Architekt entdeckt DDR-Wohnung:Deutsche Demokratische Reste

Vita-Cola, Juwel-Zigaretten und eine Flasche Kristall Wodka: Wie der Architekt Mark Aretz bei der Renovierung einer Wohnung in Leipzig zum Archäologen wurde.

Martin Zips

Mitte des vergangenen Jahres besichtigte Architekt Mark Aretz, 44, in Leipzig einen Altbau aus der Gründerzeit. Im Auftrag des Eigentümers sollte er ihn sanieren. Aretz traute seinen Augen nicht, als er in dieser Wohnung auf 40 Quadratmeter lupenreine DDR stieß. Seit dem offenbar überstürzten Auszug des Bewohners Heiko B. hatte diese Wohnung - seit der Wende - niemand mehr betreten.

Architekt entdeckt DDR-Wohnung, dpa

Zeitreise in die DDR: Der Architekt Mark Aretz hat in Leipzig eine Wohnung entdeckt, in der die Zeit im August 1988 stehengeblieben ist.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Aretz, welchen Monat zeigte denn der Wandkalender an?

Mark Aretz: August 1988. Gut, die Wohnung machte uns nicht unbedingt den Eindruck, als wäre hier der Wandkalender regelmäßig umgedreht worden. Aber es sah ganz danach aus, dass hier jemand zu Zeiten der Wende alles stehen und liegen gelassen hatte. Wir waren die Ersten, die die Wohnung wieder betraten.

SZ: Passiert Ihnen so etwas öfter?

Aretz: Nein. Ich renoviere hier ja viele Wohnungen, aber die letzte, in der wirklich noch das Frühstück aus DDR-Zeiten auf dem Tisch stand, sah ich 1997.

SZ: Beschreiben Sie doch mal die Wohnung in der Crottendorfer Straße.

Aretz: Da lag Alubesteck und Plastikgeschirr herum, Vita-Cola, Marella-Delikatessmargarine, dazu halb zerfressene Brötchen im Dederon-Netz. Karo- und Juwel-Zigaretten, Rügener fischhaltige Paste, Elkadent-Zahncreme, Strumpffüßlinge von Esda. Auch eine leere Flasche Kristall Wodka stand rum. Interessant waren die Briefe und Dokumente.

SZ: Bitte? Die haben Sie sich auch angesehen?

Aretz: Ja. Ich fand einen Führerschein, eine Vorladung bei der Volkspolizei wegen "Klärung eines Sachverhalts", Durchsuchungsprotokolle, eine Bescheinigung über seine Haftentlassung und Zahlungsaufforderungen der Stromgesellschaft für die Zeit, während er einsaß. Ich fand auch einen Brief von seiner Schwester. Dort stand, er müsse alles, was er sich eingebrockt hat, nun auch selber auslöffeln: "Was willst Du denn schon wieder in Potsdam? Geht Deine Rumtreiberei wieder los? Dann melde Dir doch gleich eine neue Zelle an." So etwa.

SZ: Wie ist das zu interpretieren?

Aretz: Schwer zu sagen. In jedem Fall scheint Heiko B. zu den DDR-Bürgern gehört zu haben, die sich nicht einfügten. Und wer sich nicht einfügte, der bekam bekanntlich schnell mal Ärger. Herr B. war mindestens zweimal inhaftiert.

SZ: Herr Aretz, dürfen Sie das denn? Einfach so in Dokumenten wühlen? Als Architekt?

Aretz: Moment. Ich habe in Leipzig schon Tausende Wohnungen saniert. Das läuft immer gleich ab: Der Eigentümer gibt mir den Schlüssel, dann schaue ich mir alles an und rufe die Entrümpler. Aber wenn da Urkunden oder so rumliegen, so fällt es mir schon schwer, das wegzuwerfen. Das nehme ich dann mit. Natürlich kann B., sollte er einmal auftauchen, alles gerne wieder bei mir abholen.

SZ: Haben Sie denn schon versucht herauszufinden, wo B. heute wohnt?

Aretz: Nein. Das dürfte auch nicht leicht sein. Allein in Deutschland gibt es mindestens 65 Menschen, die seinen Namen tragen.

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