Aristokraten-Look:Was Besseres sein

Um allen den Einstieg in ein Leben mit Familienwappen und Wachssiegel zu erleichtern, bedienen sich Armani, Burberry, Miu Miu und auch H&M schamlos aus der Mottenkiste der Oberschicht.

Von Kerstin Kullmann

Aristokratie für alle: Labels wie Armani, Burberry, Miu Miu und jetzt auch H&M setzen auf Insignien des Adels

Karl Lagerfeld entwirft Mode für einen Fußgängerzonen-Modeausstatter? Klingt irgendwie unglaubwürdig. Und doch ist es so: Die Modekette H&M, allgegenwärtig auch in deutschen Innenstädten, stellt in wenigen Tagen, am 12. November, eine Kollektion vor, die so schwarz-weiß und dünn wie Lagerfeld selbst aussieht - und bereits jetzt als Erfolg gilt.

Auf seinem Landsitz in Biarritz erklärt Lagerfeld, weshalb er für die Mode und gleichzeitig für die Demokratie ist: "Manche Leute finden nur schön, wofür sie Tausende hinblättern. Die werde ich eines Besseren belehren. Auch Qualität kann preiswert sein." Der Reporter Paul Sahner hat mitgeschrieben und das Statement auf den Seiten des wohl am häufigsten aus Langeweile gelesenen Blattes der Nation platziert: des Magazins der Deutschen Bahn.

Vieles deutet darauf hin, dass diese medienwirksame Liaison nur der vorläufig letzte Schritt einer größeren Umwälzung im hierarchischen Gefüge zwischen Haute Couture und Wühlecke ist. Seit diesem Herbst erlebt sie nämlich eine Renaissance, die Ständegesellschaft in der Mode.

Man tritt neuerdings in Tweed-, Samt- und Cordkombinationen auf, wirft sich Schals mit Burberry-Karos um die Schultern und pinnt sich Silberbroschen ans Revers. Man hüllt sich in Mäntel mit Fischgrätmuster, stülpt sich schlammgrüne Gummistiefel über die Füße und, wäre es nicht deutschlandweit verboten, schulterten die Anhänger des neuen Adel-Looks wahrscheinlich auch gerne ein poliertes Jagdgewehr. Ja, warum eigentlich nicht mal mit einer hübschen Churchill-Doppelflinte durch die Fußgängerzone flanieren?

Die Haute Couture bedient sich bereits seit etwa zwei Jahren der Insignien des Adels und des reichen Bürgertums. Den uralten Wunsch der Besitzenden, nicht nur reich zu sein, sondern auch Klasse zu haben, konnte man zuletzt wieder am Schimpfwort "New Posh" beobachten: Als neureich und vulgär wurden auf diese Weise Fußballergattinnen wie Victoria Beckham oder die Hotelerbin Paris Hilton bezeichnet.

Der Stil der "Real Posh" - also der Oberschicht mit altem Geld und Tradition -, sei unerreichbar für jene Modepüppchen. Der Tenor der Kritik: Schnöder Mammon könne nicht alles kaufen. Erst recht keine Klasse.

Was Besseres sein

Doch fehlt auch der Stammbaum, kann man jetzt wenigstens so aussehen, als besäße man einen: Wie um den neuen Reichen den Einstieg in ein Leben mit Familienwappen und Wachssiegel zu erleichtern, bedienen sich Labels wie Armani, Burberry Prorsum oder die junge Prada-Linie Miu Miu in diesem Herbst schamlos aus der Mottenkiste der Oberschicht.

Wohin das Auge reicht: Tweed, Karomuster, Samt, Pelz und dicke Klunker, die aussehen sollen, als hätte sie Oma am Sterbebett vermacht. Die Wiederentdeckung des Bürgertums, konservativer Werte und das neue Beharren auf Sitte und Tradition finden damit ihre Entsprechung in der Mode.

Und auch in den so genannten High-Street-Läden H&M, Zara oder Mango setzt sich der Trend nun fort: Schneidern diese doch seit eh und je preiswert nach, was auf den Schauen in Mailand und Paris gezeigt wurde.

Diese Entwicklung wurde oft als Demokratisierung der Mode bezeichnet, denn ihre Prämisse lautet: "Haute Couture" für alle! Und: Man kann jeden Look kopieren. Doch in diesem Herbst höhlt der Wunsch nach Noblesse und Geld das Prinzip des preiswerten Kopierens aus: Wenn die Mode zeigen soll, dass man "was Besseres ist" - wie kann sie dann gleichzeitig ihre eigene, billige Kopie darstellen?

Dass die Mode ein Spiel ist und einen beständigen Wechsel der eigenen Identität ermöglicht, ist nicht neu. Doch das Spiel findet nicht nur auf der horizontalen Ebene statt, also zwischen den Subkulturen des Pop, wie sie etwa von Designern wie Vivienne Westwood oder Alexander McQueen vorgeführt werden.

