Ärztlicher Notstand:Diskussion über Schweigepflicht

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Sollen Ärzte über Patienten aus Risikoberufen sprechen dürfen? In gewissen Fällen ja, sagen manche Politiker.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, welcher Psychiater die Depressionen des Germanwings-Piloten Andreas Lubitz behandelt hat. Und es darf zugunsten dieses Arztes angenommen werden, dass er nicht wusste, dass sein Patient trotz Krankschreibung arbeiten ging. Aber was, so fragen sich viele, dachte sich der Psychiater, als er dem Piloten Psychopharmaka verschrieb, offenbar nicht nur einmal, sondern mehrfach? Musste der Mediziner nicht befürchten, dass Lubitz der Verantwortung seines Berufs nicht mehr gewachsen sein würde? Diese Frage hat eine Debatte über die Grenzen ärztlicher Schweigepflicht losgetreten und darüber, ob Mediziner ihr Schweigen brechen dürfen.

Ärzte dürfen ihr Wissen nicht nur offenbaren, sie müssen es in Risikofällen sogar, sagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. "Wenn ein Patient Dritte gefährdet, weil er Suizidgedanken hat und gefährliche Maschinen fliegt, befindet sich der behandelnde Mediziner im ärztlichen Notstand. Dann ist er sogar verpflichtet, den Arbeitgeber zu informieren." Ein depressiver Pilot, der Psychopharmaka bekomme und schon früher selbstmordgefährdet war, sollte keine Lizenz haben.

Und selbst, wenn der Psychiater nicht geahnt habe, dass sein Patient in einer akuten Krankheitsphase ein Flugzeug steuere - schon "der leiseste Anhaltspunkt", dass der Patient etwas verheimliche, müsse Anlass sein, einen Arzt zu informieren, der die Flugtüchtigkeit feststelle, so Lauterbach. Viele Mediziner wüssten aber zu wenig über den ärztlichen Notstand bei Gefährdung Dritter. Schweige ein Arzt in einem solchen Fall, mache er sich nicht strafbar. Sollte sich aber herausstellen, dass ein Suizid "sehr plausibel" gewesen sei, dann sei er "in einer Haftungsproblematik".

Wann aber wird es Zeit für einen Arzt, Arbeitgeber, Betriebsärzte oder Angehörige zu informieren? Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, wies am Montag darauf hin, wie schwierig die Abwägung des rechtfertigenden Notstands sei. "Wir können aber davon ausgehen, dass das Interesse an der Abwehr konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit höherwertig ist gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Patienten." Der Arzt dürfe allerdings erst Informationen offenbaren, wenn er ganz konkrete Anhaltspunkte habe, dass der Patient andere in Gefahr bringe, durch Ansteckung etwa oder bei Alkoholsucht von Kraftfahrern.

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, regte an, Krankschreibungen von Patienten aus Hochrisikoberufen weiterzuleiten. Denkbar sei, "dass eine Krankschreibung - selbstverständlich ohne Angabe einer Diagnose - vom behandelnden Arzt direkt und gegebenenfalls elektronisch an den Arbeitgeber weitergeleitet wird". Mehr Kommunikation zwischen Arzt und Arbeitgeber aber könnte dazu führen, dass Piloten Probleme noch stärker verschweigen. "In der Luftfahrt wird jede Einschränkung negativ sanktioniert", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink. Wenn Airlines sich mehr Offenheit wünschten, müssten sie fluguntüchtigen Piloten berufliche Alternativen bieten: "Es braucht eine Kompensation, die sicherstellt, dass Piloten nicht gleich ganz raus sind, wenn sie Probleme offenbaren." Davon sei die Kultur der Luftfahrt noch weit entfernt.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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