Amoklauf von Lüttich:Leiche in Schuppen des Attentäters entdeckt

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Nach dem Blutbad von Lüttich ist in einem Schuppen des mutmaßlichen Attentäters die Leiche einer Frau gefunden worden. Der Amokläufer soll die 45-Jährige unter einem Vorwand angelockt und anschließend brutal ermordet haben.

Bevor er am Dienstagmittag zum belebten Place Saint-Lambert in Lüttich aufbrach und dort mindestens drei Menschen mit in den Tod riss, hat der Attentäter Nordine A. in seinem Schuppen offenbar eine Frau getötet. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Mittwoch entsprechende Medienberichte. Die Leiche der 45-jährigen Frau sei in einem Lagerschuppen nahe der Wohnung des Täters gefunden worden. Er soll sie unter dem Vorwand, er habe Arbeit für sie, angelockt und dann "massakriert" haben.

Ob es sich bei dem Opfer um seine eigene Putzfrau oder die Haushälterin einer Nachbarin handelte, war zunächst unklar. Der Schuppen sei von dem Mann offenbar zum Anbau von Cannabis genutzt worden, sagte der Lütticher Generalstaatsanwalt Cédric Visart de Bocarmé im belgischen Radio.

Kleinkind erliegt seinen schweren Verletzungen

Die Frau soll noch am Dienstagabend obduziert worden sein, eine ausführlichere Stellungnahme der Staatsanwaltschaft wird im Laufe des Mittwochs erwartet. Belgische Medien berichteten, die Frau sei möglicherweise vergewaltigt worden.

Die Zahl der Opfer des Amoklaufs korrigierten die Behörden in Lüttich inzwischen auf vier. Am Dienstagabend war ein eineinhalb Jahre altes Kleinkind seinen schweren Verletzungen erlegen, eine ältere Frau soll zwar schwer verletzt, aber entgegen erster Berichte noch am Leben sein. Die Lütticher Staatsanwältin Danielle Reynders bestätigte indes, dass sich Nordine A. selbst tötete. "Der Rechtsmediziner hat gesagt, der Attentäter habe sich mitten in die Stirn geschossen", berichtete Reynolds.

Der vorbestrafte Mann hatte im belebten Stadtzentrum von Lüttich Granaten gezündet und um sich geschossen. Nordine A. hatte sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft gegen Mittag mit dem Wagen Richtung Innenstadt auf den Weg gemacht, in seinem Rucksack: ein Sturmgewehr, ein Revolver und zahlreiche Handgranaten.

Auf dem Place Saint-Lambert, wenige Meter von einem gutbesuchten Weihnachtsmarkt entfernt, schlug er gegen 12:30 Uhr zu. Von einem Vorplatz warf er drei Handgranaten in einen Unterstand an einer Bushaltestelle und eröffnete das Feuer. Nach der Tat wurden noch mehrere nicht gezündete Granaten in seinem Rucksack gefunden. "Es hätte noch schlimmer ausgehen können", titelte die Lokalzeitung La Meuse in ihrer Online-Ausgabe.

Zwar lag das genaue Motiv des Täters zunächst noch im Dunkeln. Doch ersten Erkenntnissen zufolge war der 33-Jährige, der im Oktober vergangenen Jahres von einem Brüsseler Gericht auf freien Fuß gesetzt wurde, um 13:30 Uhr bei der Polizei vorgeladen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handle es sich dabei um ein Sittlichkeitsverbrechen, am 13. November sei eine entsprechende Klage bei den Behörden eingegangen. Laut einem Bericht der belgischen Tageszeitung Le Soir bezog sich die Klage auf "Berührungen".

Die Vorladung "hat ihn möglichweise fürchten lassen, zurück ins Gefängnis zu müssen", zitiert das Blatt eine Andeutung von Innenministerin Joëlle Milquet.

Bei dem Blutbad kamen neben dem Kleinkind auch zwei Schüler ums Leben. Mehr als 120 Menschen wurden verletzt, fünf von ihnen schwebten am Mittwochvormitag noch in Lebensgefahr.

Einen terroristischen Hintergrund hatten die Behörden rasch ausgeschlossen. Bevor sie bestätigten, es handle sich um einen Einzeltäter, waren stundenlang Gerüchte über die Flucht eines zweiten Täters kursiert. Die Innenstadt wurde bis zum Abend abgeriegelt.

Panik in der Innenstadt

Das Attentat versetzte die Innenstadt von Lüttich in Panik, Menschen rannten um ihr Leben, versuchten, sich und ihre Kinder vor den Kugeln und Granaten in Sicherheit zu bringen. "Es war grauenhaft", schilderte ein Augenzeuge dem Sender RTL die Augenblicke nach der Tat. Geschäfte und Restaurants wurden verbarrikadiert. Er habe versucht, in ein Café zu flüchten, sei aber nicht mehr hineingekommen, sagte ein deutscher Student. Auf Fernsehbildern waren Blutlachen zu sehen.

Der mutmaßliche Attentäter war laut Staatsanwaltschaft auch wegen Sexualdelikten vorbestraft und hatte erst 2008 eine Haftstrafe von fast fünf Jahren für illegalen Waffenbesitz und den Anbau von Cannabis erhalten. Medienberichten zufolge waren damals bei ihm 9500 Waffenteile sowie Dutzende einsatzbereite Schusswaffen gefunden worden. Wie es ihm nach der Haft erneut gelang, sich umfangreich zu bewaffnen, gehört zu den Fragen, die zunächst unbeantwortet blieben.

Das Attentat sorgte für große Bestürzung. König Albert II. traf am Abend bei strömendem Regen in Lüttich ein, um sich über den Tathergang zu erkundigen und die Verletzten und Opferangehörigen zu trösten. EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek drückte dem Land seine Anteilnahme aus. Er sei zutiefst schockiert von dem Blutbad und denke an die Opfer und ihre Familien, sagte Buzek. Für die Bundesregierung brachte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) seine Anteilnahme zum Ausdruck. "Wir trauern mit Belgien um die Opfer dieses Verbrechens", sagte Westerwelle.

© sueddeutsche.de/AFP/dpa/leja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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