Algerien ohne Internet:Abi Leaks

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Gut 700 000 Schülerinnen und Schüler treten in diesen Tagen in Algerien zum Abitur an. Zu Beginn jeder Prüfung werden für eine Stunde sämtliche Online-Zugänge für sie gesperrt. (Foto: Regina Schmeken)

Ein ganzer Staat ist plötzlich offline: Da in Algerien so viele Schüler bei der Abschlussprüfung schummeln, hat die Regierung über mehrere Stunden und Tage das Internet abgeschaltet. Das Land ist mit diesem Problem nicht alleine.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Ganz Algerien war offline am Montag, für eine Stunde am Morgen von 8.30 Uhr an und noch einmal eine am Nachmittag um 15 Uhr. So war es schon am Sonntag und am Samstag und auch am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche. Der Internet-Blackout geht weder auf technische Probleme zurück noch hat er politische Gründe: Es ist eine drastische Maßnahme der Regierung, um Betrug bei den landesweiten Baccalaureat-Prüfungen zu bekämpfen, dem Zentralabitur.

Über Facebook waren vor zwei Jahren Prüfungsfragen verbreitet worden

700 000 Schülerinnen und Schüler treten in diesen Tagen in mehr als 2000 Prüfungszentren zu den Klausuren an, deren Ergebnisse ihre Studien- und Berufschancen bestimmen - und damit Lebenswege und den sozialen Status, den sie erreichen können. Wie in vielen anderen arabischen Ländern haben nur die Besten die Möglichkeit, Medizin oder Pharmazie, Ingenieurwissenschaften oder Jura zu studieren. Es sind jene Berufe, die sich viele Menschen für ihre Kinder wünschen. Sie sind angesehen, krisensicher und versprechen ein ordentliches Einkommen. Der Druck auf die Jugendlichen ist enorm.

Das Bildungsministerium und das Ministerium für Post und Telekommunikation haben vereinbart, dass zu Beginn jeder Prüfung für eine Stunde sämtliche Online-Zugänge gesperrt werden; entsprechende Anweisungen ergingen an alle Internet-Provider. Weder über Festnetz noch per Mobilfunk war ein Zugang noch möglich. In den Prüfungszentren wurden zudem Störsender, Überwachungskameras und Metalldetektoren installiert, Mobiltelefone und Tablets sind verboten, auch für die Aufsicht führenden Lehrer. Das auch in Algerien populäre Netzwerk Facebook wurde für die Dauer der Prüfungen komplett gesperrt; über die Seite waren vor zwei Jahren Prüfungsfragen und Lösungen vor Beginn der Klausuren verbreitet worden.

Bildungsministerin Nouria Benghabrit sagte, ihr sei "nicht wohl bei der Entscheidung", aber man könne auch nicht tatenlos zusehen, wie Prüfungsfragen und die dazugehörigen Antworten im Netz landeten. "Unsere Verpflichtung auf die Prinzipien von Fairness und Chancengleichheit haben uns dazu geführt, all diese Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich der Internetsperren", sagte sie. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung sich noch darauf beschränkt, die Seiten sozialer Netzwerke zu sperren, offenbar erreichte sie damit aber nicht den erwünschten Effekt.

Leidtragende waren unter anderem Wirtschaftsbranchen, die auf Online-Verbindungen angewiesen sind, darunter Banken und Reisebüros. An Flughäfen kam es zu Verspätungen. Der Internet-Unternehmer Lotfi Nezzar, Sohn eines früheren Verteidigungsministers, reichte eine offizielle Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde für Telekommunikationsdienste ein.

Algerien ist nicht alleine, auch Irak, wo diese Woche die Abschlussprüfungen beginnen, plant Internetsperren, um das digitale Spicken zu verhindern. Syrien und Mauretanien hatten sich wie Usbekistan und manche indische Bundesstaaten ebenfalls dieser radikalen Maßnahme bedient.

Wer anderen beim Online-Schummeln hilft, riskiert zwei bis sieben Jahre Haft

In Ägypten, wo in den vergangenen Jahren immer wieder Fragen und Antworten kurz vor Beginn der Prüfungen im Internet auftauchten, werden auch die diesjährigen Klausuren des Thanaweya Amma genannten Abschlussexamens der 650 000 Abituranwärter von Betrugsversuchen überschattet. Vergangene Woche wurden Aufgaben und Musterlösungen für Englisch, Physik und Geschichte kurz nach Beginn der Klausuren auf mindestens vier verschiedenen Facebook-Seiten öffentlich gemacht.

Parlamentsabgeordnete in Kairo hatten 2016 ebenfalls mit Internetsperren geliebäugelt, konnten sich aber bislang nicht durchsetzen. Das Bildungsministerium setzt auf neu eingeführte Prüfungshefte, in denen die Fragen und Strichcodes zur Identifizierung der Schüler eingedruckt sind; die Prüflinge müssen die Antworten in die Hefte schreiben, die Regierungsangestellte in verschlossenen Umschlägen zu den Prüfungsorten bringen. Trotzdem wurden auch die Fragen für die Fächer Arabisch, Französisch und einen Teil der Mathe-Tests digital geleakt.

Vergangenes Jahr mussten manche Tests annulliert und wiederholt werden, manche wurden verschoben, um nach einem möglichen Leck im Bildungsministerium zu suchen. Dieses Jahr hat die Regierung darüber noch nicht entschieden. Sie versuchte es mit Abschreckung, das Parlament hat drastisch die Strafen für Betrug bei Prüfungen zum Abitur und in den Universitäten verschärft. Wer anderen beim Online-Schummeln hilft, riskiert zwei bis sieben Jahre Haft und Geldstrafen zwischen umgerechnet 5000 und 10 000 Euro, ein Vermögen für die meisten Ägypter. Das Unterrichtsministerium vermeldet Erfolge: Mehrere Schüler seien wegen Betrugsversuchen verhaftet und von den Prüfungen ausgeschlossen worden.

Allerdings bestätigte sich in den vergangenen Jahren auch nicht jeder Verdacht; es gab Vorwürfe, dass die Regierung nur Sündenböcke suche. Es wurde auch grundsätzliche Kritik an den Prüfungen laut, die eine regelrechte Nachhilfe-Industrie am Leben halten, in der Lehrer ihre kärglichen staatlichen Gehälter aufbessern. Einzelne Abgeordnete schlugen vor, die Examen durch Aufnahmeprüfungen an den Universitäten zu ersetzen, die weniger auf den Notendurchschnitt als auf die Begabung der Bewerber für das Fach ausgerichtet sein sollten. Doch bislang ist nichts geschehen. Gut möglich, dass auch in Ägypten, wo Internetsperren der Sicherheitsbehörden inzwischen zum Alltag gehören, in Zukunft bei Prüfungen der Online-Zugang abgedreht wird.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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