Australien:Interview mit dem Bösen

Ein Australier wird freigesprochen, aber er hat in einem Todesfall eine schlimme Rolle gespielt. Nun wird debattiert: Darf er für seine Geschichte Geld kassieren?

Von Moritz Geier

Gable Tostee bricht ab, mitten im Satz. Er schwitzt und zieht die Augenbrauen zusammen. "Sie hat versucht, sehr viel Lärm zu machen", sagt er, dann folgt ein schneller Schnitt in dem Clip, wie in einem Thriller. Tostee wird als der Böse inszeniert, aber das Fatale für ihn ist: Dieser Thriller ist Realität.

Der gerade veröffentlichte Clip zeigt die ersten Ausschnitte aus einem Exklusivinterview mit Tostee, das der australische Sender Channel 9 an diesem Sonntag ausstrahlt. Der Sender hat es sich einiges kosten lassen, australische Medien sprechen von einer sechsstelligen Summe. Es ist viel Geld für ein Interview, aber vor allem, so empören sich viele Australier, sei es zu viel Geld für ihn. Zu viel für Gable Tostee, den Bösen.

Tostee, 30, ist die Hauptfigur einer Tragödie, die Australien seit zwei Jahren beschäftigt. Im Oktober erst hat ihn ein Gericht freigesprochen vom Vorwurf, eine Neuseeländerin getötet zu haben, aber noch immer glaubt ein Großteil der Öffentlichkeit an seine Schuld. Und nun, so sehen es viele, schlägt er auch noch Profit aus der Geschichte. Der Fall Gable Tostee hat viele Debatten ausgelöst, aber vor allem verhandelt das Land jetzt die Rolle eines Gebrandmarkten in der Gesellschaft: Was darf einer wie Tostee, und was nicht?

Die beiden verlieren im Alkoholrausch die Kontrolle über ihre Leben

Alles beginnt in einer Augustnacht 2014 mit einer Verabredung zweier Fremder. Gable Tostee und Warienna Wright kennen voneinander nur ihre Bilder auf einer Datingplattform. Am Ende fällt die Frau von Tostees Balkon im 14. Stock eines Hauses nahe Brisbane. Es ist das fatale Ende eines Treffens zweier Menschen, die im Alkoholrausch die Kontrolle verlieren. Wenige Tage später wird Gable Tostee festgenommen und angeklagt. Von Anfang an verfolgt die Öffentlichkeit den Fall wie eine Doku-Soap. Medien präsentieren Bilder von Überwachungskameras, es kursieren die Selfies, die die beiden an jenem Abend machen. Selbst die Audio-Aufnahme von Tostees Handy, die den Streit zwischen den beiden dokumentiert, kann man im Internet anhören: 199 Minuten, die letzten im Leben von Warienna Wright.

Zu hören ist, wie Tostee die schreiende Wright auf seinem Balkon aussperrt. Das Gericht wertet das als Beweis, dass Tostee die Frau nicht hinunterwarf. Stattdessen müsse sie bei dem Versuch, vom Balkon zu klettern, abgestürzt sein. Die Ankläger dagegen behaupten, die Aufnahmen bewiesen, dass Tostee die Frau eingeschüchtert und in den Tod getrieben habe. Zu hören ist nämlich auch, wie Tostee im Streit Wright eine "verdammte Psychoschlampe" nennt und sagt: "Du hast Glück, dass ich dich nicht von meinem verdammten Balkon schmeiße." Die Einblicke in diese Abgründe haben die Menschen in Australien zu einer zweiten Jury gemacht, und ihr Urteil fällt anders aus als das des Obersten Gerichtshofs in Brisbane. Dass Tostee sich nun auch noch vor die Kameras stellt, hat einen Shitstorm ausgelöst; selbst die Polizei ist verärgert. "Es mag gesetzlich in Ordnung sein, aber dass er finanziell profitiert, ist widerlich aus ethischer Sicht", sagte ein am Fall beteiligter Kripobeamter der Zeitung Courier Mail.

Nun kennt die Debatte noch einen zweiten Schurken: die Medien

Die Debatte kennt aber auch noch einen zweiten Bösewicht: den Sender Channel 9. Nicht allein Tostee, der Teppichverleger, sondern auch die Medien seien ein Problem, findet eine Kommentatorin des neuseeländischen Senders Newstalk ZB. "Wenn man eine sechsstellige Summe vor ihm baumeln lässt: Natürlich greift er dann zu", sagt sie. Kritiker werfen dem Sender Effekthascherei und Verantwortungslosigkeit vor.

Vom Sender selbst heißt es, man wolle Tostee die Chance geben, seine Sicht der Dinge zu schildern. Das Strafrecht räumt Tätern das Recht auf Resozialisierung ein. Sollte man also Tostee, zumal als Freigesprochenem, nicht zugestehen, dass er sich rechtfertigen darf? Der Tenor in Australiens Öffentlichkeit ist eindeutig: nicht in diesem Fall, nicht zu diesem Preis.

Auch in Deutschland zahlen Medien hin und wieder für Interviews. Exklusivverträge seien aber nur dann vertretbar, wenn damit der Gesellschaft gedient sei, erklärt Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat. "Aber eine Verbrechensgeschichte darf nicht zu Lasten der Opfer vermarktet werden", sagt er.

In dem Channel-9-Clip fragt der Moderator den schwitzenden Gable Tostee: "Können Sie verstehen, warum viele Leute denken, dass Sie ein kalter, herzloser, grausamer Dreckskerl sind?" "Wenn Sie es so formulieren, ähm ...", stammelt Tostee, dann bricht der Clip ab. Für die Quote am Sonntag.

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