Anschlag in Boston:Die Trauer vor dem Zorn

Anschlag auf Boston-Marathon, USA, Bomben, Explosion

Einwohner Bostons bei einer Mahnwache für das jüngste Opfer des Bombenanschlags.

(Foto: REUTERS)

Helfer werden zu Helden, Opfer zu Symbolen der Trauer: Die Explosionen beim Boston-Marathon lösen in den USA eine Welle der Solidarität aus. Jeder Akt der Nächstenliebe wird glorifiziert - ein erster Versuch, mit einem Anschlag umzugehen, über dessen Hintergründe bislang nichts bekannt ist.

Von Felicitas Kock

Drei Menschen sind durch die Bomben von Boston ums Leben gekommen, mehr als 170 wurden verletzt - und noch haben die Menschen in den USA niemanden, den sie für den Anschlag verantwortlich machen können. Waren es Islamisten, Rechtsradikale oder war die Tat am Ende gar nicht politisch motiviert? War es der "Mann auf dem Dach" oder der "verletzte Saudi", der Medienberichten zufolge von der Polizei befragt wurde?

Die Spekulationen gehen in den Tagen nach dem Anschlag in verschiedenste Richtungen, alle wollen wissen, wer mitten in einer Menschenmenge und trotz schärfster Sicherheitsvorkehrungen zwei Bomben zünden konnte. Doch solange darüber keine Klarheit herrscht, klammern sich die Menschen an Trauer und Gemeinschaftsgefühl, die das Land zusammenrücken lassen. Jeder Akt der Solidarität scheint berichtens- und bejubelnswert.

Helfer, die als Helden gefeiert werden

Da war die Internet-Liste, in die sich 8000 Einwohner Bostons eintrugen, um gestrandeten Läufern und Zuschauern Unterkunft und Verpflegung anzubieten. Die Webseite Boston.com hatte die Liste gestartet, weil der öffentliche Nahverkehr nach dem Anschlag unterbrochen war und Tausende Menschen im Stadtzentrum festsaßen. Da waren die Ladenbesitzer der Boylston Street, die Verletzten zu Hilfe eilten. Der Marathon-Zuschauer, der bei der ersten Explosion nicht wie alle anderen instinktiv weglief, sondern ohne lange nachzudenken zur Unglücksstelle hetzte. Ärzte und Sanitäter, die bis zur Erschöpfung arbeiteten.

Dazu Gottesdienste, Schweigeminuten, Gedenken an die Opfer im ganzen Land. Die Lichtprojektion "New York loves Boston" an der Brooklyn Academy of Music. Die Baseball-Mannschaft der New York Yankees, die bei ihrem Spiel am Dienstagabend "Sweet Caroline", die inoffizielle Hymne ihrer Rivalen, der Boston Red Sox, spielen ließ. Die Bostoner College-Studenten, die für kommenden Freitag einen Gedenkmarsch auf den letzten Kilometern der Marathon-Strecke organisiert haben. Mehr als 15.000 Menschen haben sich bereits dazu angemeldet.

Gebete für die Opfer

Und während einige zu Helden werden, weil sie zum Zeitpunkt des Anschlags Größe gezeigt haben, werden andere zu Symbolen der Trauer: Die von Bombensplittern tödlich getroffene Marathon-Zuschauerin Krystle Campbell aus Arlington etwa, die in den Medien jetzt als "verlässlich" und "voller Leben" beschrieben wird.

Und allen voran das jüngste Todesopfer, Martin Richard. Ein Bild des Achtjährigen kursiert in sozialen Netzwerken. Er hält darauf ein selbstgebasteltes blaues Poster mit den Worten "No more hurting people. Peace". Die Freundin einer ehemaligen Lehrerin des Jungen hat das etwa ein Jahr alte Foto nach dem Anschlag auf Facebook veröffentlicht. Tausende erklären, für den Jungen und seine Angehörigen, sowie auch für die anderen Opfer der Katastrophe beten zu wollen.

Die Geschichten der Helden und Opfer vom 15. April 2013 werden die Amerikaner noch länger begleiten. Viele Nachrichtenseiten rufen Betroffene auf, zu erzählen, wie sie den Anschlag erlebt haben.

Hierzulande mag die Flut persönlicher Schicksale, die von amerikanischen Medien transportiert wird, ungewohnt und bisweilen überzogen erscheinen. All das Pathos, die Instrumentalisierung der Todesopfer, die Glorifizierung der Helfer. Doch möglicherweise ist es diese Zeit, die manche Menschen in den USA für die "Heilung" brauchen, wie der Boston Globe schreibt. Für eine gewisse Selbstbesinnung - bevor bekannt wird, wer tatsächlich hinter dem Anschlag steckt und die Trauer in Zorn umschlägt.

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