Amoklauf im belgischen Lüttich:Tödliche Schüsse an der Bushaltestelle

In der Nähe eines belebten Weihnachtsmarktes in Lüttich schießt ein Attentäter plötzlich in die Menge und wirft Sprengsätze auf wartende Passanten. Die Behörden sprechen von fünf Todesopfern, darunter ein Kleinkind. Mehr als 120 Menschen werden verletzt. In der Stadt herrscht zeitweise Panik, erst nach Stunden scheint klar: Einen terroristischen Hintergrund gibt es nicht. Der Amokläufer, der sich vermutlich selbst tötete, ist ein 33-Jähriger, der wegen illegalen Waffenbesitzes vorbestraft war.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Es ist Mittag, und es ist kalt, grau und regnerisch, als im Zentrum der belgischen Stadt Lüttich (Liège) unvermittelt Sprengsätze an einer Bushaltestelle explodieren, Schüsse fallen, Menschen in Panik in umliegende Geschäfte flüchten oder sich im nahe gelegenen Museum für Archäologie verbarrikadieren.

Die belgischen Behörden gehen von fünf Toten aus. Ein 15-Jähriger, eine 17-Jährige, eine 75 Jahre alte Frau und der Täter selbst sterben bei dem Amoklauf. Ein 17 Monate altes Kleinkind erliegt später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Belgische Medien berichten von bis zu zwei weiteren Todesopfern. Die Zahl der Verletzten wird offiziell mit 123 angegeben.

Das belgische Innenministerium war zuerst von zwei Tätern ausgegangen, am Nachmittag sprach der Bürgermeister von Lüttich dann von einem Einzeltäter. "Der Täter hat alleine gehandelt, er war mit Handgranaten und einer Kalaschnikow bewaffnet", sagte Willy Demeyer.

Verurteilt wegen Waffenbesitzes

Der 33-jährige Mann habe das Feuer auf eine Menschenmenge eröffnet, die nahe eines gut besuchten Weihnachtsmarktes auf Busse wartete. Danach habe er Sprengsätze auf die Bushaltestellen geworfen. Wenigstens drei Wartehäuschen explodierten, viele Menschen wurden verletzt, unter ihnen ein zweijähriges Kind. Augenzeugen berichteten, der Täter habe erst mit einem Sturmgewehr um sich geschossen und sich dann mit der letzten Kugel selbst getötet. Die Lütticher Staatsanwältin Danièle Reynders relativierte diese Darstellung später: Es sei noch nicht klar, ob der Täter sich selbst tötete oder ob "seine Waffen explodierten".

Belgischen Zeitungen zufolge handelt es sich bei dem Toten um den mehrfach vorbestraften Nordine A. Der 33-Jährige war bereits wegen unerlaubten Waffenbesitzes und Zucht von Cannabispflanzen verurteilt worden, zuletzt vor drei Jahren. Der Mann hatte am Dienstag erneut einen Termin bei Gericht.

Gegen 13:30 Uhr hatte die Polizei die Innenstadt evakuiert und komplett abgeriegelt. Notärzte waren im Einsatz, 28 Menschen wurden in Krankenhäuser gebracht. In der Stadt herrschten am frühen Nachmittag chaotische Zustände, zeitweise brach Panik aus, weil die Polizei zunächst nach einem zweiten Täter suchte. Mobiltelefone waren nicht mehr erreichbar, weil das Netz zusammenbrach.

Notfall-Nummer überlastet

Viele Menschen versuchten herauszufinden, ob unter den Opfern Freunde oder Angehörige waren. Der belgische Mobilfunk-Anbieter Mobistar erklärte, binnen weniger Minuten seien dreimal so viele Anrufe wie sonst eingegangen. Eine von der Polizei eingerichtete Not-Nummer, bei der man sich ebenfalls nach Angehörigen erkundigen konnte, war binnen kurzer Zeit überlastet und blieb für viele Anfragen unerreichbar. Auch die Internetseite brach unter dem Ansturm der Anfragen zusammen.

Das belgische Fernsehen zeigte immer wieder Blutlachen und verstörte Menschen. Die Polizei kündigte für den späten Nachmittag eine Pressekonferenz an. Vertreter der politischen Parteien verurteilten die Tat. Der designierte Parteichef der französischsprachigen Sozialisten, Thierry Giet, sicherte den "Opfern des mörderischen Anschlags" seinen Beistand zu.

Behörden schließen terroristischen Hintergrund aus

Die Hintergründe der Tat blieben lange unklar. Die Behörden schlossen erst am Nachmittag einen terroristischen Hintergrund aus. Es gebe auch keinen Zusammenhang mit derzeit laufenden Justizverfahren, hieß es im zuständigen Krisenzentrum. Dort dementierte man auch Berichte, wonach die Tat in Zusammenhang mit einem Gefängnisausbruch stehen könnte.

Aus Lüttich war zunächst berichtet worden, zwei Männer hätten einen dritten, der sich im Justizpalast befunden habe, freipressen wollen. Als dies missglückt sei, hätten sie auf der Flucht Thunderflash-Sprengsätze geworfen und mit einer Kalaschnikow geschossen.

Lüttich hat 190.000 Einwohner und liegt 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Erst im Januar 2010 hatte die Stadt um Tote trauern müssen. Damals stürzte ein Wohnhaus nach einer Gasexplosion ein, 14 Menschen starben.

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