Amoklauf:Zynische Worte an "Bernd"

Die angebliche Ankündigung des Amokschützen: Die Polizei ist auf eine offensichtliche Fälschung hereingefallen - und sucht jetzt den Verfasser.

Helmut Martin-Jung

Die Polizei ist bei Ermittlungen zum Amoklauf von Winnenden aller Wahrscheinlichkeit nach einer Fälschung aufgesessen. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf das Internetangebot, auf dem sich die ganz offensichtlich erfundene Ankündigung des Attentates befand, krautchan.net. "Die Geschichten und Informationen, die Sie hier finden, sind künstlerische Werke der Erfindung und der Lüge. Nur ein Narr würde etwas für bare Münze nehmen, was hier veröffentlicht wurde." So steht es wortwörtlich über dem Internetangebot 4chan.org.

Es dient der Internetseite krautchan.net als Vorbild. Die Seite, auf der sich die angebliche Ankündigung der Tat befand, ist kein Chatraum, wie es zunächst hieß, sondern ein sogenanntes Imageboard. Imageboards gehören zur Subkultur des Internets. Ihre Nutzer tauschen sich darauf über Bilder aus. Die mehr oder weniger lustigen Lol-Cats - Fotos von Katzen mit absichtlich radebrechenden Bildunterschriften - gibt es dort genauso wie alle Formen von mitunter geschmacklosen Witzen und Pornobilder.

Die Teilnehmer, oft sind es Jugendliche, laden die Bilder in aller Regel anonym hoch. Die Angebote sind meist thematisch gegliedert, der meiste Schrott und Schund findet sich für gewöhnlich im thematisch nicht festgelegten Bereich /b/, wo Anonymität nicht bloß gebräuchlich, sondern sogar Pflicht ist. Beim amerikanischen Imageboard 4chan heißen alle Teilnehmer "Anonymous", bei krautchan werden sie "Bernd" genannt - wie der vermeintliche Adressat der vermeintlichen Amok-Ankündigung. Das wissen alle, die je mit krautchan zu tun hatten, dementsprechend beißend ist der Spott, der nun über die Ermittler ausgegossen wird.

Nach Darstellung der Betreiber von krautchan.net, die sich nur per E-Mail äußern wollten, manipulierte ein Unbekannter einen harmlosen Eintrag, der ursprünglich um 2.45 Uhr in der Nacht zu Mittwoch verfasst worden war. Dieser manipulierte Eintrag sei erst um 15.48 Uhr - also viele Stunden nach der Tat - eingestellt worden. Ein junger User aus Bayern habe die Fälschung dann gesehen, und so sei sie an die Ermittler gelangt.

Dass der Attentäter krautchan.net genutzt hat, halten die Betreiber "für eher unwahrscheinlich", angesichts der anonymen Struktur könne man das aber nicht eindeutig sagen. Wenn die Polizei zur Ermittlung des "zynischen Einzeltäters", der den Eintrag manipuliert hat, sich an krautchan.net wende, werde man die Logdateien offenlegen, die alle Zugriffe protokollieren. Darin liegt nach Auskunft von Computerforensikern jetzt die Chance der Ermittler. Bis wirklich belastbare Ergebnisse vorlägen, werde es aber mehrere Tage dauern.

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