Antike Kunst:Ein Teppich, um Frankreich und Großbritannien zu versöhnen

View shows the Bayeux Tapestry, an 11th century treasure that tells the tale of how William the Conqueror came to invade England in 1066, in this undated photo provided by the Bayeux Museum

52 Zentimeter mal 68 Meter groß und ziemlich verstaubt: Experten sollen in den kommenden fünf Jahren klären, ob und wie sich der unbezahlbare "Teppich von Bayeux" über den Ärmelkanal transportieren lässt.

(Foto: Reuters)

Es soll eine nette Geste in Zeiten des Brexit sein: Präsident Macron will den sehr alten und sehr wertvollen "Teppich von Bayeux" verleihen. Experten sind schockiert.

Von Max Sprick

Der Kreis an Experten für antike Textilien ist recht überschaubar. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass die Menge an Textilien, die Jahrhunderte überdauert haben, recht klein ist. Leinen und Wolle sind nun mal keine Stoffe, die sehr alt werden. Entsprechend sorgte jüngst eine Meldung für Aufruhr in jenem überschaubaren Kreis. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron will das wohl bedeutendste Stück historischer Leinenbahnen über den Ärmelkanal schaffen. Als Zeichen der Versöhnung in Brexit-Zeiten soll der Teppich von Bayeux an Großbritannien verliehen werden.

Denn der Teppich ist viel mehr als ein alter Fußabtreter: Es handelt sich dabei um eine kunstvolle Stick- und keine Knüpfarbeit, sie zeigt die Eroberung Englands durch die Normannen. Detailreich, durchdacht und qualitativ hochwertig gefertigt - vor fast tausend Jahren und auf einer imposanten Fläche von 52 Zentimetern mal 68 Meter. Wäre er kleiner oder mit Gold und Edelsteinen gefertigt worden, so schätzen Experten, wäre er über die Jahrhunderte sicherlich geklaut worden. So aber liefert der Teppich von Bayeux heute Erkenntnisse über gleich mehrere Bereiche des mittelalterlichen Lebens, er berichtet vom Schiffsbau, von der Kampfweise, von Münz- und Geldwesen, ja sogar von der damaligen Tracht.

All das und ihre auch nach Jahrhunderten noch gute Qualität machen die Stickarbeit so bemerkenswert, wertvoll - und heikel. Denn man kann ein so großes und so altes Stück Wolle nicht einfach so transportieren, deswegen wurde für den Teppich von Bayeux ein eigenes Museum errichtet, deswegen hängt er dort hinter Glas und wird nicht verliehen. Eigentlich. Die Menschen aus dem bereits erwähnten Kreis an Experten für antike Textilien wollen sich nur zaghaft und anonym äußern, zu politisch werde der angekündigte Transport des Teppichs, befürchten sie. Als ob 68 Meter Wolle die Briten an die EU binden könnten. Das tun sie natürlich nicht, doch die Geste Macrons wird auf der Insel schon als versöhnlich verstanden.

Die Experten aber sind von dieser Geste vor allem: schockiert. Ein so fragiles Artefakt bewegen zu wollen? Verantwortungslos. Ob Macron überhaupt eine Ahnung habe vom antiken Teppichwesen? Und falls nicht, ob er sich mal mit jemandem unterhalten habe, der diese Ahnung hat? Selbst wenn, was würde es nützen, schließlich gebe es bislang keine Erfahrungen mit dem Transport einer mittelalterlichen Textilie dieses Ausmaßes. Eigentlich Wahnsinn, das Leih-Versprechen Macrons.

Anruf bei Antoine Verney, dem Kurator des Museums von Bayeux in der Normandie, keine zehn Kilometer vom zu überwindenden Ärmelkanal entfernt. "Einige Wochen vor seinem Versprechen hat Macron bei uns angefragt, ob ein Transport des Teppichs möglich sei", sagt Verney. Er sieht die ganze Angelegenheit weniger emotional, obwohl es doch um das für sein Museum identitätsstiftende Unikat geht. Natürlich handle es sich bei dem Teppich um "außergewöhnliche Kunst", die nach all den Jahren ebenso "etwas beschädigt" sei. Aber transportieren, warum nicht?

Allerdings weiß Verney, wie schwierig es wird, Macrons Versprechen einzuhalten. Eine Idee, wie man den Teppich ins Britische Museum nach London schaffen könnte, hat er noch nicht. "Wir arbeiten mit unseren englischen Kollegen daran, Ideen zu entwickeln." Kleinere Textilien vergleichbaren Alters kann man beispielsweise fachgerecht rollen und in klimatisierten Boxen verschicken.

Zwei Jahre haben Verney und seine englischen Kollegen nun für eine Lösungsfindung veranschlagt. Frühestens 2023 sei damit zu rechnen, dass der Transport funktioniert, wenn überhaupt. Und wenn nicht? "Dann bleibt der Teppich, wo er ist", sagt Verney. Die Briten dürften also eher ihren Brexit vollzogen haben, als dass ein langes, altes Stück Leinenbahn sie davon abhält.

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