Ausgelaugte Pfarrer:Ruhelos auch am siebten Tag

Viele katholische und evangelische Pfarrer sind völlig überlastet. Was früher vor allem Manager betraf, ist heute auch bei den Seelsorgern keine Seltenheit mehr: Jedem Zweiten droht der Burnout.

Monika Maier-Albang

Das "Graue", wie er es nennt, überfiel Hansjürgen Thomann immer am Morgen. Wenn der evangelische Pfarrer aufwachte, umfasst es ihn mit kalter Hand. "Ich hätte zwar arbeiten können, aber ich wollte nicht. Meine freie Zeit konnte ich nicht mehr sinnvoll verbringen, ich saß nur wie gelähmt rum."

Pfarrer Burnout

Das kommt bei vielen Seelsorgern zu kurz: Otti Fischer als Pfarrer Braun nimmt sich Zeit für sich.

(Foto: Foto: ddp)

Ein Zustand, den der 63-Jährige von sich nicht kannte. Wenn er ihn heute, zwei Jahre später, beschreibt, fallen ihm noch andere Worte ein: "allumfassende Müdigkeit", "Schleier der Erschöpfung". Der Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger prägte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen wissenschaftlichen Begriff für Thomanns Erfahrung: "Burnout".

Was früher als typische Managerkrankheit galt und später den Lehrerberuf in die Diskussion brachte, trifft heute zunehmend auch Pfarrer. In den Oberbergkliniken, die sich auf die Behandlung von "Burnout" spezialisiert haben, kommt inzwischen fast jeder zehnte Patient aus seelsorglichen Berufen.

Und der evangelische Klinikseelsorger Andreas von Heyl, der vor vier Jahren 300 bayerische Pfarrer befragte, fand heraus, dass die Hälfte der Befragten zumindest bedroht ist. Zu schaffen machte den Pfarrern neben mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung vor allem der "rasche Wechsel emotionaler Anforderungen", wie es Heyl formuliert: vormittags Schulunterricht, nachmittags Predigt vorbereiten, abends trifft sich der Kirchenvorstand.

Mehr Stress im Handy-Zeitalter

Dazwischen ruft eine Frau an, deren Mann im Sterben liegt. Nebenbei will der Pfarrer der eigenen Familie gerecht werden. Er muss schnell umschalten, soll immer geistig präsent und erreichbar sein. Seit es Handys gibt, habe der Stress für die Seelsorger noch zugenommen, so der Göppinger Theologe Heyl.

Probleme bereitet evangelischen wie katholischen Pfarrern aber auch die zunehmende Arbeitsbelastung. Die evangelischen Landeskirchen müssen sparen, in katholischen Diözesen fehlt der Priesternachwuchs. Die Konsequenz ist dieselbe: Für die Seelsorger, die übrig bleiben, wird die Arbeit immer mehr.

"Viele gehen da über ihre Grenzen hinweg", sagt Götz Mundle, ärztlicher Direktor der Oberbergkliniken. Dass solche "Selbstverbrenner" häufig in sozialen Berufen zu finden sind, hat aber noch einen anderen Grund: Gerade hier sind sehr idealistische Menschen zu finden, die von sich selbst mehr einfordern, als sich im Alltag einlösen lässt.

Irgendwann wird es dem Körper zu viel: Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme, Tinnitus, Kreislaufkollaps können akute Warnsignale sein. Aber auch die Seele leidet. Die müden Helfer zögen sich "innerlich zurück", sagt Mundle. Manche sprechen zynisch von ihrer Arbeit. Depression, Verzweiflung, ja sogar Selbstmordgedanken können am Ende stehen. Viele der Patienten, sagt Mundle, müssten einfache Dinge wieder erlernen: regelmäßig zu essen, zu schlafen, Sport zu treiben - und eigene Leistungsgrenzen zu erkennen.

Die Ohnmacht aushalten lernen

Hansjürgen Thomann hatte keine körperlichen Beschwerden. Doch das "Graue", das von ihm Besitz ergriffen hatte, machte ihm Angst. Er merkte, dass etwas nicht stimmte mit seinem Verhältnis zur Arbeit.

