Angola Prison Rodeo:Volksfest mit Schwerverbrechern

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Verurteilte Mörder, die gegen einen wilden Bullen kämpfen, begleitet vom Gejohle Tausender Zuschauer. Das gab es nicht nur im Alten Rom, das gibt es auch heute: beim Angola Prison Rodeo, im größten Hochsicherheitsgefängnis der USA. Die Gefangenen gieren nach dem Applaus des Publikums.

Eine Reportage von Jörn Schnitger, Louisiana

Die Männer tragen Footballhelme und schwere Schutzwesten über ihren schwarzweiß gestreiften Hemden. "Bewegt euch nicht, bleibt regungslos", ruft ihnen der Moderator vom Pferd aus zu. Acht Häftlinge stehen in Hula-Hoop-Reifen im staubigen Rund der Arena, nebeneinander aufgereiht wie Bowlingpins. Dann wird ein wilder Stier auf sie gehetzt, er wütet durch die menschlichen Prellböcke. Wer als letzter noch steht, gewinnt beim Bowling mit Bulle. Es ist ein unfairer Kampf. Ein Mann landet hart und flach mit dem Gesicht im Dreck. Er sieht nicht, wie sich das tonnenschwere Tier umdreht und wieder auf ihn zuläuft. Der Bulle stürmt über ihn hinweg, tritt ihm in den Nacken. Regungslos bleibt der Mann liegen. Die Zuschauer jubeln.

Das Rodeo im Angola Prison, dem Staatsgefängnis des US-Bundesstaats Louisiana, zieht jährlich Zehntausende Zuschauer an. 15 Dollar kostet der Eintritt zur "wildesten Show des Südens". Seitdem sie 1967 zum ersten Mal für Zuschauer geöffnet wurde, kommen Jahr für Jahr mehr: Zur Jahrtausendwende errichteten die Gefangenen eine neue Arena mit knapp 10.000 Sitzplätzen. Mittlerweile findet das Rodeo an einem Wochenende im April und an vier Sonntagen im Oktober statt. Es ist so gut wie immer Wochen vorher ausverkauft.

"Es ist ein harter Sport für harte Männer", sagt Farrell Scarborough, einer der Teilnehmer, im schleppenden Slang des Südens. Es klingt abgeklärt. Denn vor allem ist es ein gefährlicher Sport. Gebrochene Rippen sind nichts ungewöhnliches, blaue Flecken und Prellungen gehören dazu. Der Häftling zuckt mit den Schultern: "Du musst einfach akzeptieren, dass du dich verletzen kannst. Man kann sowieso nichts dagegen machen." Scarborough muss in Angola 80 Jahre absitzen, wegen Totschlags.

Farrell Scarborough hat nichts zu verlieren. Er ist zu 80 Jahren Haft verurteilt, wegen Totschlags. (Foto: Franziska Marr)

Angola war früher als das blutigste Gefängnis der USA verschrien. 1952 schnitten sich 31 Insassen hier die Achillessehne durch, um gegen die harten Arbeitsbedingungen und die Brutalität im Gefängnis zu protestieren. Inzwischen haben sich die Haftbedingungen verbessert, Angola ist heute die größte Hochsicherheits-Haftanstalt der Vereinigten Staaten. Knapp 5200 Gefangene leben hier, mehr als dreiviertel verbüßen lebenslange Strafen. Die meisten sitzen wegen bewaffneten Raubüberfalls, Totschlag, Vergewaltigung, Mord. Es sind die schweren Jungs, sie werden in Angola sterben. Für viele bietet das Rodeo eine begehrte Abwechslung von der Knastroutine.

"Die Insassen sollen sich vorher nicht verletzen"

Neben dem Rodeo gibt es eine Art Basar. Hier dürfen sich die trusties frei bewegen und unter die Zuschauer mischen. Diese besonders vertrauenswürdigen Insassen haben sich das Privileg durch jahrelanges gutes Benehmen erarbeitet. Sie verkaufen selbstgemachte Kunst und Handwerksarbeiten an die Besucher - von Angesicht zu Angesicht, ohne Wachen und ohne Handschellen. Zwar ist der Marktplatz von meterhohem Stacheldrahtzaun gesäumt und Alkohol verboten. Dennoch herrscht Volksfeststimmung: Familien mit Kindern schlendern an den Ständen vorbei, es duftet nach Zuckerwatte und Hot Dogs. Eine Insassenband spielt Countrymusik, die sich mit Karussell-Melodien, Geschnatter und Gelächter zu einem wohligen Geräuschteppich mischt.