Das Spiel funktioniert auch auf der vertikalen Ebene: zwischen den Schichten. An jener vertikalen Ebene rütteln zunehmend die High-Street-Modeshops und deren neuberufene Demokratisierer wie Karl Lagerfeld. So bekommt die Mod-Kultur der Sechziger in England bei H&M ein kariertes Einstecktuch in den Militär-Parka gesteckt, damit sie ein wenig reicher und more distinguished aussieht.

Und den guten Tipp mit auf den Weg, doch in dieser Saison mehr "Argyle" zu tragen - jenes diamantförmige Muster, mit dem das Traditionshaus Burlington seine Socken schmückt. "Topshop", das britische Pendant zu H&M, hält sich mit Mods und Proleten gar nicht erst auf, sondern nennt seine neue Linie gleich "Aristocrats": Ein Häkel-Überwurf zur Blümchen-Bluse wird zum Gipfel der Gemütlichkeit. Der Traum vom Korbstuhl im englischen Landhaus, dem Knisterfeuer und der Strickarbeit im Schoß wird gleich mitgeliefert.

Eine seltsame Verbindung tut sich zwischen Aristokratie und Bürgertum in diesem Modetrend auf: Konnte der Adel seit jeher und ohne schlechtes Gewissen seinen Drang nach Prunk ausleben, war dem protestantischen Bürgertum, neu zu Geld gekommen, die Ratio vorgeschrieben. Statt Juwelen, die fürs Leben hielten, musste es der dicke Mantel tun.

Ergebnis waren Stoffe wie Loden oder Tweed, die allein schon durch Farbe oder Musterung zu beweisen scheinen, dass ihr Gewebe fest und kräftig ist und auch der Witterung der äußeren Hebriden standhalten könnte. Von jeher korrespondierte im Bürgertum der Charakter der verwendeten Materialien mit den Werten, die man als Maßstab für das eigene Leben ansetzte. Als der Puritaner Benjamin Franklin seine amerikanischen Mitbürger mahnte: "Time is money", sprach er von jeder Sekunde des Lebens. Zeit zum Einkaufen bleibt beim Geldverdienen nicht. Schon allein deswegen muss der Mantel ein Leben lang halten.

Was Besseres sein

Die Accessoires der Noblesse sind jetzt zwar leichter zugänglich als bisher: in Form von erschwinglichem Glitzertand und Samtschleifchen, ansteckbaren Blüten und Broschen.

Der neue Aristokraten-Look ist aber von eher fragwürdiger Qualität: Die billigen Oberteile besitzen eine Lebenszeit von etwa einem Jahr, beim Waschen im Salon um die Ecke eher noch kürzer. Um das, was die Muster und Stoffe von Aristokratie und Bürgertum ursprünglich einmal symbolisierten, kann es den neuen Möchtegern-Adeligen demnach nicht gehen.

Hinzu kommt, dass die High-StreetLäden mit dem neuen Aristokraten-Look gleichzeitig auch eine neue, verniedlichte Form der Street-Credibility verbreiten, die weder an die Ausschweifungen des Versailler Hofs noch an die Raison der "Buddenbrooks" erinnert.

Vielmehr zeigt sich in ihr die schlaksige Unentschlossenheit der Suburbia-Kids von Richard Linklater: In einem H&M-Werbespot laufen ein Mädel und ein Junge mit Graffiti-Spraydosen auf einem Abstellgleis herum und kicken die Dosen lachend ins Gebüsch. Es wird aber nicht gesprüht: Dazu sind die beiden Cordsakkoträger dann doch zu lieb und brav.

Nächste Szene: Ein verschlampter Rothaariger begehrt per silbernem Türklopfer Einlass ins Zimmer einer Pferdebeschwanzten. Die wälzt sich mit Perlenkette und rosa Satinkleidchen auf ihrer WG-Matraze.

Wieder eine andere geht Pferde streicheln und trägt dabei falschen Pelz. Die neuen Adligen aus Neuperlach oder Marzahn kokettieren mit der Unschuld von Effi Briest - und wollen den keimfreien Glamour einer Scarlett Johansson.

Was bleibt, wenn auch dieser Trend vorüber ist? Vermutlich, wie immer, die beständigeren, qualitativ hochwertigeren Materialien - und das Wissen, wie man mit ihnen umzugehen hat, ein Wissen, das nach wie vor nicht allen zugänglich ist.

Ein Blick auf die Wachsschicht einer Barbourjacke genügt, um zu wissen, wer drin steckt. Doch das Beharren auf dieser Abgrenzung wird ihrerseits auch immer mehr zur Pose - denn auch die besitzende Klasse treibt die Aushöhlung der Klassenunterschiede in der Mode voran.

Karl Lagerfeld verspricht, nicht die letzte H&M-Kollektion entworfen zu haben. Und Societydamen gestehen in Bunte und Gala, sich die neueste Luis-Vuitton-Tasche auch gerne mal beim Straßendealer für 30 Euro zu holen. Diejenigen, die, wie Lagerfeld es ausdrückt, Mode nur für Tausende Euro für sinnvoll halten, werden auf diese Weise zu unverbesserlichen Snobs degradiert.

Ein klassenloses Klassenbewusstsein ist die Folge. Denn von nun an kann jeder mit dem kokettieren, was er nicht ist: was Besseres nämlich.

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