Viele Jahre lang sei er als Dekan "über die Maßen angespannt" gewesen, so Thomann. Stets habe er versucht, die "Ohnmacht auszuhalten", wenn Ideen oder wichtige Umstrukturierungen nicht umgesetzt wurden. Und er sei ein Stück weit vereinsamt in der Leitungsfunktion. Im Herbst 2005 traf Hansjürgen Thomann eine Entscheidung: Er informierte Synode und Mitarbeiter über seinen Zustand und nahm sich drei Monate Auszeit.

Ruhelos auch am siebten Tag

Für ausgelaugte Pfarrer gibt es zwei Orte, an denen sie wieder zu sich finden können: das katholischen Recollectio-Haus auf dem Gelände der Benediktinerabtei im fränkischen Münsterschwarzach, in das Thomann ging, und das evangelische Haus Respiratio, keine 50 Kilometer entfernt auf dem Schwanberg bei Würzburg.

Therapie mit spirituellem Angebot

Beide sind stets ausgebucht, und der Alltag in beiden Häusern ist ähnlich. Es gibt Einzel- und Gruppensitzungen mit Therapeuten, Bewegungs-, Kunst-, Tanztherapie "Leibarbeit", wie es im katholischen Recollectio-Haus heißt. Ein Konzept, das Leiter Wunibald Müller so umschreibt: "Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen."

Von Fachkliniken unterscheiden sich die kirchlichen Häuser durch ihr spirituelles Angebot: Gebet, Meditation, Gottesdienst gehört zum Alltag. Wunibald Müller brachte die Idee der Mischung aus psychologischer Betreuung und spiritueller Begleitung in den 90er Jahren aus den USA mit. Dort gab es bereits die "Houses of affirmation", die "Häuser der Bestärkung".

Als Müller in Münsterschwarzach anfing, kamen zunächst Ordensschwestern, dann folgten Ordensmänner. Heute sind 60 Prozent seiner Gäste Männer, Priester wie Laien, die zumeist als Seelsorger in einer Gemeinde arbeiten. Lange galt es für kirchliche Mitarbeiter als Stigma, solch ein Haus aufzusuchen. Inzwischen aber kämen die Gäste - Patienten nennt Müller sie nicht - häufig schon vor dem Ausbruch "einer dicken Krise".

"Gönne dich dir selbst!", rät Müller. Und das ist für viele der auf Verzicht getrimmten katholischen Geistlichen ein neuer Ansatz. Noch immer werde das Zölibat von vielen falsch verstanden, sagt Müller.

Geheime Beziehung als Kompensation

Der Verzicht auf sexuelle Beziehungen bedeute eben nicht, dass ein Priester auch auf Intimität verzichten müsse. "Natürlich darf ein Priester Menschen haben, die ihn in den Arm nehmen, ihm zuhören, wo er sich auskotzen kann." Wo solch eine enge Bindung auf Dauer fehlt, geht der Mensch kaputt - oder sucht sich "Schlupflöcher", wie Müller sagt: Alkohol, schnellen Sex, geheimgehaltene Beziehungen.

In Münsterschwarzach lernen die "Gäste", zurück im Alltag zu bestehen: Freizeit mit vertrauten Menschen sollen sie verbringen, sich in der Arbeit mit weniger zufrieden geben, den freien Montag wirklich einhalten. Zudem hält Müller einen geistlichen Begleiter für jeden Seelsorger für unabdingbar.

Auch im evangelischen Bereich sei das Problembewusstsein gewachsen, sagt Klinikseelsorger von Heyl. Er reist zu Vorträgen quer durchs Land und wirbt dabei für "berufliche Psychohygiene im geistlichen Amt". Die Resonanz stimmt ihn zuversichtlich. Personalchefs hätten mittlerweile erkannt, dass ihre Pfarrer das Beten wieder lernen müssen.

Eine halbe Stunde Gebetszeit pro Tag rät Heyl den Kollegen - "Minimum". Wobei dies als Dienstzeit anzurechnen sei. Schließlich sei die eigene Seele das "Handwerkszeug des Pfarrers. Die muss er pflegen wie der Maurer seine Kelle."

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