Amerikaner mit Erinnerungslücke:Wer bin ich und warum kein Schwede?

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Seine Geschichte klingt wie aus einem Hollywoodfilm: Nachdem er bewusstlos in einem Hotelzimmer gefunden wurde, kann sich der Amerikaner Michael Boatwright an nichts mehr erinnern und spricht nur noch Schwedisch. Medizinisch gesehen ist das wohl möglich - aber höchst ungewöhnlich.

Von Felicitas Kock

Als seine Geschichte an die Öffentlichkeit kommt setzt sich die Identität Michael Boatwrights wie ein Puzzle langsam zusammen. Über das Internet melden sich laut der schwedischen Zeitung Aftonbladet mehrere Personen, die angeben, er sei Amerikaner und in den achtziger Jahren nach Schweden ausgewandert. Einige US-Bürger erkennen in ihm einen früheren Bekannten - und jetzt meldet sich auch noch eine Frau, die behauptet, Boatwrights Schwester zu sein.

Zuvor war Berichten zufolge bereits eine Verbindung Boatwrights nach China und Japan entdeckt worden. In beiden Ländern soll er mehrere Jahre Englisch unterrichtet haben. China, Schweden, Amerika - Michael Boatwright selbst kann sich an nichts mehr erinnern.

Johan Ek aus Schweden

Im Februar war er ins Desert Regional Medical Center in der kalifornischen Kleinstadt Palm Springs eingeliefert worden, nachdem ihn Angestellte bewusstlos in einem Hotelzimmer gefunden hatten. Er hatte mehrere Tennisschläger, eine Tasche mit Sportklamotten, zwei Handys, etwas Bargeld und einige Fotos bei sich. Seitdem behauptet er, sein Name sei Johan Ek und er spreche ausschließlich Schwedisch.

Doch laut den Ausweisdokumenten, die er bei sich trug, ist er ein anderer: Michael Boatwright, 61 Jahre alt, Amerikaner. Die Fotos, die er bei sich trug, und die unter anderem auf der Internetseite MyDesert.com veröffentlicht wurden, zeigen ihn mit asiatischen Kindern und mit einer jungen Frau. Er selbst sagt, er könne sich an keines der abgebildeten Ereignisse erinnern.

Die Schwester, die sich jetzt gemeldet hat, gibt an, ihren Bruder seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gesprochen geschweige denn gesehen zu haben. Boatwright sei immer ein Wanderer gewesen. Nur wenn er Geld gebraucht habe, sei er gelegentlich aufgetaucht, um kurze Zeit später wieder zu verschwinden, berichtet die Frau laut der Lokalzeitung The Desert Sun.

Eine Sozialarbeiterin versucht nun, seine nur in Bruchstücken bekannte Geschichte wieder zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Die Ärzte haben eine Transiente Globale Amnesie diagnostiziert, die womöglich durch ein traumatisches Erlebnis ausgelöst wurde - doch schwebt auch die Frage im Raum, ob die Geschichte Michael Boatwrights nicht zu sehr nach Hollywood klingt, um wahr zu sein.

Für einen Amnesiepatienten ungewöhnlich

Ute Kopp, Neuropsychologin an der Charité Berlin, empfiehlt im Gespräch mit Süddeutsche.de, die Geschichte Michael Boatwrights mit Vorsicht zu betrachten. Zwar sei es schwierig, aus der Ferne eine Diagnose zu stellen, jeder Fall gestalte sich anders - doch normalerweise würden Amnesiepatienten nicht dazu neigen, eine vollkommen neue Identität zu konstruieren und dann über einen längeren Zeitraum bei dieser Geschichte bleiben. Es handle sich jedoch um ein schwieriges Gebiet, bei dem die Meinungen der Neurologen stark auseinandergehen. Eine Amnesie, die durch ein traumatisches Erlebnis ausgelöst wurde, sei vorstellbar - eine hirnorganisch bedingte Amnesie mit einem derartigen Verlauf eher ungewöhnlich.

Amerikanische Zeitungen wie die Huffington Post listen mehrere Fälle auf, die der Geschichte Boatwrights ähneln. So zum Beispiel die des Engländers Alun Morgan, der nach einem Schlaganfall aufwachte und Walisisch sprach - obwohl er dort nur in seiner Jugend für zwei Monate gelebt und ein paar Brocken der Sprache gelernt hatte. Kurze Zeit später fand er wieder zu seiner Muttersprache zurück.

In Deutschland ist man unterdessen vorsichtig geworden. Zu gut ist die Erinnerung an den "Waldjungen", der im September 2011 in Berlin aufgetaucht war und den Behörden erklärt hatte, er wisse nur seinen Namen (Ray) und sein Alter (17). Seine Eltern seien gestorben und er habe danach jahrelang im Wald gelebt. Das Jugendamt nahm sich seiner an - bis herauskam, dass es sich um einen 20 Jahre alten Niederländer namens Robin handelte, der daraufhin alle empfangenen Sozialleistungen zurückzahlen sollte. Er hatte sich alles nur ausgedacht.

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