Antwerpen:Blutige Spur ins rechte Dickicht

Die Morde eines 18-jährigen Skinheads schockieren Belgien. Offenbar wollte der Täter ein noch größeres Massaker geplant. Motiv: Fremdenhass.

Martin Winter

Der Tod trägt an diesem Morgen schwarze Springerstiefel, ist 18 Jahre alt und hat sich gerade ein Gewehr der Marke Winchester gekauft. Von der Lombardenvest in der Altstadt von Antwerpen, wo er die Waffe samt Munition erstanden hat, geht Hans van Themsche über den Groote Markt, den Prunkplatz der Hafenstadt, und verschwindet in den Nebenstraßen.

Antwerpen, dpa

Nach dem Doppelmord: Angehörige der Opfer trauern in den Straßen Antwerpens.

(Foto: Foto: dpa)

In der Kleine Goddard sitzt eine Türkin auf einer Bank in der Sonne und liest ein Buch. Sie ist die Erste, auf die er schießt. Mit geschultertem Gewehr geht er weiter in die Zwaartzusterstraat. Dort trifft er eine junge Afrikanerin mit einem kleinen, weißen Mädchen an der Hand. Er spricht sie an und feuert.

Das Au-pair-Mädchen Doui aus Mali und die zweijährige Luna sind sofort tot. Als der Schütze auf der Suche nach weiteren Opfern um die Ecke in die Koorte Doornikstraat biegt, stellt ihn ein Zivilpolizist. In einem Schusswechsel wird van Themsche in den Bauch getroffen, aber nicht lebensgefährlich verletzt, während die Türkin noch mit ihrer schweren Verletzung kämpft.

Verwandte des Täters sind Rechtsradikale

In der Jacke des Täters und später in seiner Wohnung wird rechtsradikales Material gefunden. Seine Tante ist Frieda van Themsche, Parlamentsabgeordnete für den rechtsradikalen Vlaams Belang. Sein Vater soll Mitgründer der Vorläuferorganisation Vlaams Blok gewesen sein.

Das sind die Fakten, doch erst ihre Auslegung wird über den Kurs entscheiden, den die Belgier bei ihrer Seelenerforschung nun einschlagen. Sie haben eine schwarze, genauer gesagt blutige Woche hinter sich.

Vor der Tat in Antwerpen am Freitag passierte es in Brügge, der alten flandrischen Metropole: In der Nacht zum Sonntag waren dort in der Nähe der Skinhead-Kneipe "De Kastelein" zwei Afrikaner zusammengeschlagen worden. Einer liegt seitdem im Koma.

Einzelne Täter, aber keine Einzeltat

Fünf Opfer von Rassismus in kurzer Zeit. Und wenn man den 23-jährigen Mohammed Bouazza hinzurechnet, der angeblich auf der Flucht vor weißen Verfolgern am 1.Mai in die Schelde sprang und ertrank, sind es sechs. Das verbietet es, von den Taten Einzelner zu reden, auch wenn es einzelne Täter sind.

Als Stunden nach den Schüssen in Antwerpen nicht wenige Politiker in der 40Kilometer entfernten Hauptstadt Brüssel noch hoffen, das grauenhafte Geschehen als Einzelfall darstellen zu können, hat Ministerpräsident Guy Verhofstadt bereits begriffen, dass es höchste Zeit ist, die politischen Wegbereiter der rassistischen Gewalt ins Visier zu nehmen.

Diese Tat, sagt er, mache "jedem klar, wohin Rechtsextremismus führen kann". Ein solcher Satz erscheint selbstverständlich - in Belgien aber prallt er auf eine Attitüde der etablierten Parteien, den Vlaams Belang durch parlamentarische Tricks von der Macht fern zu halten und politisch zugleich in seinem Reservoir zu wildern. Beides ist offensichtlich schief gegangen. In Flandern holen die Rechtsextremen 30 bis 40 Prozent der Stimmen.

Satter Boden der Fremdenfeindlichkeit

Dies ist der satte Boden, auf dem Fremdenfeindlichkeit gedeiht und auf dem einer wie Hans van Themsche sich sicher fühlt. Es ist das Umfeld, das den Weg zur Einzeltäterschaft ebnet. Zwischen den Angriffen auf Fremde und der starken Präsenz des Vlaams Belang "gibt es ganz offensichtlich einen Zusammenhang, den man nicht ignorieren darf", sagt Marco van Haegenborgh vom belgischen "Zentrum für Chancengleichheit".

Nach der Tat hat der Vlaams Blok keine Zeit verloren, sie zu verurteilen und jegliche Verantwortung von sich zu weisen. Und Frieda van Themsche, die Tante des Schützen, sagt, ihre Partei könne schließlich "nicht für das verantwortlich gemacht werden, was sich in den Köpfen von Menschen abspielt". Aber wie kommt es da hinein?

Ihr Neffe Hans, sagt die rechte Abgeordnete, sei in einer Atmosphäre der Gewaltfreiheit aufgewachsen. "Nicht einmal ein Spielzeuggewehr hat er bekommen." Über die fremdenfeindlichen Parolen, die sie und ihr Bruder auch im Schoße der Familie verbreitet haben dürften, spricht sie nicht.

Auch nicht mehr über den von ihr öffentlich vorgetragenen Stolz auf ihren Vater, der mit 18 für die Deutschen an die Ostfront gezogen war, "gegen die gottlosen Kommunisten und für Flandern".

Vieles deutet darauf hin, dass Hans van Themsche ein Massaker großen Ausmaßes plante, in dem er selber untergehen wollte. Irgendwo auf dem Weg dorthin muss ihn jemand gelehrt haben, dass Fremde den Tod verdienen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: