Afrikanische Flüchtlinge in Hamburg:Willkommen im Kiez

Afrikanische Flüchtlinge in Hamburg

Die afrikanischen Flüchtlinge in Hamburg wollen bleiben und haben die Initiative "Lampedusa in Hamburg" gegründet.

(Foto: dpa)

Sie sind aus Libyen nach Italien geflüchtet, als dort die Hilfen ausgingen, wurden sie nach Deutschland geschickt: 300 Flüchtlinge aus Afrika sind jetzt in Hamburg gestrandet. Der Senat will sie loswerden - doch die Menschen in St. Pauli machen nicht mit.

Von Charlotte Frank, Hamburg

Kurz nachdem der Innensenator im Rathaus noch einmal klar und deutlich gesagt hat, die Flüchtlinge hätten in Hamburg keine Perspektive, beginnt auf St. Pauli eine Orgel zu spielen. Aber den Organisten sieht man nicht. Oben auf der Empore der Kirche, wo normalerweise im Halbdunkel hinter dem Jesuskreuz sein Rücken zu erkennen ist, hängt Wäsche. Unten im Kirchenschiff stapeln sich rot-blau-karierte Kissen und Decken zu einem Bettenberg. Vor dem Altar steht ein Buffet. "Etwas ungewohnt sieht es hier aus. Eigentlich sollte es hier nicht so aussehen", beginnt der Pastor seine Andacht.

Sollte es wirklich nicht. Aber irgendjemand muss den Männern ja helfen. Bis zu 300 Flüchtlinge aus Afrika sollen es sein, die in Hamburg gestrandet sind. Fünf Reisebusse voller Heimatloser, verloren mitten in den Straßen einer der reichsten Städte Europas.

Mit 500 Euro und Touristenvisum in der Tasche

Es ist mehr als drei Monate her, dass bei Polizeikontrollen in Hamburg die ersten von ihnen entdeckt wurden, bald waren es so viele, dass das Problem nicht mehr zu leugnen war. Die Männer schliefen auf Parkbänken und unter Brücken, sie versteckten ihre Wäschebündel in Büschen am Straßenrand und putzten sich die Zähne in der Alster. Die meisten von ihnen sind, so viel wurde schnell bekannt, Wanderarbeiter, die aus Staaten wie Mali und Ghana nach Libyen gezogen waren.

Als dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, flohen sie nach Italien, von dort sind sie nun in den Norden gekommen. Wie es heißt, sollen sie von den italienischen Behörden mit 500 Euro und einem Touristenvisum für den Schengen-Raum ausgestattet worden sein. Umstritten ist, ob von den Behörden auch ein Hinweis kam, dass die Männer nach Deutschland ausreisen sollten, weil ihnen dort am ehesten geholfen würde.

Aber mit der Hilfe in Hamburg ist es ohnehin so eine Sache. Seit Wochen ringt die Stadt um den richtigen Umgang mit den Flüchtlingen. Der Senat will sie am liebsten schnell wieder loswerden. Viele Bürger in Hamburg aber sehen das anders - und nehmen die Sache selbst in die Hand.

Die St. Pauli Kirche war die erste, die ihre Türen geöffnet und ihre Stühle beiseite geräumt hat für "unsere afrikanischen Gäste", wie Pastor Martin Paulekuhn sie nennt. 80 Flüchtlinge sind in der Gemeinde zwischen Reeperbahn und Hafenstraße untergekommen, und wer dort vorbeischaut, lernt den berühmten Stadtteil von seiner unbekannten, schönen Seite kennen. Auf dem Rasen vor der Kirche ist ein gelb-weißes Zelt aufgebaut, die "Embassy of Hope". Drumherum regt sich das Leben, die "Gäste" sitzen auf der Wiese und trinken Kaffee, zwischen ihnen Helfer aus dem Viertel und immer wieder Nachbarn, die etwas vorbeibringen: Kuchen, Körbe mit Brot, Orangen. Am Vormittag schauen Kinder vorbei, die den Männern ein paar Worte Deutsch beibringen. Am Abend kommt eine marokkanische Tanzgruppe zum Benefizkonzert, und am Wochenende soll es ein Willkommensfest auf St. Pauli geben.

"Es könnte nicht besser laufen mit der Hilfe aus dem Viertel", sagt die junge Frau an der Frühstücksausgabe. Sie heißt Georgie, arbeitet an der Uni schaut momentan jeden Tag in der Kirche vorbei. "Der St. Pauli Fanclub hatte zur Hilfe aufgerufen", sagt sie, seitdem sei sie dabei. Die Helfer organisieren sich selbst, es werden von Tag zu Tag mehr.

Streit um Zuständigkeit

Inzwischen sind der St. Pauli Kirche andere christliche Gemeinden in Hamburg sowie eine Moschee gefolgt. Seit Mittwoch gibt es auch eine Petition im Internet, die die Hamburger unterzeichnen können: Sie kommt von Grünen und Linken, die in der Bürgerschaft gefordert haben, der Senat solle für sechs Monate auf Abschiebungen verzichten, damit Aufenthaltsperspektiven individuell geprüft werden können. Schon am ersten Tag kamen 600 Unterschriften zusammen. Inzwischen hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.

Aber der Hamburger SPD-Innensenator Michael Neumann sagt: "Die Rechtslage ist eindeutig, und die Perspektive kann nur die Ausreise nach Italien sein." Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kritisierte in der Welt, die europäischen Regierungen müssten sich in der Flüchtlingsfrage aufeinander verlassen können.

Deutschland macht Druck auf Italien

Hinter der Haltung des Senats, die auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vertritt, steht das europäische Dublin-II-Abkommen. Demnach ist dasjenige EU-Land für Flüchtlinge verantwortlich, in dem diese zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben. Im Fall der libyschen Bürgerkriegsflüchtlinge also Italien. Über Monate hatte Rom von der EU Unterstützung erhalten, um die Einreise libyscher Kriegsflüchtlinge bewältigen zu können. Anfang des Jahres lief diese aber aus, viele Einrichtungen für Flüchtlinge wurden geschlossen. Mehr als 5500 Menschen standen plötzlich in Italien auf der Straße. 300 davon sind nun in Hamburg. Unter dem Druck aus Deutschland hat sich Italien längst bereit erklärt, sie nach Ablauf ihrer Visa wieder aufzunehmen.

Dagegen wehren sich die Afrikaner. Sie haben eine Gruppe gegründet: "Lampedusa in Hamburg", unterstützt von Menschenrechtlern, die die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Italien kritisieren. In der St. Pauli Kirche spricht die Gemeinde zum Ende der Andacht einen Psalm: "Wie köstlich ist Deine Güte Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten Deiner Flügel Zuflucht haben."

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