Anne-Frank-Baum:Aufbäumen für eine Kastanie

Nach Protesten aus aller Welt wird der Baum hinter dem Anne-Frank-Haus doch nicht gefällt. Zumindest vorerst darf die pilzbefallene Kastanie auf ihren "drei stabilen Wurzelansätzen" stehen bleiben.

Siggi Weidemann

Das hatten sie zu Anfang unterschätzt, dass die Aufregung um diese Rosskastanie weltweit und so hochemotional werden könnte. Der Bürgermeister von Amsterdam, Job Cohen, und der Chef der Anne-Frank-Stiftung, Frank Westra, hatten das Fällen des 27 Tonnen schweren, kranken und kahlen Baumes hinter dem Anne-Frank-Haus befürwortet, weil der Stamm brechen könnte. Nun müssen sie die Pläne zum Abholzen der wohl berühmtesten Kastanie der Welt mindestens auf Januar verschieben.

Anne-Frank-Baum, AP

Krank, aber noch nicht tot: die Kastanie im Innenhof des Anne-Frank-Hauses

(Foto: Foto: AP)

Denn Richter Jan Bade ist am Dienstagabend zu einem anderen Ergebnis gekommen als das Gutachten der Stadt Amsterdam, welches das Fällen befürwortet. Richter Bade befand nach Gesprächen mit Baumexperten und Anwohnern, die die Anne-Frank-Kastanie retten wollen, dass der symbolträchtige Baum, der seit fast 170 Jahren in einem heute verwilderten Garten steht, keine akute Gefahr für seine Umgebung sei. Seit zwölf Jahren hat die Stadt die "Sorgepflicht" für den Baum auf dem Grundstück von Henric Pomes, der im Februar "mit Tränen in den Augen" seine Unterschrift unter die Abholzerlaubnis gesetzt hatte.

Anne schrieb über den Baum

Der kranke Baum verdankt seine Bedeutung Anne Frank, dem in Frankfurt geborenen jüdischen Mädchen, das sich im Haus an der Prinsengracht 263 mit seinen Eltern, seiner Schwester und vier Freunden der Familie zwei Jahre lang vor den Nazis versteckt gehalten hatte. Nachbarn verrieten die Untergetauchten, und Anne Frank wurde deportiert, im KZ Bergen-Belsen kam sie um. In ihrem ergreifenden Tagebuch schrieb sie mehrmals über den Baum im Innenhof. So notierte die 15-Jährige am 13.Mai 1944: "Unser Kastanienbaum steht von unten bis oben in voller Blüte, er ist voll mit Blättern und viel schöner als im letzten Jahr."

Der Baum steht unsichtbar für die jährlich 930.000 Museumsbesucher, doch solche Worte haben immer wieder Menschen motiviert, sich für seinen Erhalt einzusetzen. Etwa 62.000 Menschen haben auf einer Internetseite dafür unterschrieben, auf der ein Forum Aktuelles über den Krankheitsverlauf des Baumpatienten liefert. Kastanien vom Baum will die Stiftung Schulen schenken, und auf eBay wurde eine Anne-Frank-Kastanie für 7054 Euro versteigert.

Seitdem Journalisten aus aller Welt anreisten und bekannt wurde, dass der Baum gefällt werden solle, hat Bürgermeister Job Cohen eine Menge Post bekommen, vor allem aus Deutschland und den USA. So schrieb eine Professorin aus Cottbus: "Der Anne-Frank-Baum ist ein besonderes Symbol für Leben, Sterben und Vernichtung. Deswegen ist es unbegreiflich, dass dieser Baum gefällt werden soll. Selbst ein gestutzter kranker Baum, ja selbst ein toter Baum bleibt ein Denkmal für den Holocaust."

Anwohner sind erleichtert

Nun, nach dem Richterspruch, sagt die direkte Anwohnerin Helga Fassbinder, die sich mit anderen Nachbarn für den Baum einsetzt, sie sei "sehr erleichtert". Die emeritierte Hochschullehrerin für Städtebau kann sich nicht vorstellen, dass die Stadt und die Anne-Frank-Stifung sich nun weiter weigern, an der Rettung der Kastanie mitzuarbeiten.

Edwin Koot ist der niederländische Experte der Sachverständigen-Arbeitsgemeinschaft für Baumstatik aus Stuttgart, die den Baum untersucht hat. Auch er ist froh: "Die Kastanie ist ernsthaft krank", sagt er, "aber sie hat noch drei stabile Wurzelansätze. Und das bedeutet, dass der monumentale Baum von kulturhistorischem Wert nicht notgefällt werden muss." Um den Richter von der Standfestigkeit des Baumes zu überzeugen, hat das Ingenieurbüro Boom KG "Ziehversuche" vorgenommen. Der Test fiel positiv aus: Die Kastanie würde auch bei einer Windgeschwindigkeit von 130 km/h stehenbleiben. Sollte sie doch fallen, wären Schäden von einer Versicherung gedeckt.

Geht es nach der Anne-Frank-Stiftung, muss der morsche, von einem aggressiven Schimmelpilz befallene Baum weg. Für Stiftungsdirektor Hans Westra ist er "tot", gefährlich nicht nur für die Mitarbeiter des Museums, sondern auch für das Anne-Frank-Haus: "Die Sicherheit unserer Menschen hat nun höchste Priorität", sagt er. Westra will auch nicht, dass die Kastanie in ein Stahlkorsett gepackt wird: "Das ist doch kein Anblick." Spätestens in acht Wochen muss die Stadt nun einen Plan vorlegen. Baumexperte Edwin Koot sagt: "Der Anne-Frank-Baum ist eine große Herausforderung, aber wir werden eine Lösung finden."

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