Atomkatastrophe in Japan:"Hoffentlich kommen bald wieder Lebensmittel"

Wenig zu essen, lange Schlangen an den Tankstellen und vermisste Freunde: Der Universitätsmitarbeiter Kango Koyama erzählt vom schwierigen Überleben nach dem Erdbeben in Japan.

Marlene Weiss

Kango Koyama arbeitet an der Tohoku-Universität in Sendai, wo er die Austauschstudenten betreut. Die Region um die Stadt wurde von dem Erdbeben und dem darauf folgenden Tsunami schwer getroffen. Das Beben hat Koyama überstanden, jetzt beginnt das Aufräumen.

109943024

Leere Regale in den Supermärkten: In vielen Teilen Japans sind Lebensmittel derzeit knapp.

(Foto: AFP)

SZ: Herr Koyama, wie geht es Ihnen, ist alles in Ordnung?

Kango Koyama: Nein, eigentlich ist überhaupt nichts in Ordnung.

SZ: Wo waren Sie, als das Erdbeben ausbrach?

Koyama: Ich war in meinem Büro. In Japan gibt es ja oft Erdbeben, aber so etwas habe ich noch nie erlebt, es war fürchterlich. Wir sind alle unter die Tische gekrochen. Zum Glück wurde niemand verletzt, aber wir standen alle unter Schock. Es dauerte lange, bis die Erschütterungen aufhörten. Mit Unterbrechungen dauern sie noch immer an.

SZ: Und jetzt sind Sie schon wieder in Ihrem Büro?

Koyama: Ja. Für die Studenten ist die Universität geschlossen, aber wir versuchen, die Büros wieder aufzuräumen, alle Computer sind von den Tischen gefallen. Aber in meinem Büro gibt es noch keinen Strom, und ohne Strom kann ich nicht arbeiten.

SZ: Es ist erstaunlich, dass Sie in dieser dramatischen Situation überhaupt an Arbeit denken.

Koyama: Ich muss herausfinden, ob die internationalen Studenten in Sicherheit sind. Ich weiß, wir Japaner arbeiten zu hart, eigentlich immer, aber wir machen uns Sorgen um die Studenten. Ich war seit 24 Stunden nicht daheim.

SZ: Warum nicht?

Koyama: Hier ist so viel zu tun; und bei mir gibt es weder Wasser noch Strom. Wir haben die Turnhalle geöffnet, viele Leute in Sendai haben kein Wasser, keinen Strom und kein Gas. Auch viele Schulen haben ihre Sporthallen geöffnet, die Leute kommen und bleiben über Nacht. Auch ich habe letzte Nacht dort geschlafen. Wir sorgen für etwas Wasser und Essen. An den Tagen nach dem Beben waren 100 bis 200 Leute da, jetzt sind es nur noch etwa 40. Langsam kommt die Versorgung zurück, in manchen Wohnungen gibt es jetzt wieder Strom.

SZ: Wie haben Sie sich ohne Elektrizität über die Lage informiert?

Koyama: Wir haben Radio gehört, das läuft mit Batterien.

SZ: Wie sieht es in Sendai jetzt aus?

Koyama: Eigentlich geht es, Sendai selbst ist nicht so stark beschädigt wie andere Städte in der Umgebung.

SZ: Sind noch Familienmitglieder oder Freunde von Ihnen vermisst?

Koyama: Meine Eltern und meine anderen Verwandten leben weit weg von Sendai, sie waren zum Glück nicht vom Beben betroffen. Es war schwer, meine Freunde zu erreichen, weil Telefon- und Handynetze zusammengebrochen sind. Bis gestern Nacht konnte ich sie nur über E-Mail kontaktieren. Mittlerweile habe ich die meisten erreicht, sie sind in Sicherheit. Auch die Studenten versuchen wir, über E-Mail anzuschreiben. Und wir setzen auf der Homepage der Universität ein Registrierungssystem auf, wo alle eintragen können, wo sie sind, damit wir wissen, dass es ihnen gut geht.

SZ: Denken Sie darüber nach, Sendai vorerst zu verlassen?

Koyama: Nein, ich bleibe hier, meine Arbeit ist hier. Ich glaube, die meisten werden bleiben. Aber es mangelt an allem, und die Leute haben Angst vor der Strahlung vom Fukushima-Kraftwerk.

SZ: Wie versorgen Sie sich mit Wasser und Nahrungsmitteln?

Koyama: Bei meinen Schwiegereltern gibt es wieder Wasser, vorerst wohnen meine Frau und ich dort. Aber das Essen ist knapp. Ich esse weniger als sonst, den meisten geht es so. Hoffentlich kommen bald wieder Lebensmittel in die Stadt, wenn die Straßen wieder befahrbar sind. Die Märkte und Geschäfte sind manchmal offen, aber die Schlangen sind lang, und es ist schnell alles ausverkauft.

SZ: Wie ist es mit Benzin?

Koyama: Vor kurzem habe ich versucht, zu tanken, aber an der Tankstelle war eine endlose Autoschlange, und es hieß, es sei ausverkauft. Es ist fast unmöglich, Benzin zu bekommen. Ich habe noch ein bisschen übrig, wenn das alle ist, muss ich Fahrrad fahren. Aber zum Büro sind es nur sieben Kilometer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: