. "Ich leide massiv unter den Ereignissen und bin davon stark betroffen", sagt er. Er sei froh über die Erkenntnisse des Prozesses und hoffe, dass sie auch den Angehörigen "auf ihrem eigenen Weg weiterhelfen können". Das Urteil wird am Montag erwartet.

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