Anschlag auf BVB-Bus:Entscheidender Tipp kam von der Comdirect-Bank

Sergej W. soll den Anschlag auf die Dortmunder Profis verübt haben. Er logierte im Mannschaftshotel, dort wettete er auf fallende BVB-Aktien. Nach der Tat aß er noch ein Steak - und ließ sich massieren.

Von Thomas Hummel und Georg Mascolo

Der erste Tipp kam bereits einen Tag nach dem Anschlag aus Börsianer-Kreisen: Es hatte im Frankfurter Handel ungewöhnliche Vorgänge rund um die Aktie der Borussia Dortmund GmbH und Co. KGaA gegeben. Kurz bevor die Sprengstoff-Sätze neben dem Mannschaftsbus explodierten, hatte jemand mit Finanzprodukten auf einen fallenden Kurs der Aktie gewettet. Ein anonymer Insider, der nicht für eine Aufsichtsbehörde arbeitet, hatte den Syndicus des BVB informiert. Der Klub gab den Hinweis ans Bundeskriminalamt weiter.

Dennoch glaubte kaum einer in Dortmund an die Theorie, der oder die Attentäter könnten einen Mordanschlag auf ihre Fußball-Mannschaft verübt haben, um damit an der Börse Geld zu verdienen. Im Klub hatte man anschließend nichts mehr von dieser Spur gehört, die Ermittler hielten dicht. Es kursierte in der Stadt allerdings seit Tagen die Nachricht, dass es bald eine Verhaftung geben werde. In welche Richtung diese zielen sollte, war nicht bekannt.

Inzwischen hatte eine Verdachtsanzeige der Commerzbank den entscheidenden Hinweis gegeben: Ein Sergej W., geboren in Russland und 2003 mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen, hatte über die Commerzbank-Tochter Comdirect drei verschiedene Put-Optionen auf die Aktie von Borussia Dortmund erworben, das Gros davon erst am Tag der Tat selbst - am 11. April.

40 000 Euro Kredit aufgenommen

Zusätzliche Ermittlungen förderten weitere belastende Indizien zutage: Sergej W. besitzt technischen Sachverstand, er arbeitet im Technik-Bereich des Universitätsklinikums in Tübingen. Er nahm einen Verbraucherkredit in Höhe von rund 40 000 Euro auf, um die Aktienoptionen zu erwerben. Die Laufzeit der Papiere endete am 17. Juni, Sergej W. musste also sicher sein, dass die BVB-Aktie in kurzer Zeit stark fallen würde. Zudem hatte er bereits Mitte März im Mannschaftshotel für die zwei in Frage kommenden Termine für das Heimspiel in Dortmund gebucht.

Hotelangestellte erinnerten sich daran, dass W. ausdrücklich auf ein Zimmer mit Blick auf die Straße bestand. Bereits zwei Tage vor der Tat bekam er es auch, im Dachgeschoss des Hotels. Nach der Tat erwies er sich als ziemlich kaltblütig, reiste nicht sofort ab, sondern ließ sich, wie alle anderen Hotelgäste auch, von der Polizei befragen. Die Rechnung wies aus, dass er auch noch ein Steak gegessen hatte und sich massieren ließ.

Am frühen Freitagmorgen griffen die Ermittler zu: Die Spezialeinheit GSG9 nahm den 28-Jährigen aus Freudenstadt im Schwarzwald fest. Er soll die deutsche und die russische Staatsangehörigkeit haben. Ihm werden versuchter Mord, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt.

Mittags erklärte Frauke Köhler, Pressesprecherin der Bundesanwaltschaft: "Wir gehen davon aus, dass der Verdächtige verantwortlich ist für den Anschlag." Nach derzeitigen Erkenntnissen gebe es keine Anhaltspunkte für mögliche Gehilfen oder Mittäter. Sergej W. könnte also ein Einzeltäter sein.

Einsatz in vier Städten Baden-Württembergs

Sergej W. hat eine Ausbildung zum Elektroniker absolviert, an der Berufsschule hat er einen Preis gewonnen. Der Spiegel berichtet zudem, dass er seinen Wehrdienst im Lazarettregiment Dornstadt leistete und dort in einer Übungseinheit für Sanitäter eingesetzt wurde. Diese kümmerte sich um Instandsetzung und Elektrotechnik.

Der Polizeieinsatz am Freitagmorgen erstreckte sich auf die vier baden-württembergischen Städte Freudenstadt, Rottenburg, Tübingen und Haiterbach. Unterstützt vom Landeskriminalamt sowie des Polizeipräsidiums Reutlingen waren 110 Beamte beteiligt. Dabei sind wohl Computer und Handys sichergestellt worden, die noch ausgewertet werden.

Bei der Explosion der drei Sprengsätze wurden einige Scheiben am BVB-Mannschaftsbus zerstört, der Abwehrspieler Marc Bartra wurde von Splittern getroffen und musste noch in der Nacht am Arm operiert werden. Ein Motorradpolizist erlitt ein Knalltrauma. In den Sprengsätzen befanden sich Metallstifte, die noch 250 Metern entfernt gefunden wurden. Einer steckte im Bus in einer Kopfstütze.

Sprengstoff-Art noch nicht geklärt

Der vordere und hintere Sprengsatz waren nach Angaben der Bundesanwaltschaft in einer Hecke am Straßenrand in Bodennähe platziert worden, der mittlere befand sich in einer Höhe von etwa einem Meter - zu hoch, um die Wirkung voll entfalten zu können. Welche Art von Sprengstoff verwendet wurde, konnten die Kriminaltechniker noch nicht abschließend klären.

Je niedriger die Aktie gefallen wäre, desto höhere wäre der Gewinn von Sergej W. gewesen. Über einen maximalen Gewinn will die Bundesanwaltschaft nicht spekulieren, es stehe noch das Urteil von Experten aus. "Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre das ein besonders widerwärtiges Tatmotiv", erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Damit wären andere Motivlagen vom Tisch. Zunächst hatten drei angebliche Bekennerschreiben auf einen islamistischen Terroranschlag hingedeutet. Es waren auch Schreiben aufgetaucht, die auf ein links- oder rechtradikales Motiv hinwiesen. In Dortmund wurde zudem darüber spekuliert, dass gewaltbereite Fans des Klubs für den Anschlag verantwortlich seien.

Nur eine Stunde nach dem Anschlag am 11. April legte die Europäische Fußball-Union Uefa mit Zustimmung der Vereinsführungen fest, das Spiel gegen AS Monaco müsse am darauffolgenden Tag stattfinden. Eine gezeichnete Dortmunder Mannschaft verlor mit 2:3 und eine Woche später auch das Rückspiel mit 1:3. Kapitän Marcel Schmelzer erklärte nun: Er habe die Hoffnung, "dass wir die tatsächlichen Hintergründe des Anschlags erfahren". Für alle, die im Bus gesessen hätten, "wären diese Informationen wichtig, denn sie würden den Verarbeitungsprozess deutlich erleichtern".

Reinhard Rauball, Präsident des BVB, prophezeit indessen langwierige Probleme: Das Thema werde "uns und unsere Spieler noch lange nicht loslassen. Zum einen, weil die persönliche Betroffenheit natürlich nicht von einem Tag auf den anderen aufhört. Zum anderen, weil sich nun voraussichtlich ein gerichtliches Verfahren anschließt." Alleine deshalb werde der Verfall noch längere Zeit nicht aus der Welt sein, "gerade für unsere Spieler nicht".

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