Angeblicher Missbrauchs-Skandal:Erzieher in Mainzer Kita wehren sich gegen Kündigung

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Die katholischen Kindertagesstätte in Mainz ist derzeit noch geschlossen. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)
  • Der Verdacht sexueller Gewalt in einer katholischen Mainzer Kita war wohl unbegründet.
  • Die Staatsanwaltschaft ist zu dem vorläufigen Schluss gekommen, dass den Erziehern strafrechtlich keine Vorwürfe zu machen sind.
  • Nun klagen sechs Erzieher gegen die Kündigung.

Von Susanne Höll

An diesem trüben Novembertag sitzt eine Frau im Sitzungssaal 2 des Mainzer Arbeitsgerichts. Kurze dunkle Haare, ein wenig korpulent. Frau G., wie sie zu ihrem eigenen Schutz genannt werden soll, ist 38 Jahre, Mutter und Erzieherin. Sie war bis zum Sommer beschäftigt in jener von der katholischen Kirche getragenen Kita im Stadtteil Weisenau, in der sich, wie man zeitweise glaubte, unvorstellbare Dinge abgespielt haben sollen.

Ein wahrer Horror-Hort, so der Eindruck, in denen sich Kleinkinder gegenseitig sadistische Qual, auch sexueller Natur, bereitet haben, ohne dass Frau G. oder ein anderer Pädagoge eingeschritten wäre. Mitten in Deutschland. Unvorstellbar.

Wohl keine strafrechtlichen Vorwürfe

Frau G. weist, wie sie über ihre Anwältin ausrichten lässt, jedwede Schuld von sich. Sie selbst schweigt, redet nicht mit Journalisten. Verständlich, die Frau hat schwere Monate hinter sich. Der Vorwurf grober Pflichtverletzungen kann für eine Erzieherin das berufliche Ende bedeuten.

Inzwischen dürfte sie wieder Hoffnung schöpfen - die Staatsanwaltschaft hat die Sache untersucht und kam zum vorläufigen Schluss, dass den insgesamt sieben Erziehern in der mittlerweile geschlossenen Kita Mariä Königin keine strafrechtlichen Vorwürfe zu machen sind. Ist also alles nur erfunden?

Erzieher klagen gegen ehemaligen Arbeitgeber

Um das Strafrecht geht es nicht an diesem Mittwoch. Es geht um die fristlosen Kündigungen, die die katholische Kirche sechs Frauen und einem Mann nach Bekanntwerden der Anschuldigungen erteilt hatte. Sechs von ihnen klagten, darunter auch Frau G. Einen Vergleich mit ihrem Ex-Arbeitgeber lehnt sie ab.

Ihre Mandantin wolle weiterarbeiten, sagt ihre Anwältin Kerstin Klein. Der Anwalt des kirchlichen Trägers, Klaus Rudolf, entgegnet aber, das Vertrauen der Eltern in die Mitarbeiter sei zerstört. Richterin Ruth Lippa erklärt die fristlose Kündigung von Frau G. für unwirksam, wegen Formfehlern. Die Kirche hat inzwischen ordentliche Kündigungen ausgesprochen. Auch die werden vor Gericht verhandelt werden. Immer neue Runden in einer Affäre, für die alle Beteiligten Verantwortung tragen - die Kinder, einige von ihnen traumatisiert, natürlich ausgenommen.

Die Geschichte um die Kita in der Jakob-Sieben-Straße ist ein Mosaik unschöner Bruchstücke, verständlich eigentlich nur vor dem Hintergrund der Missbrauchsskandale, die sich in früheren Jahrzehnten in weltlichen, aber eben auch in katholischen Einrichtungen ereignet hatten.

Offenbar war es um den Hort in letzter Zeit gar nicht gut bestellt. Die Erzieherinnen sagen: Es gab dort wilde und schwierige Kinder, manche von ihnen verstanden kaum Deutsch. Die Räumlichkeiten seien schlecht, das Personal nicht ausreichend gewesen. Die Betreuer waren unzufrieden, manche Eltern und Kinder wohl auch. Frau G. will sich an die Kita-Leiterin und andere Verantwortliche gewendet haben - erfolglos. Der Personalschlüssel stimme, argumentierte die Kirche.

Am 1. Juni informierten Eltern die Pfarrei über den Verdacht sexueller Handlungen unter Kindern. Von Schlägen auf Geschlechtsteile war die Rede, von Gegenständen, die in Kinderpos gesteckt wurden. Das Bistum Mainz reagierte entsetzt, schloss die Kita und trennte sich von den Mitarbeitern.

Niemand nahm damals daran Anstoß, im Gegenteil. Große Sorge im Landesjugendamt, in der Mainzer Regierung, Sorge auch beim Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Michael Huss, Direktor der Klinik für Jugendpsychiatrie der Uniklinik Mainz, der einige der Kinder behandelte, sprach später von "schockierenden und verstörenden" Vorgängen.

Auch Pfarrer wurde angezeigt

Hätte das Bistum nicht gehandelt, wäre wohl ein Sturm der Empörung ausgebrochen. Die katholische Kirche, das ist der einzige Lichtblick in dieser Geschichte, hat dazu gelernt. Aber mit den Kündigungen hat sie wohl überzogen. Noch immer ist nicht klar, wie der schwere, nicht haltbare Verdacht sadistischer Gewalt entstehen konnte. Waren es überbesorgte Mütter, die ihre Kinder beeinflussten?

Selbst der Gemeindepfarrer wurde wegen sexueller Gewalt an Kindern von einer der Mütter angezeigt. Doch auch dieser Vorwurf war unbegründet, das fand die Staatsanwaltschaft heraus. Anders als bei den Erziehern hatte die Kirche die Ermittlungen gegen den Geistlichen jedoch nicht öffentlich gemacht.

Ermittlungen werden wohl eingestellt

Diese Ungleichbehandlung habe ein "Geschmäckle", sagt nun der Anwalt einer zweiten gekündigten Erzieherin, der Mainzer Arbeitsrechtler Benedict Bock. Der Jurist meint, er hätte sich eine solche Fürsorge auch für die Pädagogen gewünscht. Bösartigkeit will er aber weder den Eltern noch der Kirche unterstellen. "Es könnte ein Versuch der Vorab-Verteidigung gewesen sein, um zu zeigen, dass die Kirche den Schutz der Kinder über alles stellt."

Und wie geht es weiter in Mainz? Die Staatsanwaltschaft wird die Ermittlungen gegen die Erzieherinnen einstellen, vermutlich noch in diesem Jahr. Der Kündigungsstreit wird beigelegt, einvernehmlich oder auf Richterspruch. Die Kita ist noch geschlossen, eine neue Leitung wird gesucht und Frau G. kämpft weiter um ihre Ehre und ihren Ruf. Ihre Anwältin sagt, dafür sei die Kirche zuständig: "Es wäre eine Rehabilitation, wenn der Kardinal sagt, da ist manches nicht richtig gelaufen."

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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