Australien:Gable Tostee - der Bösewicht, der ganz Australien bewegt

Gable Tostee trial

Gable Tostee nach seinem Freispruch im Oktober.

(Foto: picture alliance / dpa)

Eine Frau stürzt nach einem Tinder-Date vom Balkon. Der Mann, mit dem sie dabei zusammen war, wird freigesprochen. Darf er jetzt für seine im TV ausgebreitete Geschichte Geld kassieren?

Von Moritz Geier

Gable Tostee bricht ab, mitten im Satz. Er schwitzt, seine Haut glänzt, er zieht die Augenbrauen zusammen. "Sie hat versucht, sehr viel Lärm zu machen", sagt er endlich, dann folgt ein schneller Schnitt in dem Clip, wie in einem Thriller. Gable Tostee wird als der Böse inszeniert, aber das Fatale für ihn ist, dass es kein Thriller ist, sondern Realität.

Der gerade veröffentlichte Clip zeigt die ersten Ausschnitte aus einem Exklusiv-Interview, das der australische Senders Channel Nine am 13. November ausstrahlt. Der Sender hat sich das Interview einiges kosten lassen, australische Medien sprechen von einer sechsstelligen Summe. Angeblich haben sich sogar zwei Fernsehanstalten gegenseitig hochgeboten. Es ist viel Geld für einen Auftritt vor der Kamera, aber vor allem, so empören sich nun viele Australier, sei es zu viel Geld für ihn. Zu viel für Gable Tostee, den Bösen.

Tostee, 30 Jahre alt, ist die Hauptfigur einer Tragödie, die Australien seit zwei Jahren beschäftigt. Im Oktober erst hat ihn ein Gericht freigesprochen vom Vorwurf, eine Neuseeländerin getötet zu haben. Aber noch immer glaubt ein Großteil der Öffentlichkeit an seine Schuld. Und nun, so sehen es viele, schlägt er auch noch Profit aus der Geschichte. Der Fall Gable Tostee hat viele Debatten ausgelöst, vor allem verhandelt das Land jetzt die Rolle eines Gebrandmarkten in der Gesellschaft: Was darf einer wie Tostee und was nicht?

Alles beginnt in einer Augustnacht 2014 mit einer Verabredung zweier Fremder. Gable Tostee und Warienna Wright haben sich auf der Datingplattform Tinder kennengelernt. Am Ende fällt Wright von Tostees Balkon im 14. Stock eines Apartmenthauses in Gold Coast an der australischen Ostküste. Es ist das fatale Ende eines Treffens zwischen zwei Menschen, die sich Stunden zuvor nicht kannten, und die im Alkoholdelirium die Kontrolle über ihre Leben verlieren. Wenige Tage später wird Gable Tostee festgenommen und angeklagt.

Von Anfang an ist der "Tinder-Tod", wie ihn lokale Medien nennen, ein Fall, den die Öffentlichkeit verfolgt wie eine Doku-Soap. Medien veröffentlichen Bilder von Überwachungskameras, die die Unglücksnacht nachzeichnen, vom Treffpunkt der beiden in einem Shopping Center bis zum Betreten von Tostees Apartmentgebäude. Es kursieren die Selfies, die die beiden an jenem Abend machen. Selbst die Audio-Aufnahme von Tostees Handy, die den Streit zwischen den beiden dokumentiert, kann man im Internet anhören: 199 Minuten, darunter die letzen im Leben von Warienna Wright.

Zu hören ist, wie Tostee die schreiende Wright auf seinem Balkon aussperrt. Das Gericht wertet das als Beweis, dass Tostee die Frau nicht hinunterwarf. Stattdessen müsse sie beim Versuch vom Balkon zu klettern, abgestürzt sein. Die Ankläger dagegen behaupten, die Aufnahmen bewiesen, dass er sie eingeschüchtert und in den Tod getrieben habe. Zu hören ist nämlich auch, wie Tostee Wright im Streit eine "verdammte Psychoschlampe" nennt und sagt: "Du hast Glück, dass ich dich nicht von meinem verdammten Balkon schmeiße."

Die tiefen Einblicke in die Abgründe dieser Nacht haben die Menschen in Australien zu einer zweiten Jury gemacht und ihr Urteil fällt eindeutig aus. Sie wollen Tostees Argumentation nicht akzeptieren, dass er, ein kräftiger Mann, sich bedroht gefühlt haben soll von der randalierenden, schmalen Frau. Auch Tostees ruhiges Verhalten nach dem Sturz verstört die Australier, Überwachungskameras zeigen, wie er sich Minuten nach dem Unfall eine Pizza holt. Trotz des Freispruchs vor dem Obersten Gerichtshof bleibt der Mann für die Öffentlichkeit ein Bösewicht.

"Widerlich aus ethischer Sicht"

Tostee selbst sieht sich früh als Opfer der Medien, diese hätten alles getan, sagt er einmal, um ihn "als böses Monster abzustempeln". Nun aber lässt er sich von jenen Medien für viel Geld vor die Kameras zerren. In den sozialen Medien hat Tostee damit einen Shitstorm losgetreten, selbst die Polizei ist verärgert. "Es mag gesetzlich in Ordnung sein, aber dass er finanziell profitiert, ist widerlich aus ethischer Sicht", sagt ein am Fall beteiligter Kripobeamter der Zeitung Courier Mail.

Die Debatte kennt nun aber auch noch einen zweiten Bösewicht: den Sender Channel Nine. "Wenn man eine sechsstellige Summe vor ihm baumeln lässt: Natürlich greift er dann zu", sagt etwa eine Kommentatorin des neuseeländischen Radiosenders Newstalk ZB. Kritiker werfen dem Sender billige Effekthascherei und journalistische Verantwortungslosigkeit vor.

Eine Rechtfertigung? Nicht zu diesem Preis

Vom Sender selbst heißt es, man wolle Tostee die Chance geben, seine Sicht der Dinge zu schildern. Für diese Argumentation spricht, dass das Strafrecht Verurteilten das Recht auf Resozialisierung einräumt. Manchmal kann dabei auch ein Interview, eine persönliche Rechtfertigung, helfen. Sollte man also dieses Recht Tostee, zumal als Freigesprochenem, nicht auch zugestehen? Der Tenor in der australischen Öffentlichkeit ist eindeutig: nicht in diesem Fall, nicht zu diesem Preis.

Auch in Deutschland zahlen Medien hin und wieder für Interviews. Exklusivverträge seien aber nur dann vertretbar, wenn durch das Interview ein wichtiges Thema kanalisiert werde, das die gesamte Gesellschaft betreffe, erklärt Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat. "Aber eine Verbrechensgeschichte darf nicht zu Lasten der Opfer vermarktet werden", sagt er. In einer Richtlinie des Pressekodex heißt es, sogenannte "Verbrecher-Memoiren" seien zu verurteilen, wenn dadurch "lediglich Sensationsbedürfnisse befriedigt werden".

In der letzten Szene des von Channel Nine veröffentlichten Clips fragt der Moderator den schwitzenden Gable Tostee: "Können Sie verstehen, warum viele Leute denken, dass Sie ein kalter, herzloser, grausamer Dreckskerl sind?" "Wenn Sie es so formulieren, ähm ...", stammelt Tostee, dann bricht der Clip ab. Für die Quote bei der Erstausstrahlung am Sonntag.

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