Und dann fühlt es sich plötzlich an wie im Zoo: Hinter einem vier Meter hohen Zaun stehen die weniger vertrauenswürdigen Gefangenen. Auch sie dürfen Selbstgemachtes verkaufen - allerdings nur durch die Maschen des Zaunes hindurch. Mancher Kunde ertappt sich dabei, wie er statt der feilgebotenen Waren die Schwerverbrecher begutachtet. Einige der Häftlinge weichen schüchtern, fast beschämt den neugierigen Blicken aus. Andere bieten ganz selbstbewusst ihre Waren an, halten den Blicken stand und geben den Besuchern das Gefühl, selbst das Zootier zu sein. Es gibt noch eine dritte Kategorie - die weitaus größte - an Gefangenen, die gar nicht zu sehen sind: diejenigen, die ihre Zellen nicht verlassen dürfen. Doch auch sie bekommen etwas vom Rodeo und allem drumherum mit, über den gefängnisinternen Fernsehsender.

Der Sender überträgt live, wie einer der Rodeoreiter durch die Luft geschleudert wird und mit einem dumpfen Schlag im Staub der Arena landet. Ähnlich unsanft werden auch die anderen sieben Teilnehmer des Bullenreitens von den tobenden Tieren geworfen, keiner hält sich länger als zwei Sekunden auf dem Rücken der riesigen Tiere. Ein Profi muss sich acht Sekunden halten, erst dann gilt der Ritt. Das schaffen hier die wenigsten - denn die Teilnehmer des Angola Prison Rodeo haben zwar viel Mut. Aber vorher nicht trainiert. "Einige von ihnen haben noch nie ein Pferd oder einen Bullen gesehen, bis sie beim Rodeo davorstehen", sagt Anne-Marie Easley, die in Angola die Gefangenenausbildung leitet. Die Teilnahme am Rodeo ist das einzige "Training", das sie bekommen. Learning by doing.

Der Häftling Paul Bergeron trat früher selbst beim Rodeo an, heute organisiert er die Spiele. (Foto: Franziska Marr)

"Die Insassen sollen vorher nicht trainieren, damit sie sich nicht verletzen und fit sind", behauptet Paul Bergeron. Bergeron ist ein bulliger Typ und ein erfahrener Rodeokämpfer, mehrere Jahre lang hat er selbst teilgenommen. Heute kümmert er sich um die Organisation. Zwar werden keine blutigen Anfänger auf die Tiere gesetzt. Aber irgendwann sitzt einer immer zum ersten Mal auf dem Rücken eines Bullen. "Dann zurre ich ihn so fest ich kann, wünsche ihm Glück und hoffe, dass er danach alleine aus der Arena laufen kann."

Moderne Gladiatorenkämpfe? Die Spiele sind knochenhart für die Gefangenen. "Das Rodeo kann man nur fünf bis zehn Jahre mitmachen, danach ist der Körper kaputt", sagt Ausbilderin Easley.

Die Narbe ist ein Souvenir aus dem vergangenen Jahr. (Foto: Franziska Marr)

Das weiß auch Eric Oxley. Seinen Unterarm ziert eine dicke Narbe, vom Ellbogen bis zum Handgelenk. Oxley, der wegen Mordes lebenslänglich sitzt, hat sich im vergangenen Jahr bei einem der Spiele den Unterarm gebrochen. Später wird ihn der Notarzt vom Gelände fahren, nachdem ein Pferd ihm mit voller Wucht in den Unterleib getroffen hat.

Freiwillige Gladiatoren

Der Zuschauer fühlt sich bei diesem brutalen Spektakel ins alte Rom zurückversetzt, in die Arenen der Gladiatoren, wo bis aufs Blut gekämpft wurde. Dagegen wehrt sich Gary Young, ein Gefängnismitarbeiter, der für das Rodeo mitverantwortlich ist. "Es gibt einen großen Unterschied: Die Gladiatoren mussten kämpfen. Wir zwingen niemanden, beim Rodeo mitzumachen." Die Gefangenen melden sich freiwillig, einen Monat vor dem Rodeo. Jeder kann angeben, in welcher Disziplin er antreten möchte, dann wird ausgelost, wer teilnehmen darf. Theoretisch hat jeder Teilnehmer auch die Möglichkeit, seine Anmeldung zurückzuziehen. In der Realität macht das aber kaum jemand. Lieber nehmen die Häftlinge die zum Teil heftigen Verletzungen in Kauf, als vor den anderen Insassen als Feigling dazustehen.

