Aprilscherze:Witz lass nach

Panorama
Illustration: Jochen Schievink

Illustration: Jochen Schievink

Scherze zum 1. April waren wohl mal der Versuch, den Winter gemeinsam lachend zu vertreiben. Heute stellen viele Firmen Aprilscherze ins Netz, um im Gespräch zu bleiben. Wie der Humor nach und nach seine Unschuld verloren hat.

Von Martin Zips

Veräppelt wird schon lange, am 1. April. Doch heute wird auch noch versucht, damit viel Geld zu machen. Ein Fernbus-Anbieter zum Beispiel streute im vergangenen Jahr die Mär von den Katzenbabys, die künftig bei ihm für "Wohlfühlatmosphäre an Bord" sorgen sollten. Alles nur, um ein bisschen aufzufallen. Eine Internet-Plattform wiederum behauptete, ebenfalls am 1. April, ab sofort auch Mietflächen auf dem Schrott-Flughafen BER anzubieten. Natürlich, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und selbst eine Kinderhilfsorganisation versuchte sich zuletzt an einem öffentlichkeitswirksamen Aprilscherz: Mit einer neuen App lasse sich künftig erkennen, ob ein Spielzeug besser für Mädchen oder für Jungen geeignet sei, versicherte sie.

"Mit Aprilscherzen versuchen Firmen und Organisationen, im Gespräch zu bleiben", sagt Lucas Schärf, Mitgründer und CEO der Wiener Werbeagentur Content Garden. "Solche Dinge gehen schnell viral und mögen für den ein oder anderen Schmunzler sorgen." Weltweit überbieten sich mittlerweile Unternehmen am "April Fool's Day", wie der Tag in den USA heißt, mit immer neuen Spaß-Ideen. Zuletzt warb der Hamburger Flughafen mit dem angeblich neuen Service "Rent a Abholer", ein US-Onlinedienst wollte ein Kissen erfunden haben, mit dem man über Nacht eine fremde Sprache lernen kann, und das russische Außenministerium setzte auf frühlingshafte Selbstironie, als es auf Facebook eine neue Ansage für die Anrufbeantworter seiner Botschaften pries: "Brauchen Sie die Dienste russischer Hacker? Dann drücken Sie die Zwei!"

Der Aprilscherz ist in der Krise. Das sagte auch der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder. Seit Jahren schon wird Hirschfelder nicht müde darauf hinzuweisen, dass es falsch sei, die private Spaßproduktion "an eine vermeintliche Elite in den Medien" zu delegieren - und Humor damit zum "hochprofessionellen Fremdprodukt" zu machen.

Es stimmt ja: Früher war ein Scherz einfach nur ein Scherz. Da wurde am 1. April zum Beispiel der Lehrling von seinem bayerischen Meister in die Apotheke geschickt, um dort "Ibidum" zu holen. Und nur der Pharmazeut erkannte: "Ibidum", das meint "Ich bin dumm." Ein Riesenbrüller im Pillenladen. Und ganz ohne pekuniäre Absichten.

Bereits unter dem französischen König Charles IX. sollen all jene Bürger verspottet worden sein, die nichts davon mitbekommen hatten, dass das Neujahrsfest nach der Kalenderreform künftig am 1. Januar zu feiern sei - und nicht mehr Anfang April. Liegt hier der Ursprung des taggebundenen Schabernacks? Oder gibt es, wegen seiner Nähe zum Osterfest, eine biblische Verbindung? Einige historische Quellen stellen tatsächlich einen Bezug zu Jesus her, da dieser nach seiner Gefangennahme "von Pontius zu Pilatus", also von Richter zu Richter, geschickt worden sei. Plausibler freilich klingen jene Erklärungen, die im (für Deutschland erstmals im frühen 17. Jahrhundert nachweisbaren) Aprilscherz nichts anderes sehen als den Versuch, den Winter gemeinsam lachend zu vertreiben.

