Asyl in den USA:Flucht vor der Schulpflicht

Wegen ihrer Religion fühlt sich Familie Romeike in Deutschland verfolgt. Nun hat sie mit ihren fünf Kindern in den Vereinigten Staaten Asyl beantragt.

Oliver Bilger

Fast 7500 Kilometer trennen die alte Heimat der Familie Romeike von ihrem neuen Zuhause. Doch für Uwe und Hannelore Romeike sowie ihre fünf Kindern von drei bis elf Jahren liegen Welten zwischen dem Örtchen Bissingen an der Teck, südöstlich von Stuttgart, und der Kleinstadt Morristown im US-Bundesstaat Tennessee.

Asyl in den USA: Hannelore Romeike will ihre Kinder zu Hause unterrichten.

Hannelore Romeike will ihre Kinder zu Hause unterrichten.

(Foto: Foto: AP)

Dort nämlich lebt die Familie seit August vergangenen Jahres. Vor wenigen Tagen hat sie Asyl beantragt - weil sie sich in Deutschland politisch verfolgt fühlt. Kehren sie zurück nach Baden-Württemberg, so fürchtet das Ehepaar, drohen Geld- und Haftstrafen, womöglich gar der Verlust des Sorgerechts.

Grund für die Flucht in die Vereinigten Staaten war ein Streit, den sich das Ehepaar über Monate hinweg mit den Behörden geliefert hatte. Damals hatte das Elternpaar entschieden, ihre drei ältesten Kinder nicht mehr in die Grundschule zu schicken, sondern daheim zu unterrichten.

In Deutschland sieht die allgemeine Schulpflicht jedoch den regelmäßigen Besuch einer Bildungsstätte vor. Unterricht zu Hause ist nicht gestattet. Anders in den USA: Dort bekommen 1,5 Millionen Kinder in den eigenen vier Wänden Wissen vermittelt.

Auch Romeikes Religion spielt eine wichtige Rolle. Der 37 Jahre alte Klavierlehrer und seine Frau gehören einer strenggläubigen evangelikalen Gruppe an. Vater Uwe Romeike erklärte, er wolle seine Kinder selbst unterrichten, weil die Schulbücher Formulierungen und Vorstellungen enthielten, die nicht mit den Werten seiner Familie vereinbar seien. Ein Schlüsselerlebnis für ihn soll ein Schulbuch gewesen sein, in dem obszöne Ausdrücke für Geschlechtsverkehr stünden. Romeike nennt dies "unchristliches Treiben".

Im Sommer 2006 entschieden die Romeikes, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken. Nachdem ein Gespräch mit dem Rektor die Familie nicht umstimmen konnte, holte die Polizei die Kinder zu Hause ab. Das sei eine sehr schwere Entscheidung gewesen, erinnert sich der Bürgermeister von Bissingen, Wolfgang Kümmerle. Mit Verfolgung könne diese Maßnahme aber nicht gleichgesetzt werden.

Er sieht auch nicht die Gefahr, den Eltern könnte das Sorgerecht entzogen werden. Dazu müsse ja das Wohl der Kinder gefährdet sein, was bei den Romeikes nicht der Fall sei. Ein Gericht habe damals über ein Zwangsgeld beraten, berichtet Kümmerle. Vor der entscheidenden Anhörung habe die Familie Deutschland verlassen.

Uwe Romeike lehnt Interviewanfragen mittlerweile ab. In einer schriftlichen Stellungnahme der Familie heißt es, die Kinder hätten in den ersten Schuljahren unter "Klassendruck" und "Gewalt unter Klassenkameraden" gelitten. Das habe bei einer Tochter zu Kopfschmerzen geführt. Die Entscheidung, ihre Kinder selbst zu unterrichten, begründen die Eltern folgendermaßen: "Uns ist es wichtig, ihnen eine gesunde Herzens- und Charakterbildung zu vermitteln."

Weiter heißt es in ihrem Schreiben: "Wir haben festgestellt, dass die staatlichen Schulen in Deutschland keinen wertneutralen Unterricht bieten, sondern traditionell christlichen Werten wie Nächstenliebe, Treue, Zuverlässigkeit, Fleiß, Hilfsbereitschaft oder Respekt entgegenwirken."

Martin Daßler, Konrektor der Grundschule in Bissingen widerspricht den Anschuldigungen: Die Sprösslinge der Romeikes seien "ganz normal integriert" gewesen. "Empört" hätten sich die ehemaligen Klassenkameraden über die "bösen Unterstellungen" geäußert.

Der Anwalt der Romeikes hält die Chancen seiner Mandanten, den Asylantrag bewilligt zu bekommen, für "sehr gut". Die Familienmitglieder seien als Touristen in die Vereinigten Staaten gereist und hätten sich dann entschieden zu bleiben, sagt Michael Donnelly von der Home School Legal Defense Association, einem Verband für das Recht auf häuslichen Unterricht.

Eine Entscheidung über das Asylgesuch soll jedoch erst Mitte Dezember fallen, das habe der zuständige Richter am Einwanderungsgericht in Memphis erklärt. Der Asylantrag sei die einzige legale Möglichkeit für die Romeikes dauerhaft in den USA zu bleiben, erklärte Lobbyanwalt Donnelly. Die Chancen auf eine Green Card, also einer unbeschränkten Aufenthaltsgenehmigung, stünden nämlich schlecht.

Sollten die Romeikes mit ihrem Vorhaben scheitern, so müssten die Kinder wieder in Deutschland zur Schule gehen, sagt ein Sprecher des Kultusministeriums in Stuttgart. Eine Verletzung der Schulpflicht könne auch weiterhin nicht geduldet werden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: