Amoklauf bei Premiere von "Batman - The Dark Knight Rises":Der reale Horror

Ein Land unter Schock: Während der Premiere des neuen "Batman"-Films in Aurora, Colorado, feuert der Student James Holmes in die Reihen eines vollbesetzten Kinosaals. Zwölf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Die Polizei nimmt den Schützen fest und findet in seiner Wohnung Sprengfallen. Sein Wahnsinn war perfektionistisch geplant.

Christian Wernicke, Washington

Batman, so erzählt später ein Zuschauer, habe gerade wieder "das Böse gejagt". "Es fielen Schüsse, es war Drama pur!" Da sei plötzlich ein dunkle Gestalt durch eine Seitentür ins Kino gestürmt: Der Mann "trug schwarze Klamotten, wie Tarnkleidung", erinnert sich Derek Poag Stunden später im Interview mit CNN, "und er hatte eine Gasmaske auf."

Verstörte Augenzeugen berichten, welcher Horror sich anschließend in Saal neun des Century-Aurora 16-Kinokomplexes abspielte: Der Täter habe eine Art Kanister auf den Boden geschleudert, es habe gezischt, dann sei Gas ausgetreten. Dann habe der Mann zu schießen begonnen. "Er ist langsam die Treppe heraufgekommen", sagt Poag und ringt nach Atem, "ruhig, völlig ruhig hat er sich die Leute ausgesucht, auf die er zielte."

Zwölf Menschen fallen der Schießerei zum Opfer. Zehn sterben am Tatort zwischen Kinositzen, zwei weitere erliegen ihren Verletzungen im Krankenhaus, nachdem sie in Aurora, einem Vorort von Denver in Colorado, kurz nach Mitternacht die Premiere des Batman-Films "The Dark Knight Rises" (übersetzt: "Der Schwarze Ritter erhebt sich") hatten erleben wollen.

Daniel Oates, der Polizeichef der Stadt, sprach auf einer Pressekonferenz am Freitag Mittag mit gebrochener Stimme von 59 Verletzten mit Schusswunden. Außerdem meldeten sich viele Kinobesucher in den vier Krankenhäusern mit Atembeschwerden, darunter eine Mutter mit ihrem erst sechs Monate alten Baby.

Der mutmaßliche Täter, ein 24-jähriger Mann namens James Holmes, ließ sich von der Polizei nur wenige Minuten nach dem Amoklauf in seinem Auto auf dem Parkplatz des Kinos widerstandslos festnehmen. Er sei der Polizei zuvor nicht aufgefallen, sagte Oates. Der Amokschütze sollte noch am Freitag einem Gericht vorgeführt werden. Am Montag soll er erstmals vor einem Richter erscheinen.

"Wir gehen davon aus, dass er allein gehandelt hat", sagte Oates. Holmes' Motiv blieb zunächst ein Rätsel. Das FBI teilte indes rasch mit: Es gebe keine Hinweise auf einen terroristischen Kontext. Der Polizeichef im weit entfernten New York, Ray Kelly, sagte am Freitag auf einer Pressekonferenz, Holmes habe die Haare rot gefärbt gehabt und der Polizei erzählt, er sei der "Joker" - also einer der Widersacher Batmans in den Comics und Hollywood-Filmen.

Holmes, der in San Diego, Kalifornien, aufgewachsen ist und bis vor wenigen Wochen an der Universität von Colorado Neurowissenschaften studierte, hatte seinen Wahnsinn geradezu perfektionistisch geplant. Seine pechschwarze Verkleidung, die kugelsichere Weste, der martialische Kampfhelm, selbst die dunkle Gasmaske passen an diesem Abend irgendwie ins Bild: Hunderte der Kinobesucher, die in gleich vier der 16 Säle die Erstvorführung des neuesten Batman-Films sehen wollen, hatten sich für dieses Kult-Event verkleidet.

Und weil der Blutrausch beginnt, als auf der Leinwand Schüsse fallen, glauben etliche Zuschauer, sie erlebten nur besondere 3-D-Effekte: "Wir haben erst mal ein paar Sekunden lang mal weitergeschaut", erinnert sich später eine Frau. Aber dann hört sie die ersten Schreie. Verzweiflung und Angst brechen sich Bahn, mit dem beißenden Rauch breitet sich Panik im Saal aus. "Jeder suchte krampfhaft Deckung, kroch durch die Reihen, wollte raus."

Doch es gibt keinen Schutz: Holmes hatte, so die Informationen aus dem Büro des Sheriffs, neben zwei Pistolen und einer Schrotflinte auch ein Sturmgewehr vom Typ AR-15 mitgebracht. "Diese Waffe hat eine solche Durchschlagskraft", schildert ein kopfschüttelnder Waffenexperte auf dem Kino-Parkplatz einem Fernsehsender, "die Kugeln können die Körper von zwei, drei, ja vier Menschen hintereinander durchdringen." Die Waffe ist halbautomatisch, Holmes muss für jeden Schuss einzeln abdrücken.

"Es herrschte Chaos"

Viele Kinogänger schaffen es nach draußen. Ein Videoclip im Internet, hochgeladen vom Handy nur eine Stunde nach Ende der Schießerei, zeigt das Drama. Er zeigt, wie Hunderte Menschen draußen an der Glastür zu begreifen versuchen, welchen realen Horror sie da soeben erlebt haben. Langsam und stumm trottet da etwa ein riesiger Kerl nach draußen. Nur die Blutflecken auf Arm, Schulter und Hüfte bezeugen, was er durchgemacht hat.

Andere reden sich die Angst von der Seele, im Interview mit dem Fernsehen. "Es herrschte Chaos", sagt Donavan. Der vielleicht 16-jährige ist Batman-Fan, und er lächelt verwirrt, als er der Reporterin von KCNC seine schrecklich filmreifen Eindrücke erzählt: "Da war der Typ, der auf allen Vieren durch die Reihen kroch. Und das Mädchen, das so viel Blut spuckte." Die Kugeln können nicht sehr weit an ihm vorbeigeflogen sein: "Einen Freund von mir hat etwas am Hals gestreift, ein anderer hat etwas an den Fuß gekriegt. Und ein Kumpel von mir ist ohnmächtig geworden, ich weiß nicht, wo er jetzt ist." Er hebt im Morgengrauen müde seine Achseln.

Acht Kilometer nördlich vom Tatort stürmt die Polizei derweil das verbarrikadierte Appartement von Holmes. Der hatte bei seiner Festnahme angegeben, in seiner Wohnung befände sich Sprengstoff. Über eine Feuerwehrleiter dringen Bombenexperten durchs Fenster ins Wohnzimmer und finden, wie Oates sagt "etwas, was wir noch nie gesehen haben". Die Experten hätten mehrere Sprengfallen entdeckt, die sich aus entzündlichen und chemikalischen Teilen zusammensetzten, "und es gibt eine Menge Drähte". Die Installation wirke so ausgeklügelt, dass die Beamten Tage für das Räumen der Wohnung benötigten. Die Umgebung sei evakuiert worden. Der Aktion sieht die halbe Nation zu - live, weil ein Kamerateam vom Hubschrauber aus die Polizeiaktion filmt.

Amerika ist erschüttert. Präsident Barack Obama sagte alle Wahlkampftermine ab und wies seine Wahlkämpfer an, wenigstens in Colorado all jene TV-Spots zu stoppen, die seinen Gegner Mitt Romney attackieren. Vor Anhängern in Florida sprach der Präsident den Angehörigen der meist jungen Opfer sein Beileid aus und wurde ungewöhnlich persönlich. Auch seine beiden Töchter, Malia und Sasha, würden regelmäßig ins Kino gehen: "Michelle und ich werden heute Abend unsere Kinder noch etwas fester umarmen."

Dann bat er um eine Minute andächtigen Schweigens. Er ordnete an, als Zeichen der Trauer die US-Flaggen an allen öffentlichen Gebäuden, diplomatischen Vertretungen und Armeestützpunkten bis zum Abend des 25. Juli auf Halbmast zu setzen. Die Polizei veröffentlichte unterdessen eine schriftliche Stellungnahme von Holmes' Familie. "Unsere Herzen sind mit jenen, die von dieser Tragödie betroffen sind", heißt es darin.

Warner Bros., die Produktionsfirma des Filmes, zeigte sich schockiert ob der Ereignisse. "Warner Bros. ist tieftraurig, von diesem schockierenden Vorfall zu erfahren. Wir sprechen den Familien und Lieben der Opfer unser ehrliches Mitgefühl aus", heißt es in einer Mitteilung. Die für Freitagabend auf der Pariser Champs-Élysées geplante Vorstellung von "The Dark Knight Rises" mit Staraufgebot sei abgesagt worden, hieß es.

Auch die Kinokette Cinemaxx reagierte auf die Tat: Zum Deutschlandstart des Batman-Films sollen mehr Sicherheitskräfte in den Kinos zu sehen sein.

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