Für die Zuschauer gehören Spiele wie "Verurteilten-Poker" zu den Höhepunkten des Tages. Dabei sitzen vier besonders mutige Insassen um einen Holztisch, nur wenige Meter von dem Gatter entfernt, durch das ein mexikanischer Kampfbulle in die Arena stürmt und mitspielen will. Wer als letzter am Tisch sitzt, hat gewonnen.

Cowboy für einen Tag

Im Schnitt bewerben sich drei- bis viermal so viele Gefangene wie es Startplätze beim Rodeo gibt. "Viele der Insassen haben einen extrem negativen persönlichen Hintergrund. Der Rodeo ist meist das erste Mal, das überhaupt jemand für sie klatscht", sagt Gefängnismitarbeiter Young. "Und dann sind es gleich 10.000 Menschen auf einmal, selbst wenn sie nicht auf dem Bullen sitzen bleiben, sondern gleich wieder abgeworfen werden. Das schafft eine Menge Selbstwertgefühl."

Das sieht auch Aldren Lathen so. "Bevor ich nach Angola kam, hätte ich nie im Leben einen Bullen geritten. Heute bin ich süchtig danach. Süchtig nach dem Adrenalinrausch, süchtig nach dem Gefühl in der Arena", sagt Lathen, der wegen bewaffneten Raubüberfalls zu 65 Jahren verurteilt ist.

Doch der Ruhm in der Arena, die Anerkennung durch die Zuschauer, das ist nur die eine Sache. Viele Gefangene sind auch auf das Preisgeld angewiesen. Je nach Spiel bekommen sie zwischen 80 und 300 Dollar. Je gefährlicher es wird, desto höher ist der Gewinn. "Ich mache es nur fürs Geld", sagt Lathen. Und der Teilnehmer Scarborough betont: "250 Dollar sind schon ein starker Anreiz, sich an einen Tisch zu setzen, der im nächsten Moment von einem Zug aus 1000 Kilo Muskelmasse überrollt wird."

"Beim Rodeo vergessen sie für ein paar Stunden, dass sie ihr Leben lang eingesperrt sind", sagt Gefängnismitarbeiter Young. Damit wird das alljährliche Event zur Disziplinierungsmaßnahme. Es sorgt dafür, dass sich die Gefangenen gut benehmen und gewährleistet die Sicherheit der Wärter. Denn sobald einer der als vertrauenswürdig eingestuften Häftlinge gegen die Regeln verstößt, sind seine Privilegien schnell wieder weg, auch wenn er sich seinen Status in zehn Jahren hart erarbeitet hat.

"Mut und Ehre"

Das letzte Spiel des Angola Prison Rodeo an diesem Tag heißt "guts and glory", Mut und Ehre. Dabei versuchen an die zwanzig Männer, einen Pokerchip zu erhaschen, der an einer Schnur von der Stirn eines rotgehörnten und besonders wilden Stiers baumelt. Wer gewinnen will, muss sich dem Bullen direkt in den Weg stellen. Wie die Fliegen wirbeln die Männer durch die Luft. Einer der Gefangenen wirft sich immer wieder direkt vor den Bullen, vier oder fünf Mal rammt ihn das massige Tier, rennt ihn um, schleudert ihn in die Luft. Wie eine Trophäe reckt er am Ende den Pokerchip in die Luft.

Und dann ist der Spuk auch schon vorbei. Die Ränge sind so gut wie leer, die letzten Gefangenen verlassen in Zweierreihen die Arena. Im Hintergrund läuft leise Queen, "Another One Bites the Dust".

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Angola Prison Rodeo
:Moderne Gladiatorenkämpfe

Wenn die Gefangenen des Staatsgefängnisses im US-Bundesstaat Louisiana zum Rodeo antreten, gibt es Knochenbrüche, blaue Flecken und frenetischen Beifall der Zuschauer. Für die Häftlinge ist die Show eine Chance, ihre Haft für einen Moment zu vergessen.

Von Franziska Marr

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