Auch Zeitungen und Fernsehsender finden immer wieder Gefallen am Aprilscherz. Legendär ist die BBC-Reportage über die angebliche "Spaghetti-Ernte" im Tessin vom 1. April 1957. Am 1. April 1962 wiederum riet eine deutsche Programmzeitschrift ihren Lesern, den Fernseher für den besseren Empfang hochkant zu stellen. Auch die Süddeutsche Zeitung brütete Scherze aus. So lange, bis am 1. April 1995 eine Seite-Drei-Reportage über genmanipulierte (und angeblich Schäferhunde fressende) Riesenschweine aus Pattling ein bisschen zu viel des Trubels auslöste.

Heutzutage locken solche Witze freilich keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Höchstens in China, wo die staatliche Nachrichtenagentur in regelmäßigen Abständen vor dem West-Import Aprilscherz warnt, da er "unvereinbar mit den sozialistischen Kernwerten" sei. In Deutschland wird der Brauch des "Sich-in-den-April-Schickens" durch Paragraf 118 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschützt. In kompliziertem Behördendeutsch heißt es hier: "Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, ist nichtig." Mit anderen Worten: Ein Witz ist ein Witz, wenn er witzig ist.

Würden sich Max und Moritz heute Aprilscherze für Pornhub ausdenken?

Das mit der Witzigkeit aber ist schon so eine Sache - nicht nur am 1. April. Der Berliner Youtuber Amad A. zum Beispiel hielt es vor zwei Jahren für ausgesprochen witzig, Menschen am Geldautomaten eine Sporttasche vor die Füße zu werfen und dabei laut zu rufen: "Lauft weg, wenn euch euer Leben etwas wert ist!" Die dabei entstandenen Filmaufnahmen brachten es im Internet auf Hunderttausende Klicks; A. brachten sie sieben Monate Haft auf Bewährung ein. Wegen Nötigung, Körperverletzung und Störung des öffentlichen Friedens. Der Richter nämlich fand seinen Scherz überhaupt nicht witzig.

In den Achtzigerjahren, einer Zeit, in der "Verstehen Sie Spaß?" noch von Kurt Felix moderiert wurde, erfreuten sich am 1. April vor allem Dinge wie Furzkissen, Zaubertinte und Knalleinlagen für Zigaretten allergrößter Beliebtheit. Und was ist dieser Tag heute? Ein gut laufendes, hochprofessionelles Geschäft. Wie Fasching und Halloween für Kostümverkäufer - und Muttertag für Blumenhändler.

Wären Max und Moritz heute Content-Manager?

Max und Moritz würden inzwischen wahrscheinlich als "Prankmaster" Videos im Netz veröffentlichen. So wie das Kölner Pärchen Bibi und Julienco, die sich vor laufender Kamera mit Ketchup beschmieren oder mit Spielzeugwaffen beschießen - und von den Klicks offenbar ausgezeichnet leben können. Oder würden sich Max und Moritz heute doch als Content-Manager professionell Aprilscherze für Unternehmen ausdenken? So etwas wie: Das Pornoportal Pornhub heißt ab jetzt "Cornhub" und zeigt - hihi - kopulierende Maiskolben? Ja, auch das gab es schon.

Der Zürcher Persönlichkeitspsychologe und Humorforscher Willibald Ruch jedenfalls sieht die Entwicklung gelassen. "Durch Humor lernen wir, über uns selbst zu lachen", sagt er. Da sei es eigentlich egal, von wem ein Aprilscherz stammt. Sobald er "von mangelnder Selbstregulation und fehlender sozialer Intelligenz" zeuge, funktioniere er auch gar nicht mehr, höchstens bei einem "sehr speziellen" Publikum. Dass die Flut von digitalen Aprilscherzen zur Umsatzsteigerung einzelner Unternehmen beiträgt, daran glaubt Werbeexperte Lucas Schärf übrigens nicht. Humor, sagt er, sei aus wirtschaftlicher Sicht nur dann sinnvoll, "wenn er wirklich wichtige Inhalte transportiert".

An diesem 1. April wird man wieder sehen, dass sich das noch nicht sehr weit rumgesprochen hat.

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